Wedel. Elmshornerin Birgitt Piepgras bietet besondere Exkursionen in die Wedeler Marsch an. Ein Besuch bei Großer Grasbüscheleule und Co.
Die untergehende Sonne taucht die Wedeler Marsch in ein goldenes Licht. Die Luft ist geradezu warm, ab und an kreischen Möwen, schnattert eine Nilgans. Am Deich entlang geht es zur Nabu-Vogelstation, wo Birgitt Piepgras gerade ihren Leuchtturm aufbaut.
Leuchtturm? So nennt sich diese Lichtquelle von der Größe einer Stehlampe, die im Laufe des Abends Nachtfalter anlocken soll. Um die soll es heute gehen.
Die 62-jährige Piepgras, eine gelernte Industriekauffrau, beschäftigt sich seit ungefähr 15 Jahren mit den Tierchen. Mittlerweile ist das Hobby zu einem Vollzeitjob geworden, wie sie sagt. Angefangen hat alles damit, dass ihr Hund nachts in den Garten musste. „Aus dem Augenwinkel habe ich dann gesehen, dass sich am Sommerflieder etwas bewegt hat.“ Von Neugier gepackt, schnappte sie sich ihre Kamera und fotografierte das Tier. Nach einiger Recherche fand sie dann heraus, dass es sich um eine sogenannte Gammaeule handelte, um einen Nachtfalter also. Mit dieser Erkenntnis war das Interesse an den nachtaktiven Gestalten geweckt. Mittlerweile kann die Elmshornerin die lateinischen Namen fast aller in Schleswig-Holstein vorkommenden Arten auswendig. Dieses Wissen möchte sie an diesem Abend an ihre Zuhörer weitergeben.
Einige von ihnen sind schon früh da, so wie Florian Schneider. Der Betriebswirt interessiert sich schon von Kindesbeinen an für Tag- und Nachtfalter. Auch zu Hause beobachtet er Nachtfalter, wozu er ein wenig Pflaumenmus auf eine Astgabel aufträgt, dessen süßer Duft die Falter dann anlockt. Er ist gespannt, welche Falter heute dank des Leuchtturms beobachtet werden können. „Es ist wie eine Wundertüte“, erzählt er begeistert. Was ihn besonders fasziniere, sei die Vielgestalt der Nachtfalter, die den Schmetterlingen in Punkten der Ästhetik in nichts nachstünden.
Nachtfalter orientieren sich am Licht des Mondes
Viele kommen, einfach weil sie es spannend finden. So auch Käthi Schacht, die vor Kurzem in den Nabu eingetreten ist und nun ein paar Veranstaltungen besuchen möchte. „Eigentlich bin ich ja eher angewidert von Faltern“, sagt sie, „aber ich finde es mal ganz interessant, sie ein wenig näher kennenzulernen.“
Der Leuchtabend ist ausgebucht, 15 Leute sind da. Seit acht Jahren findet jedes Jahr im Juli ein Leuchtabend statt, in normalen Zeiten kommen immer bis zu 30 Personen. „Wir waren uns etwas unsicher, ob wir den Leuchtabend überhaupt stattfinden lassen können“, sagt Marco Sommerfeld, der seit 2005 Leiter der Vogelstation in der Wedeler Marsch ist. Aber nun leuchtet der Leuchtturm.
Während sein Licht immer heller wird, erklärt Birgitt Piepgras: Sobald die ersten Falter in Sicht sind, sollen sich die Zuschauer nicht mehr im Bereich der Lampe aufhalten. Sie könnten sonst ungewollt Falter, die am Boden sitzen, tottreten. Es dauert ein bisschen, bis die ersten Falter anfliegen, noch ist es zu hell. „Nachtfalter orientieren sich am Licht des Mondes. Dessen Strahlen fallen parallel auf die Erde, und so ermittelt der Nachtfalter, in welchem Winkel zu den Mondstrahlen sein Ziel liegt“, erklärt Piepgras. Da die Lampe aber im Unterschied zum Mond ihr Licht strahlenförmig ausstrahlt, flögen die Falter immer um sie herum.
Im Land gibt es 850 Arten von Schmetterlingen
Jetzt ist der erste Falter gelandet. Piepgras sammelt ihn ein, verfrachtet ihn in eine kleine Dose und stellt die auf einen Tisch. Nun kann jeder den Falter dann in aller Ruhe aus der Nähe anschauen. Der erste Falter, der eingefangen wird, ist eine sogenannte Messingeule, die messing- beziehungsweise goldfarben schillert, wenn man sie mit der Taschenlampe anleuchtet.
In Schleswig-Holstein gibt es bis zu 850 Arten von Schmetterlingen. Schmetterlinge unterscheidet man generell in Tag- und Nachtfalter. Im normalen Sprachgebrauch werden die Nachtfalter oft als Motte und die Tagfalter als Schmetterling bezeichnet. Nur circa 70 Schmetterlingsarten sind Tagfalter, der Rest Nachtfalter. Obwohl so eine große Vielfalt an Arten existiert, gibt es in ganz Schleswig-Holstein nur drei Personen, die sich mit Nachtfaltern wissenschaftlich auseinandersetzten. Eine von ihnen ist Birgitt Piepgras.
Zwei Experten seien mittlerweile verstorben. Das sei auch fachlich ein großer Verlust, denn: „Mit jedem Experten sterben mehr als 1000 Arten aus.“ Denn das meiste Wissen über Nachtfalter könne man nicht einfach so nachlesen, sondern müsse es mit der Zeit erlernen. Nachtfalter anlocken dürfe auch nicht jeder. Es bedarf einer Genehmigung, nachts mit dem Leuchtturm zu leuchten und Falter anzulocken. Die bekämen aber auch Anfänger, wenn sie sich von einem Experten anleiten lassen. Birgitt Piepgras hat natürlich auch eine und leuchtet an unterschiedlichen Orten, dabei mache ihr die Dunkelheit gar nichts aus. „Je weiter weg ich von der Zivilisation bin, desto lieber mache ich das.“
Nachtfalter fliegen das ganze Jahr über, im Juni und im Juli jedoch ist die Hauptflugzeit. Aber obwohl an diesem Abend gute Bedingungen sind, fliegen nur wenige Falter den Leuchtturm an. Die Zahl der Arten sei in den letzten Jahren sowieso zurückgegangen, sagt Piepgras. „Vor zehn Jahren habe ich in einer Nacht mehr als 350 Arten anlocken können. Heute bin ich froh, wenn es überhaupt noch zwölf sind.“ Am Ende des Leuchtabends sind aber doch noch einige Arten zusammengekommen. Julia Schiekel ist auch das erste Mal bei einem Leuchtabend dabei und fasst zusammen: „Es war mal was Neues, ich fand es ganz interessant. Und es war auch gar nicht so schlimm, dass nicht so viele Falter gekommen sind.“ Auch Käthi Schacht ist begeistert: „Ich fand es super.“
Gegen Mitternacht ist der Leuchtabend zu Ende, Birgitt Piepgras geht aber noch lange nicht. Sie möchte jetzt Fledermäuse zählen, ihr zweites Steckenpferd. Die Besucher tasten sich derweil im Schein ihrer Taschenlampen am Deich entlang in Richtung Zivilisation. Marco Sommerfeld ruft ihnen hinterher: „Stolpern Sie nicht über die Schafe!“
Das ist die Vogelstation
Die Vogelstation in der Wedeler Marsch existiert seit den 70er-Jahren. Seit 1984 wird das 24 Fußballfelder große Gelände vom Nabu betreut und ist eines der ornithologisch am besten erfassten Gebiet in ganz Deutschland.
In den 70er-Jahren verwandelte sich das Gebiet hinter dem Deich in ein Paradies für Wasservögel, in dem verschiedene Gänse- und Entenarten, Kiebitze, Bekassinen und Zwergtaucher aufzufinden sind.
Geöffnet ist die Vogelstation Mittwoch, Donnerstag und Sonnabend von 10 bis 16 Uhr. Besucher können sich auf Schautafeln über die Lebensräume der Wedeler Marsch erkundigen und erhalten an drei Beobachtungsständen Einblicke in die Vogelwelt. Wegen der geltenden Corona-Regeln müssen Besucher ihre Kontaktdaten hinterlegen.
Das Auto parkt man am besten am Parkplatz Fährmannssand, von da aus geht es noch circa 20 Minuten zu Fuß bis zur Station. Ein genauer Anfahrtsplan ist unter www.nabu-hamburg.de/vogelstation zu finden.