Quickborn. Heimatforscher hat ein 150-jähriges Kapitel Industriegeschichte nachvollzogen, das Quickborn reich gemacht hat.

Der industrielle Torfabbau im Quickborner Himmelmoor ist vor gut zwei Jahren beendet worden. Jetzt soll das fast 600 Hektar umfassende größte Hochmoor in Schleswig-Holstein wieder systematisch vernässt und renaturiert werden. Eine fast 150-jährige Industriegeschichte ist zu Ende, die Quickborn viele Steuereinnahmen, warme Stuben und die AKN-Bahnverbindung bescherte, aber auch in den Kriegen ausländische Zwangsarbeiter und davor und danach Strafgefangene.

Dabei sind es vor allem einflussreiche, geschäftstüchtige und risikobereite Kaufleute aus Altona, das damals noch nicht zu Hamburg gehört, die dieses lange Kapitel der Quickborner Heimatgeschichte am Anfang prägen, wie Heimatforscher Matthias Fischer-Willwater in jahrelanger Recherche für sein neuestes Geschichtsprojekt herausgefunden hat.

Torf war preiswerter als Steinkohle

Schon Mitte des 18. Jahrhunderts nutzen Einheimische den guten Torf des „Hemmel-Moors“ zum Heizen, wie es damals meist bezeichnet wird. 1771 erlaubt König Christian VII. von Dänemark und Norwegen, der seit 1766 auch Herzog von Schleswig und Holstein ist, den Bauern der umliegenden Dörfer Quickborn, Renzel, Bilsen, Borstel-Hohenraden und Hemdingen, die Ränder des Moores in 1000 bis 5000 Quadratmeter große Parzellen aufzuteilen, damit sie den Torf als Brennstoff nutzen können. Bis ins dänische Altona und nach Hamburg hinein wird der Schwarzmoortorf auf Pferdekarren transportiert. Ein lukrativer Handel entwickelt sich. Das Moor ist für die Hamburger nah gelegen und bietet „den schönsten schwarzen Torf“, wie es in einem zeitgenössischen Dokument heißt.

Der Handel floriert auch im 19. Jahrhundert weiter. Daran kann auch eine Kampagne nichts ändern, die den Torfabbau als moralisch verwerflich gegenüber dem Ackerbau darstellt. Denn der steinkohleartige Torf des Himmelmoores ist preiswerter als Steinkohle. Mit Schuten und Schiffen über Pinnau und Elbe gelangt der „sehr gute Himmelmoortorf“ zu den Händlern der Großstadt. 1844 sorgt die neue Bahnverbindung Altona–Kiel für einen neuerlichen Schub. „Der Transport über Pinneberg macht das Geschäft mit dem Torf profitabel, sodass Politiker ein wirtschaftliches Interesse an dem Moor haben, weil es gute Einnahmequelle für die Staatsfinanzen verspricht“, sagt Willwater.

Ein Kaufmann aus Altona wittert das große Geschäft

Heimatforscher Matthias Fischer-Willwater kennt die Geschichte des Himmelmoors
Heimatforscher Matthias Fischer-Willwater kennt die Geschichte des Himmelmoors © Burkhard Fuchs | Burkhard Fuchs

Jetzt wittern auch die Kaufleute aus Altona das große Geschäft. Allen voran Heinrich Georg Nothnagel, eine Art beruflicher Tausendsassa oder „Hans Dampf in allen Gassen“, wie ihn Willwater beschreibt. Der 1824 in Ulzburg geborene Unternehmer, Bürstenmacher, Glasermeister und Königliche Hofphotograph mit einem Geschäft in Altona ist seit 1855 Vorsitzender des dortigen Industrievereins und bald auch des Grundeigentümervereins. Er betreibt vom 28. März 1874 an die erste „Preßtorf und Torfkohlenfabrik“ im Quickborner Himmelmoor, wobei ihm die jetzt zuständige preußische Regierung eine Konzession für zunächst 20 Jahre genehmigt. Ein Foto von Nothnagel konnte Willwater allerdings nicht auftreiben, auch wenn er zahlreiche Visitenkarten-Porträts („Carte-de-visite“) aufkaufte, die dieser von Hamburger Bürgern schoss.

Bereits drei Jahre zuvor hat im Himmelmoor der Ingenieur und Architekt Christian Hansen aus Pinneberg eine Preßtorfmaschine errichtet, die 100.000 Soden Torf im Jahr pressen kann, was dem Brennwert von 300 Tonnen Steinkohle entspricht. Diese Presse liefert drei Sorten Torf, nämlich für Küche, Stuben-Öfen sowie Brennereien und Ziegeleien.

Pferde-Eisenbahn zwischen Hamburg und Barmstedt

In dieser Zeit scheinen sich die Ereignisse zu überschlagen. 1869 wird in Altona eine Gesellschaft gegründet, die eine Pferde-Eisenbahn zwischen Hamburg, Altona, Eidelstedt, Pinneberg und Barmstedt bauen will, die eine Abzweigung ins Himmelmoor erhalten soll. Rund zehn Meilen lang soll die Strecke über Krupunder, Halstenbek, Rellingen, Pinneberg, Kummerfeld, Bevern und Ellerhoop sein und drei Millionen Thaler kosten, schreibt die Börsenzeitung damals.

Im August 1872 soll Baubeginn sein. Doch offenbar geht Hansen das Geld aus. Er kann die vom Handelsministerium erlassenen Auflagen nicht erfüllen, die eine Einigung mit der Altona-Kieler Bahn verlangen, dass sich beide Bahnprojekte nicht in die Quere kommen dürfen. „Die Altona-Kieler Bahn hat noch aus der dänischen Zeit das Recht, dass ihr bei allen Zweigbahnen, welche mit ihren Linien in Verbindung treten, der Vorzug des Baurechts zusteht“, resümiert Willwater.

Nun springt Geschäftsmann Nothnagel ein, dem es auf Anhieb gelingt, im Mai 1873 die Genehmigung der königlich-preußischen Verwaltung in Schleswig zu erlangen. Ein Jahr später beginnt die Torfballen-Produktion Nothnagels im Himmelmoor. Wobei sich der Presstorf made in Quickborn nicht allein als Brennmaterial für Hausstände geeignet zeigt. Auch die Großindustrie ordert ihn, weil er keinen Schwefel enthält und so Kessel, Öfen und Retorten nicht so angreift wie Steinkohle, stellt ein Chemiker fest. Und beim Verbrennen entstünden auch keine unangenehmen und ungesunden Dämpfe.

„Bekannt als der beste Torf Deutschlands“

50 Mitarbeiter beschäftigt die erste Torffabrik. 129 Pfund dieses Presstorfs haben nach Untersuchungen so viel Heizkraft wie 100 Pfund englische Steinkohle. Torf gilt seinerzeit als das „billigste Brennmaterial der Welt“. „PRESSTORF!! Vom Himmelmoor bei Quickborn. Bekannt als der beste Torf Deutschlands, dem Brennwerthe nach 30% billiger“, heißt es zum Beispiel in einer Zeitungsannonce im Juli 1875. Der Laden brummt. „1878 zahlt die Firma Nothnagel & Co. mit 30 Mark die höchste Gewerbesteuer in Quickborn“, erinnert Willwater.

Parallel dazu treibt Torfwerk-Direktor Nothnagel das Bahnprojekt voran, das ein paar Jahre geruht hat, und lädt darum im September 1879 auch den neuen Landwirtschaftsminister Lucius ins Himmelmoor ein. Mit der Eisenbahn würde sich der Transport von 1000 Pfund Torf im Vergleich zu Pferd und Wagen von 2,80 auf 1,20 Reichsmark mehr als halbieren, argumentiert der Torfwerk-Direktor. Produktion und Absatz würden sich von zurzeit sechs Millionen Pfund Presstorf verdoppeln, wirbt Nothnagel für das Bahnprojekt. Er plant dafür noch eine ein Meter breite Schmalspurbahn entlang der Altona-Kieler Chaussee, 28 Kilometer lang, bis Kaltenkirchen.

Nach 22 Kilometern in Höhe der Bilsener Brücke soll es eine Abzweigung ins Himmelmoor geben. 1881 gewährt die Stadt Altona einen Zuschuss von einem Drittel der geplanten Baukosten von 1,2 Millionen Reichsmark für das Bahnprojekt. Doch jetzt sollte es eine Normalspurbahn sein, damit sie in Altona direkt an das vorhandene Trambahnnetz angeschlossen werden kann.

Das inzwischen preußische Altona übernimmt von Nothnagel die gesamte Planung, nachdem es ihm nicht gelungen ist, die verschiedenen Trassenwünsche der anliegenden Gemeinden unter einen Hut zu bringen. Es sollten Bahnhofsanlagen an den Stationen Eidelstedt, Schnelsen, Rugenbergen, Hasloh, Bilsen, Hoffnung und Kaltenkirchen errichtet werden. Aber es gab Streit darüber, ob die Linienführung nördlich von Quickborn über Bilsen und Hoffnung, was Nothnagels Idee gewesen ist, oder über Ellerau-Ulzburg nach Kaltenkirchen gehen soll, wie sie ja dann später auch gebaut wird.

AKN-Linie wird von 1883 an gebaut

Am 27. April 1883 ist Baubeginn, und drei Monate später wird die Altona Kaltenkirchener Eisenbahn Gesellschaft (AKEG) ins Handelsregister eingetragen, die 1915 in AKN nach ihrem Endhaltepunkt Neumünster umbenannt wird. Am 8. September 1884 beginnt der Personenverkehr auf der Strecke vom Gählerplatz in Altona nach Kaltenkirchen, am 24. November desselben Jahres folgt der Güterverkehr. Die AKEG verpflichtet sich vertraglich, eine Abzweigung ins Himmelmoor zu bauen. Doch dazu kommt es nie, und die AKEG wird 1899 von dieser Verpflichtung entbunden. Der Transport des Torfes zum Bahnhof am Mühlenberg muss also weiterhin mit Pferd und Wagen bewerkstelligt werden.

„Das muss Nothnagel so frustriert haben, dass ‚seine‘ Spurbahn nicht realisiert wird, sodass er aussteigt“, schließt Willwater aus seiner Recherche. Nothnagels Kompagnon Carl Kühl bleibt alleiniger Betreiber des Torfwerkes. 1893 gründet Theodor Dyrssen nebenan eine zweite Torffabrik, die eine Konzession bis 1923 erhält; an ihn erinnert noch heute eine Straße ins Himmelmoor. Erst Dyrssen gelingt es Ende 1897, die Genehmigung zu erhalten, eine Schmalspurtorfbahn vom Torfwerk im Himmelmoor zum alten AKN-Bahnhof Am Mühlenberg zu errichten, mit der von der Quickborner Gemeindevertretung verlangten Auflage, dass die Gleise auf den öffentlichen Wegen möglichst tief verlegt und Gefahren weitgehend ausgeschlossen sein sollten.

Bis dahin muss der Torf ausschließlich mit Pferdefuhrwerken zum Bahnhof am Mühlenberg transportiert werden. Die Torfbahn wird dann zwei Kilometer lang, und die Schienen haben eine Spurbreite von 60 Zentimetern.