Kreis Pinneberg. Bericht der Verfassungsschützer für das Jahr 2019 weist 262 politisch motivierte Straftaten im Kreis aus – so viele wie nirgendwo sonst im Land.

2019 hat es in Schleswig-Holstein so viele Straftaten aus politischen Motiven gegeben wie noch nie. Es wurden laut dem kürzlich vorgestellten Verfassungsschutzbericht 1264 Fälle gezählt, ein Plus von 49 Fällen oder vier Prozent. Der Kreis Pinneberg ist ganz vorn dabei. Hier spielten sich 262 Fälle ab, darunter acht Gewalttaten. Damit steht der Kreis mit weitem Abstand auf Platz eins aller Kreise und kreisfreien Städte im Land.

Besonders bei den Straftaten aus dem linksextremistischen Spektrum spielt die hiesige Region eine sehr unrühmliche Rolle. 383 Fälle weist der Verfassungsschutzbericht in diesem Deliktfeld aus. Davon stammen 150 aus dem Kreis Pinneberg. Der überwiegende Teil betrifft Sachbeschädigungen und Diebstähle, die sich zu zwei Dritteln auf den Europawahlkampf des vorigen Jahres beziehen. Im besonderen Fokus der linken Szene befand sich die AfD, deren Plakate in Massen beschädigt oder entwendet worden waren. Das linksextremistische Personenpotenzial in Schleswig-Holstein erhöhte sich 2019 um 30 Personen auf 700, das gewaltbereite Personenpotenzial lag unverändert bei 335.

Im rechtsextremen Spektrum entfielen 82 Fälle auf den Kreis Pinneberg – von landesweit 709. Wie auf Landesebene stellen die Propagandadelikte den größten Anteil dieser erfassten Straftaten dar – also die Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen etwa durch Anbringen von Hakenkreuzen oder sonstigen verbotenen NS-Symbolen innerhalb des öffentlichen Raums. 1060 Anhänger der rechten Szene sind landesweit registriert, 40 weniger als im Jahr davor. 360 stuft der Verfassungsschutz als gewaltbereit ein.

Der Verfassungsschutzbericht führt wie in den Vorjahren als neonazistischen Personenzusammenschluss die „Jugend für Pinneberg“ (JfP) auf. Sie sei jedoch im vergangenen Jahr nicht durch öffentlichkeitswirksame Aktionen in Erscheinung getreten. Das passt ins Bild. Denn das typische Bild vom Rechtsextremen, der pöbelnd durch die Straßen zieht, ist verschwunden. Die rechte Szene hat ihre Aktivitäten überwiegend ins Internet verlegt und kommuniziert dort in geschlossenen Räumen.

Ein fester Veranstaltungstermin im Kalender der neonazistischen Szene wird auch im Kreis Pinneberg wahrgenommen. Es handelt sich um den 13. Juli, der bundesweit von der rechten Szene als „Aktionstag Schwarze Kreuze Deutschland“ verherrlicht wird. Im Kreis wurden 2019 mehrere schwarze Holzkreuze unter Ortsschildern und an Straßenrändern aufgestellt. Darauf waren Schriftzüge wie „Deutsche Opfer – Fremde Täter“ oder die Namen der vermeintlichen Opfer zu lesen. Die rechtsextremistische Szene dokumentierte diese Aktionen im Internet.

Und dorthin, nämlich ins Internet, haben sich zusehends die Straftaten verlagert. 53 sogenannte Hasspostings aus dem rechtsextremen Raum sind landesweit in den Verfassungsschutzbericht eingeflossen, 42 davon werden als Volksverhetzung eingestuft.

Das Internet ist für die Extremisten, egal ob von rechts oder links, auch eine Quelle für Agitation, Propaganda und Mobilisierung. Sie nutzen dafür soziale Medien wie Facebook, Twitter, Insta­gram und Snapchat, aber auch Messenger-Dienste wie WhatsApp, Telegram, Signal und Threema, individuell erstellte Webseiten sowie auch Spieleplattformen – bei Letzteren vor allem die Chatfunktionen, die eigentlich zur Unterhaltung über das Spiel dienen. Diese Foren, Websites und Chatgruppen sind häufig die Orte, an denen Radikalisierungsprozesse – zunächst noch in der virtuellen Welt – entstehen und sich im weiteren Verlauf zu Gefährdungssachverhalten mit Auswirkungen in der Realwelt entwickeln.

In der Folge verlagert sich auch der Schwerpunkt der Arbeit des Verfassungsschutzes ins Internet. „Die Kapazitäten zur Beobachtung des Cyber- und Informationsraums wurden im vergangenen Jahr ausgebaut“, so die neue Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack (CDU). Neben den Angriffen auf die Informationsinfrastrukturen entwickele sich die Verbreitung von Desinformation zu einem noch gravierenderen Problem für die freiheitliche demokratische Grundordnung. „Extremisten wollen demokratische Gesellschaften sowie deren offene Diskurskultur und Meinungsvielfalt durch Desinformation sabotieren. Besonders im Internet teilen und verfestigen Gleichgesinnte in sogenannten Echoräume ihre wahrheitswidrigen Positionen,“ so die Ministerin weiter.

333 Reichsbürger zählt der Verfassungsschutz in Schleswig-Holstein – darunter vermutlich auch einige im Kreis Pinneberg. Sie treten jedoch nicht öffentlich in Erscheinung, zwei von drei Reichsbürgern sind nicht organisiert. Auch die Salafistenszene, die im Kreis ebenfalls eine gewisse Rolle spielt, hat ihre offene Missionierungsarbeit, etwa Koranverteilungsstände, eingestellt.