Elmshorn. Der Tischler Jan-Markus Göbel hat den Hang zum Großen. Er stellt den Designklassiker auch als Drei-Meter-Skulptur her.
Es riecht wunderbar nach Holz. Jan-Markus Göbel wischt den Staub von einem Adirondack Chair ab, der an einen Kunden verschickt wird. In seiner Elmshorner Tischlerei wird der gemütliche Gartenstuhl aus Holz in Handarbeit gefertigt. Im Norden Deutschlands ist das Möbelstück auch als Alsterstuhl oder als Hummelstuhl bekannt.
Weiß lackiert, schmücken die Parksessel jedes Jahr in den Sommermonaten die Parkwiesen rund um die Alster wie auch den Park Planten un Blomen, den Jenischpark oder den Botanischen Sondergarten in Hamburg-Wandsbek. In unserer Gegend gehören sie zum Inventar der Hansestadt, sind ein starkes Symbol hanseatischer Gelassenheit.
Drei Meter hoher Stuhl als Kunstobjekt
Dass ein Alsterstuhl viel mehr als nur ein einfacher Gartenstuhl ist, beweist die XXL-Version, die der Elmshorner Tischler und sein vierköpfiges Team im Auftrag der Hamburger Firma BeSeaside Ende Juli vor den Toren der Hansestadt gefertigt haben. Mit drei Metern Höhe ist er viel zu groß, als dass jemand darauf sitzen könnte.
Es ist eher ein markantes Kunstobjekt als ein einfaches Sitzmöbel, gemacht für schaulustige, fotohungrige oder kletterfreudige Gäste, die das neu errichtete Hotel Papa Rhein in Bingen besuchen. Denn dort, direkt am Rhein, steht nun der Riesenstuhl.
Für die Tischler war das eine Herausforderung, die aber „unwahrscheinlich viel Spaß gemacht hat“, wie Göbel sagt. „Wir sind es ja gewohnt, Alsterstühle herzustellen – in gängiger Größe“. Diese Maße mussten folglich erst auf einer Skizze verdreifacht werden, das Kambala-Holz aus FSC-zertifizierten Anbau zugeschnitten und schließlich zusammen- und zum Transport abgebaut werden.
„Es war eine schöne handwerkliche Arbeit. Drei Tage, ungefähr 60 Stunden, haben wir gearbeitet“, sagt der 48-Jährige. Am 30. Juli fuhr Göbel mit Kollege Meik Kröger nach Bingen. Zwei Stunden nach Ankunft am Rhein war der frisch geölte Riesenstuhl, der etwa eine Tonne wiegt, bereits aufgebaut. „Planung ist alles“, sagt Göbel zufrieden.
Der XXL-Stuhl ist der zweite seiner Art, der in Deutschland vor einem Hotel steht. Ein weiß lackierter Riese aus Eichenholz wurde Anfang 2017 vor dem damals neuen Beach Motel in Heiligenhafen aufgestellt. „Wir realisieren gerne besondere Aufträge, aber diese XXL-Stühle sind schon eine echte Spezialität“, meint auch Christof Kroczek, Inhaber von BeSeaside.
„Eher ein Lebensgefühl als eine Sitzgelegenheit“
Das Hamburger Label hat sich seit 2015 mit Herz und Seele dem Adirondack Chair und seiner Weiterentwicklung verschrieben. BeSeaside bietet die beliebte Sitzgelegenheit in der Standardausführung und auch als Sondermodelle an – mit verschiedenen Oberflächen und Lackierungen. „Wir bauen eher ein Lebensgefühl und nicht nur eine Sitzgelegenheit – dazu passt unsere Inspirationsquelle, die Welt des Meeres, der Küste und des Strandes“, unterstreicht der Gründer.
So entstanden jetzt in der Elmshorner Tischlerei zwei Stühle für die Pflege- und Betreuungskräfte des Senioren- und Pflegezentrum Theodor-Fliedner-Hauses in Hamburg-Bramfeld. Es ist ein Dankeschön, ein Zeichen der Anerkennung in der Corona-Pandemie, für die Mitarbeiter. Statt mit vier Rückenstreben wie in der originalen Fassung, hat sein Pendant fünf. „Wir haben ein Produkt, in dem man sich ausruhen und erholen kann, und wenn es nur mal fünf Minuten zwischendurch sind“, sagt Kroczek.
Der Alsterstuhl stammt in seiner Ur-Form aus Nordamerika. Dort wurde er 1905 von Thomas Lee in den Adirondack Mountains im US-Bundesstaat New York anlässlich einer Gartenparty entworfen. Während der Internationalen Gartenbauausstellung (IGA) wurden solche Stühle 1953 zum ersten Mal im Alstervorland aufgestellt. Leider hat ihr Bestand von 175 Stühlen in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder unter Vandalismus und der Witterung gelitten. Seit Ende der 1980er-Jahre werden pro Saison 30 bis 50 Alsterstühle zerstört. Besonders schlimm war es 1994: Knapp zwei Monate, nachdem 110 Sessel an der Alster aufgestellt worden waren, waren 45 von ihnen verfeuert, zerschlagen, zertreten oder gestohlen worden. „Im März 2017 haben wir der Stadt 25 neue Stühle geliefert. Wer weiß, wie viele von denen wieder in der Alster gelandet sind“, fragt sich Kroczek.
Um die Instandsetzung kaputter Alsterstühle kümmern sich ebenfalls die Tischler in Elmshorn. Schrauben werden nachgezogen, Schmiererein wegpoliert und Bruchstellen im Holz genau untersucht, um Schwachstellen in der Konstruktion zu erkennen, denn: „Qualität ist uns sehr wichtig“, sagt Kroczek.