Kreis Pinneberg. Container im Kreis Pinneberg abgebaut. Ein Grund ist die Corona-Krise, einen anderen sehen Experten im Konsumverhalten der Gesellschaft.

Es war so einfach: Der Schrank war übervoll, aber alles, was weg sollte, konnte ja für einen guten Zweck in den Altkleidercontainer. Das geht jetzt nicht mehr. Aus die Maus. Jedenfalls momentan: „Wir haben alle Sammelcontainer eingezogen“, sagt Jens Ohde, Geschäftsführer der GAB in Kummerfeld. Die GAB sammele im Kreis zwar vergleichsweise wenig, aber „auch die Awo musste ihre Behälter abziehen, denn der Weltmarkt für Alttextilien ist zusammengebrochen“.

Die GAB habe eigentlich einen langfristigen Vertragspartner, über den sie Altkleider vermarkte. „Der hat Anfang Mai die Annahme gestoppt mit dem Hinweis, dass sein Lager voll ist und er durch Corona die Märkte nicht mehr bedienen kann. Er hat wegen der Ein- und Ausfuhrbeschränkungen nichts mehr exportieren können“, so Jens Ohde. Kurz nachdem die Container im öffentlichen Raum weg waren, hätten auch die lokalen Kleiderkammern vor den Textilmassen kapituliert: „Die haben relativ schnell gesagt, dass sie überschwemmt werden und nichts mehr annehmen können“, so der Fachmann von der GAB.

Bis jetzt ist die Sammlung von Alttextilien keine öffentliche Aufgabe: „Jeder kann dafür bei den unteren Abfallbehörden eine gewerbliche Sammlung anmelden und diese dann durchführen“, sagt Ohde. Die Absatzgebiete für Secondhand-Kleidung lagen bislang weit weg, unter anderem in Syrien, im Irak, in Jordanien, in Afrika und in der Ukraine. „Dort gibt es aber keinen Absatz und keinen Transport mehr, denn jedes dieser Länder hat wegen Corona Ein- und Ausfuhrbeschränkungen eingeführt. Der Alttextilhandel ist dadurch deutlich erschwert, die Alttextilverbände in ihrer Existenz bedroht“, so Ohde.

Viele Textilfasern lassen sich zurzeit nicht recyceln

Marko Hoffmann aus der Kreisverwaltung ist Gründer der Wiederverwendungs-Plattform „Plietschplatz“.
Marko Hoffmann aus der Kreisverwaltung ist Gründer der Wiederverwendungs-Plattform „Plietschplatz“. © Paulina Bonkowski | Paulina Bonkowski

Um die Situation langfristig zu entspannen, will die EU-Kommission auch in Deutschland die Entsorgung auf neue Füße stellen und in die öffentliche Hand übergeben. Das Recycling von Textilien ist kompliziert: „Im Moment lassen sich viele Fasern nicht recyceln“, sagt der GAB-Geschäftsführer. Seit zwei, drei Jahren gibt es an wenigen Universitäten einige Forschungsvorhaben, wie sich alte Fäden chemisch recyceln lassen. „Da sind wir vielleicht in fünf Jahren so weit. Bis jetzt lassen sich nur zwei, drei Gewebearten sinnvoll verwerten. Daraus werden dann Putzlappen oder Dämmware für die Autoindustrie gemacht. Alles andere ist nicht der Rede wert“, sagt der Fachmann.

Fakt ist, dass die Mode- und Textilindustrie rund ein Drittel aller Arbeitsplätze weltweit stellt, dass rund 20.000 Chemikalien auf diesem Sektor eingesetzt werden, mehrere Millionen Menschen jährlich daran sterben und dieser Industriezweig zu denen gehört, die weltweit die höchste Luft- und Wasserverschmutzung verursacht.

Dabei liegt das tiefere Problem ganz woanders: Der übermäßige Neukauf von Textilien ist zur Normalität geworden. „Die Corona-Krise hat eine Branche kollabieren lassen, die sich schon seit Jahren in der Krise befand“, sagt Marko Hoffmann, Experte für Abfallwirtschaft in der Kreisverwaltung, der sich schon lange für die Wiederverwertung intakter Dinge stark macht und dafür im Internet die Gebrauchtwarenbörse www.plietschplatz.kreis-pinneberg.de eingerichtet hat (wir berichteten).

„Jeder von uns kauft im Schnitt 60 Kleidungsstücke pro Jahr und sortiert im gleichen Zeitraum knapp 20 Kilo an Klamotten aus“, sagt Marko Hoffmann. „Fast 75 Prozent, also 15 Kilo pro Einwohner und Jahr, landen in den Altkleidercontainern. Tendenz steigend.“

Der eigentliche Grund für diese Krise liegt also nur bedingt in den zusammengebrochenen Märkten. „Der Schlüssel sind wir selbst mit unserem Konsumverhalten und dem Glauben, mit der Altkleidersammlung für die Welt etwas Gutes zu tun“, sagt Marko Hoffmann. Wem bei der Vorstellung, dass ausrangierte Klamotten teuer verbrannt werden, nicht wohl sei, dem empfiehlt er, „den jetzt aussortierten Klamottenstapel noch einmal durchzuschauen und zu überlegen, was doch noch gut zu tragen ist, ohne dabei schief angeschaut zu werden.“

Vehement tritt er für eine andere Grundhaltung, für Qualitätsbewusstsein und nachhaltiges Kaufen ein, „vor allen Dingen sollte ein klares Nein formuliert werden zu dem, was heute als ,Fast Fashion‘ den Markt erobert.“ Vor fünf Jahren brachte die Ausstellung „Fast Fashion“ im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe ans Licht, was sich bis dahin so einfach verdrängen ließ: Von 2000 bis 2010 ist der Textilkonsum um 47 Prozent gestiegen. Sogar in europäischen Ländern wie Mazedonien oder der Slowakei liegt der Mindestlohn im Textilsektor bei rund 14 beziehungsweise 21 Prozent des Mindestlohns. Wie sagte die damalige Kuratorin Claudia Banz so treffend? „Konsum ist heute zu einer Frage der Verantwortung geworden.“