Kreis Pinneberg. Viele Veranstalter tun sich schwer mit der Planung, Buchungen für 2021 bleiben aus. Und auf Hilfe vom Staat warten die Künstler vergeblich.
Selbstständige Musiker werden offenbar in ganz besonders großem Maße zu Opfern der Corona-Krise. Die Großindustrie bekommt Milliardenhilfen, mittelständische Betriebe haben Geld vom Staat erhalten, um die Ausfälle durch Corona zu mildern, selbst Bildende Künstler konnten ihre Ateliermiete durch Unterstützung zum Teil wieder reinholen. Aber freie Musiker schauen überwiegend in die Röhre. Sie haben bis heute keine Aussicht, demnächst wieder in Arbeit zu kommen, weil größere Konzerte bis auf Weiteres ausfallen und auch sonst vieles verboten bleibt.
1500 Musiker sind in Schleswig-Holstein als Selbstständige aktiv, sie hat die Coronakrise voll erwischt. „Die Musiker fallen durch das Raster, weil sie meist keine Betriebskosten haben. Das ist schlimm. Und da wird anscheinend auch nicht nachgerüstet“, bestätigt Stefanie Fricke, künstlerische Leiterin der Drostei und fast täglich mit der Situation von Musikern konfrontiert.
„Wir arbeiten im politischen Umfeld daran, dass es doch noch separate Hilfen gibt. Das ist aber ein bisschen wie gegen Windmühlen anzukämpfen“, sagt Hartmut Schröder vom Landesmusikrat in Kiel. Da er ständig mit vielen Musikern in Kontakt steht, weiß er inzwischen: „Im Augenblick trauen sich die Veranstalter das noch nicht zu, größere Buchungen für das Jahr 2021 zu machen. Für das nächste Jahr bucht praktisch niemand.“
Über die Kulturhilfe Schleswig-Holstein gab es für soloselbstständige Künstler immerhin die Möglichkeit, sich um projektgebundene Stipendien à zweimal 500 Euro zu bewerben. „Das sind keine Riesensummen, hilft aber schon. Wir hoffen, dass wir da noch eine dritte Runde hinbekommen“, sagt Schröder. Immerhin hätten die meisten Musiker mehrere Einnahmequellen. Musikschulen, bei denen einige unterrichten, haben die Honorare weiterbezahlt, der NDR und die Nordkirche zahlten Ausfallhonorare ganz oder teilweise.
Hunderte Arbeitsstunden für nichts investiert
Wer gar nicht mehr klarkommt, kann Hartz IV beantragen, was derzeit mit Erleichterungen verbunden ist: „Wenn ein Musiker in die Grundsicherung will, wird momentan ein höherer Freibetrag an Barvermögen akzeptiert. Musiker müssen nämlich Rücklagen bilden, weil sie meist nicht in die Rentenkasse einzahlen“, erklärt Hartmut Schröder.
Eine der betroffenen Musikerinnen ist Simone Eckert, die in Ellerhoop lebt. In der internationalen Alte-Musik-Szene ist die Gambistin eine feste Größe als Teil des 1990 von ihr gegründeten Ensembles Hamburger Ratsmusik, dessen Agentin und Managerin sie zugleich ist. In rund 60 Konzerten ist sie jährlich unterwegs, auch auf wichtigen Festivals in Deutschland, vielen Ländern Europas, den USA, Japan und China. „Dieses Jahr wäre unser bestes geworden“, sagt sie wehmütig. „Aber jetzt sind 30 Konzerte ausgefallen, unsere Dänemark- und China-Tourneen wurden abgesagt. Und seit März habe ich keinen einzigen Euro mehr gesehen.“
Hunderte, wenn nicht Tausend Arbeitsstunden waren mehr oder weniger für die Katz: Die vier täglichen Übungsstunden und vieles mehr auf dem Feld des Künstlerischen, die aufwendige Programmplanung, Kontaktaufnahmen, Telefongespräche mit Agenten und Veranstaltern, die Reiseplanung, Kontakte mit Goethe-Instituten. Und am Ende die Stornierung der Flüge und aller Reservierungen wegen Corona. Wie viel Arbeit geleistet werden muss, bevor solche Musiker zu proben geschweige denn zu konzertieren anfangen, davon gibt Simone Eckert einen kleinen Vorgeschmack. Hinzu kommt, dass ihr Ensemble keine durchgenudelte Konfektionsware spielt, sondern sich selbst oft genug als Goldgräber betätigt.
Für die brandneue CD „Haydn & Friends“ etwa haben die Musiker auf ihren kostbaren Originalinstrumenten auch drei Haydn-Stücke aufgenommen, die seit ihrer Entstehungszeit nicht mehr gespielt wurden. Komponiert hat sie Josef Haydn für Gambe und zwei Hörner – eine fein zusammenklingende Rarität. Erschienen ist die Aufnahme beim Label Hänssler Classic, bei Amazon kostet sie 17,57 Euro. Eckert, die auch Musikwissenschaftlerin ist, hatte die Stücke in der Bibliothek des Schweriner Schlosses entdeckt, an dessen Hof im 18. Jahrhundert ein Cellist aus Haydns Kapelle vom Esterhazy’schen Hof gewechselt war und die Stücke mitgebracht hatte. In einer alten Bibliothek Musik ausfindig zu machen, die jahrhundertelang nicht mehr gespielt wurde, das erfülle sie mit einem herrlichen Entdeckergeist, sagt sie.
Die viele hochqualifizierte Arbeit hinter so einem CD-Projekt und einer damit oft gekoppelten Tournee wird so oder so finanziell selten angemessen entlohnt. Am Ende ist die pure Freude ausschlaggebend, aber davon lässt sich leider keine Miete bezahlen. „Solche Art Musik zu spielen ist feinmotorischer Leistungssport“, sagt Hartmut Schröder vom Landesmusikrat. Jede körperliche Arbeit wirkt sich sofort auf die Beweglichkeit der Finger aus, schlägt sich also in der Qualität des Spiels nieder. Mal eben jobben ist da nicht gut möglich.
„Zum Glück sind wir als Kammermusik-Ensemble flexibel, wir treten im Duo auf oder mit bis zu elf Musikern“, sagt Simone Eckert tapfer. Deshalb geht es für das Ensemble Hamburger Ratsmusik im Sommer auch wieder ganz sachte los: Am 21. Juli wird es um 18 Uhr im goldenen Saal des Ludwigsluster Schlosses spielen, am 9. August gastiert die Hamburger Ratsmusik von 17 Uhr an in der Kummerfelder Osterkirche.
Sänger und Bläser trifft es besonders hart
Am härtesten trifft es derzeit die (Chor-)Sänger und Bläser, bei denen die Atmung ja eine zentrale Rolle spielt. Weil angenommen wird, dass das Coronavirus über die Atemluft übertragen wird, haben sie die strengsten Auflagen. Weder dürfen sie in weniger als einigen Metern Abstand auf ihrem Instrument unterrichten noch in Kirchen auftreten – bis dato eine weitere wichtige Einnahmequelle. „Welcher Kantor plant mit seinem Chor die Matthäus-Passion für 2021? Das tut keiner. Die Passions-Saison 2021 wird es nur stark reduziert geben“, sagt Hartmut Schröder, „deshalb mache ich mir Sorgen, ob wir das alles erhalten können.“
„Es ist für unsere Situation kein Bewusstsein und kein Verständnis da“, sagt die Gambistin Simone Eckert. Sie kennt natürlich auch im Alte-Musik-Umfeld solche spezialisierten Bläser: „Ein befreundeter Zink-Spieler weiß jetzt, dass er dieses Jahr keine Termine mehr hat. Der ist richtig verzweifelt“. Ein Zink ist eine Vorform der Trompete aus dem 15. bis 17. Jahrhundert.
Simone Eckert selbst hat viele unterschiedlich großen Gamben zu Hause, ihr kostbarstes Instrument stammt aus dem Jahre 1685. Sie hatte das Glück, es einem alten Gambenspieler abkaufen zu können – und bis heute zahlt sie es in Raten ab. Mit ihrem Ensemble Hamburger Ratsmusik hat sie, dank der Unterstützung des Fördervereins, kleinere Projekte auf die Beine gestellt, „damit wir als Gruppe nicht auseinanderfallen“, darunter die Filmaufnahme eines Konzertes, natürlich unter Einhaltung der Abstandsregeln.