Elmshorn. In der Corona-Krise liegen die Nerven blank, wichtige Rückzugsorte fehlen. Wie das Elmshorner Team Kinder- und Jugendarbeit hilft.
Stress mit den Eltern – für manche Jugendliche eskaliert der Zoff: Entweder ihre Eltern schmeißen sie raus, oder sie beschließen selbst abzuhauen, um ihren eigenen Weg zu gehen. Für diejenigen unter ihnen, die in schwierigen familiären Verhältnissen leben, bedeutet die Corona-Krise noch ein Mehr an Stress: keine Schule, Weiterbildung oder Umschulung unterbrochen oder ganz gestrichen, keine regelmäßigen Mahlzeiten oder gar kein Geld. Und dann auch noch das Herunterfahren sozialer Kontakte.
Die Folgen der Corona-Krise bringe nun immer mehr Kids auf die Straße, sagt Karen Wöbcke, Leiterin vom Haus Krückaupark in Elmshorn. „Bisher sind uns drei Fälle bekannt, in denen Jugendliche zu Hause rausgeschmissen wurden.“ Die Betroffenen, die zwischen 17 und 19 Jahre alt sind, kamen bei Freunden unter. Es folgten Gespräche mit den Eltern, „die nicht einfach waren. Manche Eltern müssen auch lernen, dass ihre Kinder Rechte haben“, sagt Karen Wöbcke. „Wir begleiteten sie zum Jugendamt und zum Sozialamt, alles Dinge, mit denen die Jugendlichen einfach überfordert waren.“ Zwei leben mittlerweile wieder zu Hause, ein Jugendlicher ist im Kinderschutzhaus untergebracht.
Es war das Team Streetwork, an das sich die Jugendlichen wandten, waren das Kinder- und Jugendhaus Krückaupark, die Freizeitkiste an der Friedrich-Ebert-Schule und die Mobile Spielplatzbetreuung aufgrund entsprechender Ländererlasse zur Corona-Krise doch geschlossen. Sämtliche Angebote mussten aus Gründen des Gesundheitsschutzes abgesagt werden.
Corona-Krise: Sozialarbeiter versuchten, online genau hinzuhören
Die Teammitglieder der drei Elmshorner Jugendträger versuchten auch online hinzuhören, wo vielleicht der Schuh drückt – und wo vielleicht auch Gefahr im Verzug ist. Sie gingen auf die Straße, vereinbarten Einzeltermine mit den Kindern und Jugendlichen im eigenen Garten, am Hafen oder beim Spaziergang am Deich. Nun arbeiten die Teammitglieder auch in den Häusern wieder in Kleingruppen mit dem Nachwuchs.
Nicht bei allen Kindern und Jugendlichen herrschte vor Corona Friede, Freude, Eierkuchen, so Wöbcke. Nach dem Shutdown konnten und durften die jungen Menschen nicht mehr raus, waren und sind oft auf engem Raum mit der Familie. Dass es da vermehrt Konflikte gebe, liege auf der Hand. Den ganzen Tag mit allen Familienmitgliedern in der Wohnung zu verbringen sei für die meisten Menschen eine Herausforderung.
Schulen und Kitas als wichtige Schutzräume fielen weg
Für Familien, in denen ohnehin Gewalt herrsche, sei die aktuelle Situation eine ernste Gefahr. Wenn Eltern nicht gelernt hätten, Konflikte friedlich zu lösen, weil sie es nie vorgelebt bekommen haben, fielen durch Kontaktbeschränkungen, geschlossene Schulen und Kitas wichtige Schutzräume für die Kinder weg.
Für die Leiterin sind es aber die Vereinsamung der Jugendlichen, der Verzicht auf persönliche Treffen, gekoppelt mit den Problemen, die Jugendliche halt so haben, die die Situation in manchen Familien zum Eskalieren gebracht hat und immer noch bringt. Denn nicht nur die Konflikte in Schule oder Ausbildung beschäftigen die Heranwachsenden.
Auch Drogenprobleme, Fragen zu Körper und Fitness, der Kontakt zur Polizei oder zum Gericht oder auch bürokratische Unklarheiten treiben sie um. Zwar hätten sie Kontakte über das Netz, aber das ersetze einfach nicht, dass man in der Gruppe loszieht, Probleme im direktem Kontakt mit Freunden bespricht oder gar löst. Und auch körperliche Nähe sei extrem wichtig für viele Kinder und Jugendliche, weiß Karen Wöbcke. „Sie wünschen sich, einfach mal in den Arm genommen zu werden.“
Familienleben spielt sich mehr im Verborgenen ab
Die Corona-Krise beschäftigt auch die Jugendämter massiv. Seit Schulen und Kitas über Wochen weitgehend geschlossen sind, spielt sich das Familienleben mehr als sonst im Verborgenen ab. Die Jugendämter sind darauf angewiesen, dass Fälle gemeldet werden – von Partnern wie Kindergärten, Schulen und andere Institutionen, die im engen Kontakt zu Kindern und Jugendlichen stehen. Viele dieser Institutionen stünden derzeit gar nicht oder nur sehr eingeschränkt zur Verfügung.
Zwar verzeichnen Polizei und Jugendämter im Kreis Pinneberg bislang noch keinen signifikanten Anstieg von häuslicher Gewalt und Misshandlung, doch Florian Schlender vom Kreisjugendamt befürchtet eine hohe Dunkelziffer der Kindeswohlgefährdung. „Es wird noch dauern, bis wir die Auswirkungen zu spüren bekommen. Wir befürchten, dass die Überforderung vieler Eltern leider noch zunehmen wird. Den letzten Schritt, eben zum örtlichen Jugendamt zu gehen, um sich Hilfe zu holen, den gehen Eltern leider erst viel zu spät.“