Kreis Pinneberg. Der Kreis muss sich gegen Hamburg behaupten. Wer sich verpflichtet, nach bestandener Prüfung zu bleiben, bekommt Extra-Geld.

Nur etwa 30 der 70 jedes Jahr fertig ausgebildeten Erzieherinnen und Erzieher an der Kreisberufsschule arbeiten anschließend in Kindertagesstätten im Kreis Pinneberg. „Hamburg ist ein Staubsauger und saugt alles auf“, sagt Berufsschulleiter Ulrich Krause von der Kreisberufsschule in Pinneberg. Das soll sich jetzt ändern.

Der Pinneberger Kreistag hat gegen die Stimmen der AfD mit großer Mehrheit beschlossen, mit Ausbildungsbeginn zum 1. August dieses Jahres ein Stipendium für angehende Erzieherinnen und Erzieher einzuführen. Diese erhalten während ihrer dreijährigen Ausbildung monatlich 515 Euro ausbezahlt, sofern sie keine andere staatliche Unterstützung wie zum Beispiel Bafög erhalten – und sofern sie sich verpflichten, nach ihrer Ausbildung mindestens drei Jahre lang in einer Kindertagesstätte im Kreis Pinneberg arbeiten.

Hamburger Kitas werben Erzieher aus Pinneberg ab

Damit soll der Abwerbung dieser sozialpädagogischen Fachkräfte nach Hamburg endlich Einhalt geboten werden, so die Hoffnung der Kreispolitik. Mit höheren Gehältern, besseren Arbeitsbedingungen, flexibleren Arbeitszeiten und zusätzlichen Leistungen wie der Erstattung der Fahrkosten würden bislang die Hamburger Kitas die meisten Erzieherinnen und Erzieher aus dem Kreis Pinneberg erfolgreich abwerben, sodass hier der Fachkräftemangel in diesem Bereich immer weiter zunehme, erklärt Berufsschulleiter Krause.

So fehlten allein wegen der Kita-Reform in den 160 Kindergärten im Kreis Pinneberg mit ihren 2300 Mitarbeitern zurzeit 130 Stellen für Erzieherinnen, Erzieher sowie sozialpädagogische Assistentinnen und Assistenten, erklärt Fachdienstleiter Michael Leeske in der Kreisverwaltung.

Um den Bedarf von Abwanderung junger und älterer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die in Rente gehen, zu decken, müsste der Kreis jedes Jahr 200 zusätzliche Erzieherinnen und Erzieher ausbilden, rechnet Leeske vor.

Fachkräfte sollen im Kreis Pinneberg gehalten werden

Mit dem Stipendium will die Kreispolitik den Trend der Abwanderung stoppen. „Der Bedarf ist da, und wir sind uns auch fast alle darüber einig“, begründete Kerstin Seyfert (CDU), Vorsitzende des Ausschusses für Schule, Kultur und Sport des Kreistages, diese Initiative, die wegen der Coronavirus-Krise jetzt erst verspätet beschlossen werden konnte. „Wir brauchen diese Fachkräfte unbedingt und müssen sie auch im Kreis Pinneberg halten.“

So ist beschlossen, den angehenden Erzieherinnen und Erziehern während ihrer gesamten dreijährigen Ausbildungszeit ein monatliches Stipendium von 515 Euro zu zahlen. Damit sie dann auch hier bleiben, werden sie dazu verpflichtet, danach für weitere drei Jahre in einer der 160 Kitas im Kreis Pinneberg zu arbeiten. Nur dann dürften sie das erhaltene Geld behalten, anderenfalls müssten sie es nach Beendigung ihrer Ausbildung zurückzahlen.

Diese Bedingung widerspreche der grundgesetzlich garantierten Berufsfreiheit, kritisierte der AfD-Abgeordnete Joachim Schneider und lehnte das Stipendium ab. Stattdessen „sollten wir die Heilberufe besser bezahlen“, forderte er. Vertreter der anderen Fraktionen widersprachen dieser Argumentation.

Da das Stipendium für beide Ausbildungsgänge – schulische Erzieher- und Heilerzieherausbildung und Praxis-integrierte Ausbildung (PiA) – an der Kreisberufsschule in Pinneberg gelten soll, rechnet der Kreis für die ersten 80 Berufsschüler in diesem Jahr mit etwa 200.000 Euro Kosten, die sich in den Folgejahren auf 700.000 Euro (2021), 1,2 Millionen Euro (2022) bis zu 1,5 Millionen (2023) erhöhen würden durch die bis dahin auf bis zu 240 Stipendiaten wachsende Schülerzahl.

Erste Klasse mit Ausbildung in der Praxis geht an den Start

Mit der PiA-Ausbildung betritt der Kreis Pinneberg ohnehin Neuland. Damit sollen insbesondere Berufseinsteigerinnen und -einsteiger geworben werden, was offenbar auch gelungen ist. Die erste Klasse dieser Art sei mit 28 Schülerinnen und Schülern – 90 Prozent von ihnen Frauen – voll und werde ihre Ausbildung im August beginnen, erklärt Schulleiter Krause.

Die meisten PiA-Schülerinnen und -schüler hätten sich nach dem Mittleren Schulabschluss und einer Ausbildung um die Familie gekümmert und suchten nun eine berufliche Tätigkeit in diesem sozialen Bereich. Weil sie bereits größtenteils in einer von 28 teilnehmenden Kitas arbeiteten, die ihnen auch etwa 1100 Euro Vergütung im Monat dafür zahlten, sei hier der Praxisanteil weit höher als bei der normalen schulischen Erzieherausbildung. Auch dieses Pilotprojekt soll ein Baustein gegen den zunehmenden Fachkräftemangel sein.

Kreis Pinneberg wirbt Lehrer aus Hamburg ab

Krause fordert weitere Schritte zur Bekämpfung des Fachkräftemangels in diesem Bereich von der Kreispolitik. „Der Kreis sollte eine Strategie entwickeln, wie er diese Fachkräfte halten kann.“ Dazu sollten jene bereits fertig ausgebildeten Erzieherinnen und Erzieher, die anschließend nach Hamburg gegangen sind, nach ihren Beweggründen befragt werden, rät Krause. Daraus sollte dann ein Handlungskonzept für die Zukunft entwickelt werden.

Zum Beispiel könnte sich der Schulleiter vorstellen, dass auch der Kreis seinem Erzieher-Fachpersonal ebenfalls wie Hamburg die Fahrtkosten von zu Hause zur Arbeitsstätte bezahlen könnte. Weitere Angebote, die das Hierbleiben attraktiver machen würden, wären denkbar. „Dann können wir auch irgendwann in Hamburg damit werben, wie gut man hier im Kreis Pinneberg arbeiten kann.“

Bei den Lehrern klappe diese Abwerbung zugunsten des Kreises Pinneberg schon ganz gut, sagt er. Von den 185 Berufsschullehrern für die 3830 Berufsschüler in der Kreisberufsschule Pinneberg wohnten etwa 50 in Hamburg. Tendenz steigend. „Offenbar sind unsere moderne Schule und die guten Unterrichtsmöglichkeiten sehr attraktiv für unsere Lehrkräfte.“