Appen. Wohltätigkeitsorganisation soll das Format ändern. Mehr als sechs Millionen Euro wurden für krebskranke Kinder gesammelt.
Das Ziel: „Eine neue Ära starten.“ Nicht weniger hat sich Rolf Heidenberger für die von ihm ins Leben gerufen Wohltätigkeitsaktion „Appen musiziert“ vorgenommen. Die größte, ausschließlich ehrenamtliche organisierte Benefizveranstaltung Deutschlands zugunsten krebs- und schwerstkranker Kinder soll auf einen neuen Pfad gelenkt werden. Die karitative Institution, die in ihrer 30-jährigen Geschichte mehr als sechs Millionen Spendengelder eingenommen hat, wird zu einem eingetragenen Verein gemacht.
Dazu lädt Heidenberger für den heutigen Mittwoch zur Gründungsversammlung. Ort der Versammlung ist die Sporthalle Distelkamp. Gegründet wird von 19 Uhr an.
Schlagerstars, Volksmusiker – alle waren sie schon in Appen
Es gibt gleich mehrere Gründe für diesen Wechsel. Der erste ist ein Organisatorischer: Bisher existierte „Appen musiziert“ als eine Unterorganisation des Spielmannszuges Appen, dessen Vorsitzender Heidenberger 30 Jahre lang war. Und der Spielmannszug ist wiederum Teil der Feuerwehr Appen. „Der Spielmannszug hat viele junge Mitglieder. Sie wollen Musik machen, haben aber nicht so ein großes Interesse, sich im Vorstand von ‘Appen musiziert’ zu engagieren“, berichtet Heidenberger. Es wurde immer schwieriger, Vorstandsposten zu besetzen.
Der nächste Grund: Als eingetragener Verein kann „Appen musiziert“ Spendenbescheinigungen ausstellen. Damit wird die karitative Arbeit auf neue finanzielle Beine gestellt. In den 25 Jahren nach dem Start 1990 wurden die Spendengelder hauptsächlich durch die großen Wohntätigkeitsgalas erwirtschaftet.
Torfrock, Mary Roos und Katja Ebstein sangen mit
Berühmte Unterhaltungskünstler wie Mary Roos, Torfrock, Middle of the Road, Franz Lambert, Michael Holm, Rolf Zuckowski, Harpo, Boney M, Katja Ebstein, Nicole, Claudia Jung, Les Humphries Singers, Drafi Deutscher, Wildecker Herzbuben, Baccara, Chris Andrews und Barry Ryan traten schon für die gute Sache auf. Prominente, wie Uwe Seeler, Günter Willumeit, Jo Brauer, Carlo von Tiedemann, Dagmar Berghoff und Heide Simonis haben sich gern für den wohltätigen Zweck einspannen lassen. Die Galas wurden zu großen und stimmungsvollen Veranstaltungen. Fans konnten Wiedersehen mit ihren Schlagerhelden, Volksmusikanten und Popstars feiern.
Mit der letzten Charity-Gala 2015 wurden allein 542.000 Euro eingenommen. Dies war die höchste Summe in der Geschichte von „Appen musiziert“. Heidenberger wurde immer wieder gefragt, ob es nicht eine neue Gala geben könnte, berichtet der Schöpfer von „Appen musiziert“. Doch er hätte 2015 gegenüber den Sponsoren angekündigt, dass es das letzte große Konzert werden solle, und daran wolle er sich halten, so Heidenberger. Durch Corona sowie die deutlich gestiegenen Sicherheitsauflagen für solche Großveranstaltung sei es auch nicht mehr möglich, so etwas zu organisieren.
Auslöser zur Gründung von „Appen musiziert“ war die Leukämieerkrankung der Tochter eines Fleischwerk-Mitarbeiters, für die Heidenberger innerbetrieblich eine Typisierungsaktion organisierte. 100 Prozent der Einnahmen wurden gespendet, strich Heidenberger immer nicht ohne Stolz heraus. Projekte an den Kinderkliniken des Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) und des Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH) konnten mit den Spendengeldern gefördert werden. Vereine, Institutionen und Einrichtungen, die sich um kranke Kinder und ihre Familien kümmern, wie etwa die Hamburger Kinderlotsen, konnten Dank „Appen musiziert“ bei ihrer Arbeit unterstützt werden.
Letztlich zeichnet sich mit der Gründung des Vereins auch ein Wachwechsel ab. Heidenberger, mittlerweile 70 Jahre alt, will eine Stabübergabe an Jüngere vorbereiten. Ganz so weit ist es allerdings noch nicht, denn der ehemalige Chef des Edeka-Fleischwerkes in Pinneberg strotzt vor Kraft und Elan (siehe unten stehender Text).
Feuerwehrchef ist automatisch Mitglied
Er will den Vorsitz des zu gründen Vereins übernehmen. Die alten Netzwerke der Hilfe für krebs- und schwerstkranke Kinder wurden reaktiviert. Politiker, Firmen und Künstler haben ihre Unterstützung zugesagt. Gesundheitsminister Heiner Garg (FDP) gehört zu den Förderern. 124 Mitglieder haben sich bereits registrieren lassen. Der Vereinsbeitrag liegt bei 20 Euro jährlich. Heidenberger weiß von vielen Mitgliedern, dass sie deutlich mehr zahlen wollen.
Die Verbindung zur Feuerwehr des Dorfes soll durch die Vereinsgründung nicht gekappt werden. Der Vereinsame „Appen musiziert – eine Initiative der Freiwilligen Feuerwehr Appen“ dokumentiert die alte und neue Verbundenheit. Und der Chef der Appener Feuerwehr ist kraft seines Amtes Beisitzer im neuen Verein.
Ein bisschen wird im Rahmen der Gründungsversammlung noch in den Erinnerungen an alte Zeiten geschwärmt. Sind die Formalien abgearbeitet, tritt Herr Holm auf: Der Hamburger Komödiant Dirk Bielefeldt hatte in seiner Rolle als Polizist denkwürdige Auftritte bei Appen musiziert. Denn bei aller Ernsthaftigkeit des Vereinszwecks darf das Lachen nie zu kurz kommen.
Gründer hatte selbst Krebsdiagnose
Rolf Heidenberger, der Kopf hinter Appen musiziert, weiß aus eigener Erfahrung, was es bedeutet, an Krebs zu erkranken. 2014 wurde bei ihm Schwarzer Hautkrebs diagnostiziert. „Ich dachte, es war ein Pinkel hinter dem Ohr“, erinnert er sich. Doch sein Hautarzt musste ihn eines Besseren belehren. Und der Tumor hatte bereits metastasiert, die Lunge war befallen. Der heute 70-jährige musste zweimal operiert, Hautkrebs und Metastasen in der Lunge entfernt werden. Eine Nachbehandlung war jedoch nicht nötig.
2016 bei einer Nachuntersuchung dann allerdings die böse Nachricht. Der Krebs in der Lunge ist zurückgekehrt. Nach Beratungen mit den Onkologen entschied Heidenberger: es wird nur bestrahlt. Die bösartigen Geschwulste konnten ein zweites Mal erfolgreich bekämpft werden. Heute kann er von sich sagen, dass er krebsfrei ist. Doch Heidenberger gibt zu, dass ihn jedes Mal ein mulmiges Gefühl befällt, wenn die nächste Routineuntersuchung ansteht.
„Appen musiziert hat mein Leben gerettet“, sagt Heidenberger. Denn über die Kontakte, die er während seiner ehrenamtlichen Arbeit für die karitative Organisation geknüpft hatte, gelang es ihm, schnell Termine bei Fachärzten und -kliniken zu bekommen. „Das Ehrenamt kann viel zurückgeben.“ Auch deshalb sei es wichtig, sich für andere Menschen zu engagieren.