Elmshorn. Institution verlässt Elmshorn. Secondhand-Laden „vongestern“ läuft nur noch online. Wie sich die Musikindustrie verändert.

Die Tür ist verschlossen. Die Lichter sind aus. Vorbei sind die Zeiten, an denen Musiksammler durch Grabbelkisten wühlen, alte Vinyls und CDs erstöbern konnten. Die Ladenfläche an der Marktstraße in Elmshorn ist leer gefegt. Zurückbleiben allenfalls Wollmäuse – und ein Zettel mit der Aufschrift: „Liebe Kunden! Vielen Dank für Eure langjährige Treue. Nach 34 Jahren ist nun Schluß.“

Abschiedsworte vom Ladeninhaber, sein Geschäft„vongestern“ bleibt zu.
Abschiedsworte vom Ladeninhaber, sein Geschäft„vongestern“ bleibt zu. © Laura Kosanke | Laura Kosanke


Mit diesen Worten verabschiedet sich Rainer Grundt (59). Den Secondhand-Laden mit dem Namen „vongestern“, mit der knallroten Wand und der breiten Fensterfront, hat er aufgegeben. Den Verkauf führt er nur noch online und auf ein paar Flohmärkten fort. Damit hat das letzte Plattengeschäft in der Region aufgegeben und der Kreis Pinneberg eine Institution verloren. Wer im Laden auf Vinyljagd gehen möchte, muss nun nach Hamburg fahren, sagt Grundt.

Warum er in der Marktstraße schlussgemacht hat? Weil ihm 40-Stunden-Wochen im Laden zu anstrengend waren. „Ich bin nicht mehr der Jüngste.“ Doch er macht sich Gedanken darüber, wohin sich die Musikindustrie entwickelt, ob Tonträger zukünftig noch ausreichend bei Händlern nachgefragt werden. „Es gibt einen Wandel und der ist schwierig für den Handel von physischen Artikeln.“ Der Wandel, von dem Grundt spricht, vollzieht sich auch auf Online-Plattformen, auf denen Nutzer ihre Lieblingsmusik mit einem Klick hören können – mal gebührenpflichtig, mal mit Werbeeinspielern.

Absatz physischer Tonträger drastisch zurückgegangen

Sind es also Streamingdienste, wie Spotify, die den Handel kaputtmachen? Oder sind es die Händler, die das Geschäft um Vinyl und Co. in die Knie zwingen? Ein Wissenschaftler klärt auf.

Prof. Dr. Michel Clement von der Universität Hamburg forscht zum Nutzungsverhalten von Musik.
Prof. Dr. Michel Clement von der Universität Hamburg forscht zum Nutzungsverhalten von Musik. © HA / Mark Sandten | Ha


Michel Clement ist Professor für Marketing und Medien an der Universität Hamburg. Erst vor wenigen Wochen hat er eine Studie veröffentlicht, in der er und sein Team das Musiknutzungsverhalten erforscht haben. Der Bundesverband Musikindustrie (BVMI) fasst die Ergebnisse zusammen: „Lediglich die Ausgaben für Streaming zeigen im Vergleich zum Vorjahreszeitraum ein Wachstum von 22 Prozent. Demgegenüber ist jedoch der Absatz physischer Tonträger drastisch zurückgegangen, bei CDs fielen die Ausgaben um 25 Prozent.“ Und weiter: Der Besitz von Musik sei weniger relevant, „was sich daran zeigt, dass immer mehr Teilnehmer der Studie keine physischen Tonträger und keine digitalen Musikdateien mehr besitzen.“

Die Nachfrager lenken den Markt

Die Frage, ob Online-Plattformen Schuld am Verfall des Tonträgermarktes sind, behandelt der Marketingprofessor nicht in seiner Studie. Erst im Gespräch mit dem Abendblatt sagt er: „Mit Schuld hat das nichts zu tun. Die Streamingfirmen haben ein Angebot zur Verfügung gestellt, das den Nutzern gefällt. Sie haben die Musikindustrie revolutioniert und einen neuen Erlöszweig aufgebaut. Schuld haben eher die physischen, die nichts attraktives dagegensetzen konnten.“

In anderen Worten: Die Nachfrager lenken den Markt, der Markt passt sich an. Wer nicht mitmacht, hängt sich selbst ab. Die Entwicklung, dass Konsumenten mehrheitlich Musikstreaming bevorzugen, bezeichnet der Professor als „völlig positiv“. Und auch, wenn der Markt für Schallplatten, CDs und Co. kleiner werde, sich die Zahl der Läden in Einkaufsstraßen reduziere, gebe es immer noch Sammler, die online stöbern können.

„vongestern“ verkauft Platten, CDs und Co. online

Darauf setzt auch Ladenbesitzer Grundt. Es war kein Aprilscherz, als er am 1. April 1999 einen Ebay-Store eröffnete. Im Gegenteil. Über die Jahre setzte er immer mehr auf den Online-Verkauf. Und der kam gut an. Allein im letzten Jahr sammelte er mehr als 3.500 gute Bewertungen, keine einzige war schlecht. Der Geschäftsmann vermutet sogar, jetzt, da der Laden an der Marktstraße geschlossen bleibt, dass ein paar Bewertungen dazukommen, ihm nun eine kleine Zahl an Stammkunden online folgen wird.

Demgegenüber stehen jene, die er verlieren wird. Denn die meisten seiner Stammkunden kamen fürs Nostalgiegefühl und zum Schnacken ins Geschäft. „Sie wollen in einen Plattenladen gehen, stöbern, entdecken und sich von der Musik im Laden beeindrucken lassen. Das passiert eher in Läden als beim Surfen auf Ebay.“

Grundt hört lieber Musik von Tonträgern

Auch Grundt zieht es vor, sich auf Messen und Flohmärkten einzudecken, von Privatpersonen verstaubte Sammlungen oder Einzelstücke abzukaufen und diese dann selbst anzubieten – vor allem online. Sein bestes Geschäft war eine Aufnahme von den Beatles mit Tony Sheridan: Für 500 Euro wechselte die Single „My Bonnie“ auf Ebay den Besitzer. Im Laden hatte ihm zuvor eine zweite Platte nur 300 Euro eingebracht.

Ende Oktober gingen keine Platten mehr über die Theke in der Marktstraße. Der Laden war zwar hell erleuchtet, doch die Tür blieb zu. Dabei blieben Passanten immer wieder vor dem Laden stehen. Angelockt wurden sie von den großen Kisten vor der Tür. „Zu Verschenken“ und „Kost nix“ stand darauf. Dort sammelte Grundt das, was einst in Grabbelkisten war: Schallplatten, CDs, aber auch DVDs und Bücher. All das, was er angeboten, aber dafür keinen Abnehmer gefunden hatte. Dann waren die Kisten geleert. „Die Leute nehmen alles mit, wenn’s kostenlos ist. Es ist verrückt“, sagt der Geschäftsmann und grinst.

Verrückt findet er auch den Hype ums Streaming-Geschäft. „Meins ist es nicht. Aber vielleicht liegt das an meinem Alter.“ Lieber hört er Musik von Tonträgern. Dabei war er zuletzt auch davon nicht mehr der größte Fan. „Wenn du den ganzen Tag hier stehst und Musik hörst, dann spielt Musik nicht mehr die erste Geige im Leben.“ Nun wird er nicht mehr im Laden stehen, freut sich darauf, sich mit Muße seiner eigenen Platten- und CD-Sammlung zu widmen. Eins steht aber fest: Ein Streamingfan wird Grundt nicht mehr.