Kreis Pinneberg. Der Kurswechsel des Bildungsministeriums führt dazu, dass die zuvor mühsam ausgearbeiteten Hygienekonzepte wertlos werden.
Die Schulöffnungen im Land schreiten schneller voran als geplant. Während erst am Montag Phase drei der Wiedereröffnungen der Schulen und damit die Erweiterung der schulischen Präsenzveranstaltungen begann, legte die schleswig-holsteinische Landesregierung Mitte der Woche nach: Bereits ab dem 8. Juni sollen alle Grundschüler in den schulischen Regelbetrieb zurückkehren, soll damit eine tägliche Beschulung im Klassenverband wieder aufgenommen werden, kündigten Ministerpräsident Daniel Günther, Bildungsministerin Karin Prien (beide CDU) und Familienminister Heiner Garg (FDP) am Mittwoch in Kiel an. Dabei werde die Abstandsregel nicht mehr gelten.
Was das für die Schulen bedeutet? „Wir haben Pläne gemacht, die wir nun wieder in die Tonne treten können“, sagt Kristin Nagel, Schulleiterin der Grundschule Waldenau in Pinneberg. Auch Thomas Gerdes, Schulleiter der Grund- und Gemeinschaftsschule (GuGs) im Quellental in Pinneberg, ärgert sich über den plötzlichen Kurswechsel.
Neue Corona-Regeln in Schulen kurz vor den Sommerferien
Ihn stört vor allem, dass die neue Regelung nur drei Wochen vor Beginn der Sommerferien am 29. Juni in Kraft treten soll. „Wir hatten alles verlässlich geplant. Es ist hanebüchen, das jetzt so kurzfristig zu ändern.“ Im Zuge der ersten Lockerungen wurden die Grundschüler der GuGs und der Grundschule Waldenau bislang zweimal die Woche für jeweils zwei Stunden unterrichtet.
Dadurch, dass die GuGs über eine Grundschule sowie eine Sekundarstufe verfügt, deren Rückkehr an die Schule jeweils unterschiedlich geregelt ist, sei der organisatorische Aufwand der vergangenen Wochen immens hoch gewesen. „Das alles unter einen Hut zu bringen war schon schwer“, sagt Gerdes. „Nun müssen wir im Prinzip komplett neu planen.“
Die Umsetzung eigener Hygiene- und Abstandskonzepte stellte die Schulen insgesamt vor große Herausforderungen. Abstände müssen eingehalten, Hände desinfiziert und Klassen verkleinert werden. Dafür wurden Raumpläne erstellt und den Schülern feste Plätze zugewiesen. „Da die meisten unserer Klassenräume nicht größer als 60 Quadratmeter sind, mussten wir die Klassen in kleine Gruppen aufteilen“, so der Schulleiter der GuGs. „In den wenigen Räumen, die wir doppelt besetzen mussten, erfolgt nach der Nutzung durch eine Gruppe eine Zwischenreinigung und Desinfektion durch eine Reinigungsfirma.“
Tische werden bei jedem Gruppenwechsel desinfiziert
An der Grundschule Waldenau werden die Tische vor jedem Gruppenwechsel durch eine Lehrkraft desinfiziert. Um die Einhaltung der Hygieneregeln zu überprüfen, ist im Schulgebäude derzeit nur eine Toilette für die Schüler geöffnet. Wenn ein Schüler diese nutzt, werde das in einer Liste festgehalten. „Sie müssen im Anschluss vor unseren Augen im Klassenraum für 20 Sekunden die Hände waschen“, sagt Schulleiterin Nagel. Das entspreche dem dreimaligen Singen von „Alle meine Entchen“. Notwendig sei die Kontrolle, da die Kinder noch so klein sind.
Am Johann-Rist-Gymnasium in Wedel werde zwar nicht jeder einzelne Toilettengang der Schüler kontrolliert, allerdings sei sichergestellt, dass der Abstand zu den Mitschülern gewahrt ist, wenn ein Schüler während des Unterrichts auf Toilette geht, sagt Direktor Bertram Rohde. Die einzelnen Klassen wurden in Drittel geteilt. An jedem Tag seien zwei bis drei Jahrgänge im Schulgebäude, was 200 bis 300 Schülern entspricht. „Es gibt eine neue Rhythmisierung im Unterrichtsablauf. Eine Klasse wird auf drei Räume verteilt, und drei Lehrer unterrichten abwechselnd in diesen Räumen“, so Rohde. „Die Organisation ist aufwendig. Die Pläne werden händisch erstellt.“
Während auf dem Schulhof des Johann-Rist-Gymnasiums Markierungen für den notwendigen Abstand sorgen, setzt die Grundschule Waldenau auf Hula-Hoop-Reifen. An der GuGs wurden feste Treffpunkte auf dem Schulgelände eingerichtet, an denen sich die Schüler morgens treffen und von Lehrkräften in Empfang genommen werden.
Auf Pausen wird an allen drei Schulen weitestgehend verzichtet, um Kontakte zu vermeiden. Auch sollen die Schüler erst möglichst kurz vor Unterrichtsbeginn auf dem Schulgelände erscheinen. Während das Tragen eines Mundschutzes an der GuGs und dem Johann-Rist-Gymnasium freiwillig ist, gilt laut Schulleiterin Nagel an der Grundschule Waldenau die Regel: „Wer sich bewegt, muss einen Mundschutz tragen.“ Das gelte für Schüler, Lehrer und Eltern. Im Unterricht können die Masken dann abgenommen werden.
Ob sich die Schüler an all die Regeln halten? „In der Schule schon, danach nicht mehr“, sagt Thomas Gerdes und lacht. Er erlebe die Schüler aber sehr diszipliniert. „Sie machen das ganz toll.“ Ähnliche Erfahrungen hat auch Bertram Rohde gemacht. „Die Schüler verhalten sich insgesamt verantwortungsvoll und halten sich an die Regeln. Manchmal vergessen sie jedoch im Glück des Wiedersehens, Abstand zu wahren.“
Große Belastung durch ausfallende Abschlussfeiern
Die Corona-bedingten Einschränkungen verlangen den Schülern jedoch einiges ab. „Die Schüler vermissen den Unterricht und die Nähe. Die Situation ist für alle Beteiligten nicht schön“, so Bertram Rohde. „Gruppen- und Partnerarbeiten fallen komplett weg. Damit fehlen wichtige Arbeitsformen.“ Kristin Nagel sagt: „Die Schüler sind sehr still geworden.“
Dass Abschlussfeiern nicht oder nur sehr eingeschränkt stattfinden können, sei für die Schüler besonders belastend. „Bei den Viertklässlern spüre ich eine gewisse Hoffnungslosigkeit“, so Nagel. „Es wird kein Fest, keine Bühne, kein Abschlusslied und keine Umarmungen geben. Das ist sehr traurig.“ Ähnliches weiß Thomas Gerdes zu berichten. „Die Abschlussfeiern sind einer der wichtigsten ersten Lebensabschnitte von Jugendlichen. Sämtliche Regelungen haben die normale Ausrichtung unmöglich gemacht.“ Ob sich die Ausgestaltung der Abschlussfeiern zumindest für die Grundschüler mit der am 8. Juni in Kraft tretenden Aufnahme des schulischen Regelbetriebs ändert, ist noch nicht abschließend geklärt. Das Ministerium erarbeitet derzeit Richtlinien zur Einhaltung der Hygieneregeln unter den neuen Umständen an den Schulen aus.
Die Landesregierung gab ebenfalls bekannt, dass in der letzten Woche vor den Sommerferien alle Schüler aller Schulen tageweise in ihren Klassenverband zurückkehren sollen. Der Regelbetrieb für alle Schüler soll aber erst mit dem neuen Schuljahr am 10. August wieder starten. Die wegen der Corona-Krise heruntergefahrene Kita-Betreuung wird bereits vom 1. Juni an ausgeweitet. Die Regierung begründet die Lockerungen mit der geringeren Zirkulation des Coronavirus’.
„Ich gönne es den Schülern und Eltern, wieder zur Normalität zurückzukehren“, sagt Kristin Nagel. Für sie persönlich sei es jedoch ärgerlich, dass alle getroffenen Absprachen nun hinfällig geworden seien. „Es ist ärgerlich, dass bereits so viel Zeit investiert wurde.“ Das macht auch Thomas Gerdes zu schaffen. „Wir arbeiten teilweise bis mitten in die Nacht und haben eine Menge Überstunden angesammelt, die uns keiner vergütet.“
An der GuGs werde derzeit das kommende Schuljahr geplant. „Es ist der Hammer, dass wir jetzt so kurzfristig zwei komplette Planungen durchführen sollen.“ Eines hätten die Maßnahmen der vergangenen Wochen dennoch bewirkt: „Für den Medieneinsatz an Schulen hat es einen ordentlichen Schub gegeben.“