Pinneberg. Waffelbäckerin Edith Heidmann ist eine Institution. Ihre Tochter verkauft am Firmensitz Volksfest-Atmosphäre zum Mitnehmen.
Jeder Handgriff sitzt. Ungezählte Male schon hat Marilyn Fackler im Kuchenbäckerwagen an der Flensburger Straße mit zwei Stäbchen eine Apfeltasche oder anderes Gebäck aus dem Kessel mit heißem Fett gefischt und dann auf der blitzeblanken Arbeitsfläche aus Edelstahl abgelegt. Dann der nächste Arbeitsschritt. Fast liebevoll pinselt sie jedes Stück Gebäck sorgfältig mit Zuckerguss ein.
Es folgt die Krönung. Mit spitzen Fingern und wohldosiert verteilt die 44-Jährige auf jedem Kuchenstück einige Mandelsplitter. Fertig. Zufrieden begutachtet sie ihr Werk. Nicht nur sie. Die geduldigen Kunden – in Zeiten von Corona ordentlich mit Individualabstand in zwei Reihen wartend – haben nochmal extra Appetit bekommen und bestellen sogleich.
Den Verkauf übernimmt Dennis Emmel. Der junge Mann ist einer der Angestellten, mit denen die Schaustellerin ihr Arbeitsleben bestreitet. Und das soll eigentlich gar nicht so oft auf dem Gelände des Firmenstammsitzes in Pinneberg stattfinden. Ganz im Gegenteil. Dreimal im Jahr zieht es Marilyn Fackler und ihre Mutter Edith Heidmann auf den Hamburger Dom. Dazu kommen weitere Stadtfeste und Jahrmärkte.
Frühling- und Sommerdom wurden abgesagt
Dann aber mit vertauschten Rollen. Die Tochter betreibt dort ein Automatengeschäft, dafür aber ist Mama Edith seit Jahrzehnten auf dem Heiligengeistfeld bekannt wie der sprichwörtliche bunte Hund. „Gleich am Eingang Feldstraße stehe ich mit der Waffelbäckerei Heidmann; mit dem Geschäft, das mein Vater Erich vor 73 Jahren gegründet hat“, sagt Edith Heidmann hörbar stolz auf das, was sie dort erreicht hat. „Die Leute kennen mich und mein Angebot. Manche kommen von weit her angefahren und gehen nur diese paar Schritte auf den Dom bis zu meinem Geschäft.“
So hätte es auch vom 27. März bis 26. April sein sollen; so sollte es auch vom 24. Juli bis 23. August werden. Pustekuchen. Frühlins- und Sommerdom wurden abgesagt. „Meine letzten Einnahmen stammen noch vom Winterdom 2019“, sagt Edith Heidmann. Für sie und ihre Tochter wurde das Worst-Case-Szenario, das Aus für sämtliche größeren Feste, an einem denkbar unpassenden Tag traurige Realität. „Ausgerechnet an meinem Geburtstag Anfang März haben wir die Absage für den Frühlingsdom erhalten“, erinnert sich Marilyn Fackler. „Zum Glück hatten wir das schon angesichts der Entwicklung kommen sehen und waren noch nicht wie andere schon auf dem Domgelände am Aufbauen.“
Edith Heidmann kam auf dem Hamburger Dom zur Welt
Nur ein kleiner Trost für das, was es nun zu regeln galt. „Als absehbar war, dass
es so schnell nicht weitergehen würde, haben wir auch bei uns Kurzarbeit einführen müssen“, sagt Marilyn Fackler. Denn während Mama Edith ihr Geschäft auf dem Dom mit bewährten Aushilfen betreibt, trägt die Tochter Verantwortung für neun Angestellte. „Zum Glück gibt es ja das Instrument der Kurzarbeit, um einen Betrieb zu retten, ohne Personal abbauen zu müssen“, sagt die Chefin. „Und es geht ja auch darum, unsere Leute unbedingt zu halten. Wir sind doch irgendwie eine große Familie.“
„Das Schaustellergewerbe liegt uns im Blut.“ „Der Dom und die Jahrmärkte sind unser Leben.“ Sätze, die aus anderem Munde wie beliebige Phrasen anmutend. Aber hier? Von wegen. Das, was Marilyn Fackler und ihre Mutter Edith Heidmann unisono mit leuchtenden Augen über ihren Alltag, ihre Arbeit zu sagen haben, trifft es auf den Punkt. „Wir können uns ein Leben ohne die Märkte – und ganz besonders den Hamburger Dom – einfach nicht vorstellen.“
Kunststück, schließlich ist Mama Edith sogar eine echte Domgeburt. „Meine Mutter hat es damals irgendwie nicht mehr bis ins Krankenhaus geschafft“, erzählt Edith Heidmann mit einem Schmunzeln. „Und so bin ich am 4. August 1953 um 8.05 Uhr morgens in unserem Campingwagen auf dem Heiligengeistfeld auf die Welt gekommen.“
"Das alles fehlt uns sehr"
Wenn jemand so verbunden mit einem Ort oder Fest ist, wundert es kaum, mit welch Wehmut Mama Edith, Tochter Marilyn und ihr Lebensgefährte Karl-Ernst Hartkopf („Ich bin Schausteller in der siebten Generation“) an „ihren“ Dom denken. „Die Musik, die Gerüche, die Menschen und die vielen Freunde, die wir dort treffen, das alles fehlt uns sehr“, sagt Marilyn Fackler.
Aber da ist ja der Bäckerwagen am Familiensitz in der Flensburger Straße 7. Hier gibt es immerhin salopp gesagt Domflair in Tüten. „Hier haben wir 1988 zum ersten Mal zu Silvester Berliner verkauft, seit 20 Jahren ist dies ein fester Stand“, sagt Marilyn Fackler und wird dann doch ein klein wenig sentimental. „Mein Opa hatte es uns eingeimpft. Er sagte, wenn wir einmal nicht weiter wüssten, könnten wir immer noch hier auf dem Hof backen und verkaufen. Die Leute würden kommen...“ Er hatte recht.