Kreis Pinneberg. Fast alle Städte im Kreis haben kräftige Bevölkerungszuwächse. Warum vor allem Hamburger Familien ins Umland ziehen.

Ob Elmshorn, Wedel oder Halstenbek – der Kreis Pinneberg wächst und wächst und wächst. Sogar die Helgoländer sind im Jahr 2019 mehr geworden. Und mit ihrem Zuwachs von 41 Einwohnern sind die Insulaner kein Einzelfall. Der überwiegende Teil der Städte und Gemeinden im Kreis hat im Vorjahr einen kräftigen Bevölkerungsanstieg verzeichnet. Insgesamt wuchs die Einwohnerzahl im Kreis Pinneberg um 0,54 Prozent auf nun 316.103 Menschen – fast 2000 mehr als im Vorjahr.

Als Gründe des Wachstums werden von der Kreisverwaltung die Zuzüge von außerhalb ins Feld geführt. Vor allem sei „weiterhin ein starker Zuzug von jungen Familien aus Hamburg“ zu beobachten. „Suburbanisierung“ wird dieser Trend in einer Lebensphase der Familiengründung genannt, wenn der Wunsch nach größerem und günstigerem Wohnraum ehemals überzeugte Großstädter ins Umland zieht – in guter Pendlerdistanz, versteht sich. Denn Arbeitsort bleibt für die Zuzügler oft Hamburg.

Mehr Todesfälle als Geburten – trotzdem steigt Einwohnerzahl

Vor diesem Hintergrund legten vor allem die direkten Nachbarkommunen Hamburgs zu. Halstenbek genau wie Schenefeld, Rellingen, Ellerbek, Bönningstedt, Wedel oder die Stadt Pinneberg (siehe Karte). Aber auch Elmshorn, Kölln-Reisiek, Tornesch oder Bokel, ganz im Norden des Kreises und vermeintlich weit weg von Hamburg, gewannen Einwohner.

Als einer der Bevölkerungsgewinner sieht Halstenbeks Bürgermeister Claudius von Rüden seine Gemeinde vor allem im Gesamtpaket als attraktives Ziel für Zuzügler: „Halstenbek ist sehr beliebt vor allem bei jungen Familien. Wir haben hier einfach alles, was eine Familie sucht.“ Dazu zählten viel Grün, beste Verkehrsanbindungen, kurze Wege in der Gemeinde oder eine abwechslungsreiche Kitalandschaft sowie moderne Schulen. „Kurzum“, so von Rüden: „es ist einfach sehr lebenswert hier!“

Halstenbeks Zuwachs sei dabei erstaunlicherweise nicht durch große Bebauungsgebiete ausgelöst, so von Rüdem. „Die haben wir gar nicht.“ Der Zuzug entstünde durch Bauen im privaten Bereich. Häuser mit großem Garten werden zum Teil mit zwei oder sogar drei Doppelhaushälften nachverdichtet. „Wir bleiben jung und sind am Puls der Zeit.“ Mögliches Indiz dafür: Sogar der Hamburger 187-Straßenbande-Skandalrapper Gzuz ist in Halstenbek gemeldet.

2019 gab es 806 Sterbefälle mehr als Geburten

Diese positive Bevölkerungsentwicklung im ganzen Kreis führt laut Verwaltung zu einer leichten Abschwächung des demographischen Wandels – die Überalterung der Gesellschaft sei im Kreis Pinneberg weniger ausgeprägt. Dennoch wird im Kreis nach wie vor mehr gestorben als geboren. 2019 gab es 806 Sterbefälle mehr als Geburten.

Es sind also vor allem Neuansiedlungen von Menschen aus anderen Gegenden, die unter anderem Elmshorn zur „Boomtown im Westen des Kreises“ machen, wie Bürgermeister Volker Hatje sagt. „Und die großen Baugebiete und Projekte wie an der Lerchenstraße oder das ehemalige C&A-Gebäude werden ja erst noch fertig. „Wir bleiben attraktiv.“

Laut einer aktuellen Mietpreisuntersuchung ist es vor allem die Attraktivität Hamburgs, die auf das Umland ausstrahlt. Im Kreis Pinneberg etwa sind die Mietpreise zuletzt um sechs Prozent gestiegen, durchschnittlich werden inzwischen 9,50 Euro pro Quadratmeter aufgerufen. Wie alle Landkreise im sogenannten Speckgürtel zählt Pinneberg damit zwar zu den teuersten Regionen des Nordens, verglichen mit der Metropole selbst können ehemalige Mieter aus Hamburg im Kreis aber nach wie vor Geld sparen.

Eine Entspannung auf dem Wohnungsmarkt sei nicht zu erwarten

Wedel etwa profitiere gleich doppelt von seiner für viele Menschen besonders attraktiven Lage, sagt Bürgermeister Niels Schmidt. „Durch die Nachbarschaft zu Hamburg und die gute Nahverkehrsanbindung ist Wedel zum einen für Berufspendler interessant. Gleichzeitig bildet Wedel eine gute Balance zwischen Großstadtnähe, Elblage und Naturschutzgebieten der Marsch.“

Neubau- und Nachverdichtungsprojekte hätten mehr Wohnraum für Wedeler und Neu-Wedeler geschaffen. Neubürger sind laut Schmidt ein „Zukunftsfaktor“, weil so Talente und Fachkräfte für Wedeler Unternehmen in die Stadt kämen. Gleichwohl bringe die wachsende Einwohnerzahl auch Herausforderungen mit sich.

Wegen der Zunahme an Pendlerbewegungen etwa sei der Ausbau des Nahverkehrs, der Radwege und der Straßen eine große Zukunftsaufgabe, sagt Kreissprecherin Silke Linne. Dem wachsenden Bedarf an Kitaplätzen und Schulen nachzukommen dürfte ein Herkulesprojekt der kommenden Jahre werden. Zugleich müssen die Pflegeplätze ausgebaut werden. Eine Entspannung auf dem Wohnungsmarkt sei wegen der ungebrochen hohen Nachfrage nicht zu erwarten. „Insgesamt steigen die Ausgaben für den sozialen Bereich“, sagt Linne.

Das Tempo der Zuzüge auch beim Ausbau dieser Infrastruktur zu halten sei nicht leicht, sagt Sabine Kählert. Die Bürgermeisterin der laut Bertelsmann Stiftung „prosperierenden“ Stadt Tornesch sieht vor allem das dafür benötigte „hohe Investitionsvolumen“ kritisch. Angesichts von coronabedingten rückläufigen Steuereinnahmen werde die gewünschte Anpassung jedenfalls „erheblich erschwert“.

Tempo der Zuzüge ist eine Herausforderung

Gründe für den Zuzug sieht Torneschs Verwaltungschefin in angemessenen Baulandpreisen, dem neuen Baugebiet „Tornesch am See“ sowie der Nachverdichtung im Zentrum. In ihrer Stadt lasse sich Familie und Beruf gut vereinbaren. Nicht zuletzt wegen Autobahn- und Bahnanschluss nach Hamburg.

Um das Tempo des Wachstums überschaubar zu halten, sei die Stadt Pinneberg um „moderaten Zuzug“ bemüht, sagt Stadtsprecherin Maren Uschkurat. Der neuerliche Einwohnergewinn sei „eine Mischung aus Restzuzügen in die Parkstadt Eggerstedt und Nachverdichtung in bestehenden Baugebieten.“ Auch Uschkurat sieht „die Attraktivität der Stadt als Wohnstandort in der Metropolregion mit S-Bahnanschluss, Grün, ruhigen Wohngebieten und der Nähe zum Klövensteen“ als ausschlaggebend.

Ein „Wachstum von durchschnittlich mindestens 100 Wohnungen im Jahr“ halte die Pinneberger Stadtverwaltung für sinnvoll. Damit könnte der demographische Wandel abgefedert, das Einkommensteueraufkommen stabilisiert werden. Klamm bleibt die Stadtkasse nämlich trotz vieler Einwohner.