Kreis Pinneberg. Ein Drittel von ihnen konsumiert regelmäßig Alkohol. Suchtexperten beim Kreis Pinneberg sind alarmiert und veranstalten Fachtagung.
Die meisten jungen Frauen, die Mütter werden, dürften wissen, dass Alkohol Gift für ihre ungeborenen Kinder in der Schwangerschaft ist. Gleichwohl trinken nach Angaben der Deutschen Hauptstelle für Suchtgefahren (DHS) vier von fünf schwangeren Frauen mehr oder weniger Alkohol, ein Drittel sogar regelmäßig. Und: Nur eine von 16 werdenden Müttern verzichtet ganz darauf. Das führt dazu, dass 40 von 1000 Neugeborenen mit Alkoholschäden auf die Welt kommen, wie die Uni Münster jüngst in einer Studie herausfand. Bei etwa 790.000 Geburten im Jahr entspricht das mehr als 30.000 kranke Babys. Für das Team Suchtprävention und frühe Hilfen der Kreisverwaltung ist das ein Alarmzeichen.
Alkoholkonsum von Schwangeren - Fachtagung im Kreis Pinneberg
„Das Thema ist uns eine Herzensangelegenheit“, sagt Silvia Stolze. Denn die gesundheitlichen Schäden und Folgewirkungen, die der Alkoholkonsum während der Schwangerschaft noch Jahre später beim Kind auf seine körperliche und geistige Entwicklung und sein Verhalten auslösen kann, sei „absolut vermeidbar“: „Diese werdenden Mütter brauchen einfach nur keinen Alkohol zu trinken“, sagt Kollegin Ramona Lübcke, die die Erziehungshilfen der Familienbildungsstätten für junge Familien koordiniert, die zurzeit kreisweit 350 Familien in Anspruch nehmen. „Am besten für Mutter und Kind ist ein Null-Konsum.“
Um das Thema Alkohol in der Schwangerschaft so breit wie möglich zu streuen und Aufmerksamkeit zu erzielen, lädt der Kreis Pinneberg alle Fachleute zu einer Fachtagung ein, die am Mittwoch, 21. Oktober, von 13 bis 18 Uhr als Online-Videokonferenz läuft. Es wird Vorträge, Diskussionen und jede Menge Informationen geben, kündigt Silvia Stolze an.
Kinder trinkender Schwangerer sind oft krank
Bis zu 50 Teilnehmer können sich anmelden. Angesprochen seien vor allem Hebammen, Ärzte, Kinderärzte, Jugendpsychologen, Gynäkologen, Suchtberater und Sozialpädagogen aus den Kindertagesstätten. Ein Neurologe werde über die motorischen und mentalen Schäden referieren, die das sogenannte „fetale Alkoholsyndrom“ ein Leben lang bewirken kann. Auch eine erfahrene Suchtberaterin sowie eine Mütter-Initiative kämen zu Wort.
Die gesundheitlichen Folgeschäden, die der Alkoholkonsum von Müttern in der Schwangerschaft verursacht, könnten oft erst Jahre später auftreten, weiß Stolze. In den seltensten Fällen werde es sofort bemerkt und rechtzeitig eingegriffen. Kleinwuchs, Organschäden, Konzentrationsschwächen, Gleichmut, motorische Störungen oder Verhaltensauffälligkeiten zeigten sich dafür erst nach einigen Jahren, wenn es womöglich schon zu spät sei, um medizinisch gegenzusteuern. Nach Einschätzung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung werde jedes zweite bis fünfte betroffene Kind später selbst alkoholabhängig.
Auch werdende Väter können ihre Beitrag leisten
„Unser Ziel ist es, dafür zu sorgen, dass alle Säuglinge im Kreis Pinneberg einen optimalen Start ins Leben nehmen können“, betont Silvia Stolze. Immerhin 3000 Kinder kämen jedes Jahr in den Familien des Kreises Pinneberg zur Welt.
Eine Schwangerschaft sei gerade für junge Mütter eine besondere Herausforderung, die als belastend empfunden werden und den bisherigen Lebensalltag umkrempeln kann. Dazu prasseln oft die besten Ratschläge auf die jungen Frauen ein, die sie kaum richtig einordnen können. Das gelte auch für den Alkoholkonsum. Denn der Hinweis der Weltgesundheitsbehörde, dass ein Glas Alkohol am Tag bei Frauen kein großes Risiko für ihre Gesundheit darstelle, sei gerade für Schwangere irreführend, warnt Silvia Stolze. Selbst Ärzte und andere Fachleute würden manchen Müttern heute noch raten, dass ein Glas Sekt den Milchfluss anrege, die Plazenta in der Gebärmutter den Fötus vor dem Alkohol schütze oder ein Glas Wein nicht schaden könnte. „Doch für Schwangere gilt das nicht.“ Alkohol könne im Einzelfall immer schädlich sein für das ungeborene Kind im Mutterleib.
Hinzu komme, dass es Mütter gibt, die bereits ein Suchtverhalten haben. „Bei Frauen ist die Sucht oft leise und heimlich“, sagt Silvia Stolze. Anderen falle es schwer, in ihrem Verwandten- und Freundeskreis ganz auf Alkohol zu verzichten, stellt Ramona Lübcke ein weiteres Problemfeld dar. Womöglich dürfe es noch keiner erfahren, dass sie schwanger sind. „Wie lehne ich ein Glas Wein ab, ohne gleich zugeben zu müssen, dass ich schwanger bin?“, sei dabei ein Dilemma, das bei dieser Fachtagung ebenfalls ausführlich besprochen werden soll.
Und auch das Verhalten der werdenden Väter wird eine Rolle spielen. „Die Väter wollen wir natürlich auch ansprechen, weil sie die Verantwortung mit den Müttern teilen könnten“, sagt Ramona Lübcke. Wenn die während der Schwangerschaft auch auf den Konsum von Alkohol verzichteten, falle es ihren Frauen auch leichter. „Die Belastung, Job, Familie und Kind unter einen Hut zu bringen, ist schwer genug für die jungen Mütter“, sagt Silvia Stolze. Da sollten sie es sich nicht noch schwerer machen, indem sie das ungeborene Kind schädigten, bevor es überhaupt auf die Welt kommt.
Es betrifft alle gesellschaftlichen Schichten
Die Dunkelziffer des fetalen Alkoholsyndroms dürfte sehr hoch sein. Davon ist Dinah-Ann Lendzian überzeugt, die als Heilpraktikerin und Psychotherapeutin in Elmshorn arbeitet. Sie selbst hat eine Tochter, die an dieser Krankheit leidet, die sie vor zwölf Jahren adoptiert hat. „Oft wird die Krankheit falsch diagnostiziert und mit ADHS verwechselt. Die Unwissenheit ist noch groß. Der Aufklärungsbedarf ist hoch.“
Nicht nur die Menge des Alkohols, sondern auch der Zeitpunkt innerhalb der Schwangerschaft könne die Schäden am ungeborenen Kind erhöhen. „Das reicht von leichten Verhaltensauffälligkeiten bis hin zu geistiger Behinderung“, sagt Dinah-Ann Lendzian, die sich seit einem guten Jahrzehnt mit diesem Thema intensiv beschäftigt. Sie glaubt: „Das betrifft alle Schichten.“
Die werdenden Mütter unterschätzten das Problem. „Viele Frauen können sich nicht vorstellen, wie schädlich Alkohol ist.“
Fachtagung: „Fetales Alkoholsyndrom“, Videokonferenz des Kreises Pinneberg, Mi 21.10., 13–18 Uhr. Anmeldung bis 9.10. per E-Mail an m.viehmann-erich@kreis-pinneberg.de.