Tornesch. Johannes von Helms war NSDAP-Mitglied. Nach ihm ist eine Straße benannt. Anwohner fordern kritische Auseinandersetzung.
Es ist kein Name, den sie gern in ihrem Ausweis sieht. Von Helms. So heißt die Straße, in der Katharina Kegel lebt. „Als ich im Sommer 2019 in die Nummer 4 der Von-Helms-Straße in Tornesch zog, fragte ich mich, wer dieser Mann war“, sagt die 40-Jährige. Denn unter dem Straßenschild steht der Zusatz, dass er während der Zeit des Nationalsozialismus’ Bürgermeister war.
Seit zehn Jahren lebt die zweifache Mutter, die als Integrationsbeauftragte für die Stadt Pinneberg arbeitet, in Tornesch. Gerade vor dem Erstarken rechter Tendenzen in Deutschland und Europa findet Kegel eine kritische Auseinandersetzung mit NS-belasteten Straßennamen überaus wichtig. Und so wendete sie sich Anfang des Jahres mit einem Schreiben zunächst an die Tornescher Bürgermeisterin Sabine Kählert. Es dauerte noch einige Monate, bis eine politische Diskussion ins Rollen kam. Doch nun steht die Frage im Raum: Umbenennen oder beibehalten und erläutern?
Straße wurde 1973 posthum nach von Helms benannt
Johannes von Helms war von 1926 bis 1943 Bürgermeister von Esingen – heute einem Stadtteil Torneschs. 1937 trat er der NSDAP bei und übernahm zusätzlich die Position des Amtsvorstehers – und damit polizeiliche Aufgaben. So setzte er unter anderem Strafverfügungen gegen vor Ort tätige Zwangsarbeiter um und begleitete Verhaftete gemeinsam mit Gestapobeamten ins Gefängnis. Die Straße wurde 1973 posthum nach ihm benannt. Damals wurde die Norderstraße in Von-Helms-Straße umbenannt.
Unklar ist, welche Rolle von Helms während der Nazizeit spielte. War er am 9. November in der Reichspogromnacht aktiv, in der unter anderem die jüdischen Gesellschafter und Geschäftsführer am Betreten ihres Werkes, der Brennerei & Presshefefabrik Tornesch, gehindert wurden? War er 1942 bei der Verhaftung der Widerstandskämpferin Anna Billian in unmittelbarer Nachbarschaft beteiligt, vor derem Haus an der Norderstraße heute ein Stolperstein an das Grauen von damals erinnert?
Umbenennung war schon 1973 nicht unumstritten
Begründet wurde die Umbenennung eines Teils der Norderstraße in Von-Helms-Straße laut einem Protokoll von 1973 mit der uneigennützigen und im Sinne der Gemeinschaft verrichteten Arbeit des von Helms. Er soll sich zudem für die Belange der Kirche eingesetzt haben. „Warum reichte das aus, um eine Straße umzubenennen – ein Akt, der mit Kosten und Verwaltungsaufwand verbunden ist“, fragt Kegel. Eine Frage, die sich 1973 auch einige Politiker stellten.
Die Umbenennung war schon damals nicht unumstritten. „Die Faktenlage war und ist dünn. Wir wissen nicht, wie maßgeblich Herr von Helms an der Aufrechterhaltung des politischen Systems während der NS-Zeit beteiligt war“, sagt Kegel. Darum plädiert sie für die geschichtliche Aufarbeitung seines Wirkens. „Herr von Helms sollte kein blinder Fleck in den Chroniken unserer Stadt sein, vor allem, wenn eine Straße nach ihm benannt ist.“ Die gebürtige Elmshornerin wünscht sich einen offenen Diskurs darüber, wie mit dem Straßennamen künftig umgegangen werden soll.
Ihre Nachbarin und Mitstreiterin Meike Schade findet besonders perfide, dass Anna Billian, die für den Widerstand gegen das Nazi-Regime verhaftet worden war, einen Stolperstein erhalten hat, der leicht zu übersehen ist, während ein Straßenname an einen ehemaligen ehrenamtlichen Bürgermeister mit NSDAP-Parteibuch erinnert. „Wenn wir uns fragen, in welcher Welt wir leben möchten, können wir auch fragen, in welcher Straße möchten wir leben“, sagt Schade, die als pädagogische Mitarbeiterin in der Programmabteilung der Hamburger Volkshochschulen arbeitet. Gemeinsam haben sie Nachbarn in einem Schreiben über ihr Anliegen informiert.
An anderen Städten ein Beispiel nehmen
Stadtarchivarin und Historikerin Annette Schlapkohl hat mittlerweile Fakten zu von Helms zusammengetragen. Sie zeigt zudem an Beispielen aus Hamburg-Bergedorf und Mainz, wie andere Gemeinden und Städte mit kritischen Straßennamen umgehen. Demnach wurde in Bergedorf eine historische Fachkommission eingesetzt, die 2016 zehn Straßennamen prüfen sollte. Konsens bestand darin, dass eine Straße umbenannt werden sollte, wenn einer Person (mit oder ohne NSDAP-Mitgliedschaft) eine „persönliche Beteiligung an der NS-Politik von Terror, Ausgrenzung und Verfolgung“ nachgewiesen werden konnte. Wenn eine Person der NSDAP angehörte, sich aber keine persönliche Beteiligung an dem Terror-Regime nachweisen ließ, rieten die Experten ebenfalls dazu.
Laut Schlapkohls Einschätzung war Johannes von Helms als Bürgermeister und Amtsvorsteher an der Nazi-Politik von Terror, Ausgrenzung und Verfolgung beteiligt, was die Verfolgung von Bürgern anging, die sich nicht NS-konform verhielten. „Da die Unterlagen der Gemeinde nicht überliefert sind, sind konkrete Vorgänge nicht nachweisbar“, heißt es in Schlapkohls Stellungnahme. „Mündlich überliefert ist eine Beteiligung an einer Verhaftung von Zeugen Jehovas und schriftlich eine Strafverfügung gegen eine polnische Zwangsarbeiterin wegen abendlichen Aufenthalts im Freien.“ Am 16. November soll der Kulturausschuss zu dem Thema tagen.