Ellerbek/Itzehoe. Prozess gegen Omar K. beginnt, der in Ellerbek eine Frau überfallen haben soll. Warum die Kripo schnell auf seine Spur kam.

Omar K. (34) trägt wie alle Untersuchungshäftlinge Mund- und Nasenschutz, eine Schutzmaske vor dem Gesicht und Einmalhandschuhe. Dass ihm die Kuppe vom kleinen Finger der rechten Hand fehlt, ist daher nicht auf Anhieb zu sehen. Sie wurde ihm in der Nacht zum 3. November 2019 in Ellerbek abgebissen, als er einen sexuellen Übergriff auf ein Au-pair-Mädchen beging. So lautet zumindest die Anklage gegen den Libanesen, der sich seit Dienstag vor dem Schöffengericht Itzehoe verantworten muss. Das Verfahren war wegen der Corona-Krise um einen Monat verschoben worden.

Dienstag ist ausgerechnet der Tag, an dem das Opfer der Attacke Geburtstag hat. Katharina D. (Name geändert) wird 24 Jahre alt. Sie stammt aus Russland, kam gerade einmal zweieinhalb Monate vor dem Übergriff nach Deutschland. Sie wohnt bei einer Familie in Ellerbek, kümmert sich um die Kinder des Paares. Vor Gericht aussagen muss sie an ihrem Geburtstag nicht. Richterin Katja Komposch lässt die Videovernehmung der jungen Frau vom Dezember 2019 einspielen. Darin schildert sie mehr als zweieinhalb Stunden lang, was in der Nacht geschah.

Plötzlich presst ihr jemand die Hand auf den Mund

Den Tag über ist Katharina D. mit zwei Freundinnen in Berlin. Abends fahren sie mit dem Bus zurück, vom Hauptbahnhof nimmt sie erst die S-Bahn bis Eidelstedt und dann die AKN. In Schnelsen steigt die junge Frau aus. Sie ist zu diesem Zeitpunkt allein und muss noch 20 Minuten bis zum Haus der Gastfamilie laufen. In einem kaum ausgeleuchteten Wäldchen an der Pinneberger Straße schlägt ihr Peiniger zu – kurz hinter der Landesgrenze zu Schleswig-Holstein und zwei Straßen vom Wohnort des Angeklagten in Schnelsen entfernt.

„Ich hatte Kopfhörer auf, habe Musik gehört und nicht bemerkt, dass sich jemand nähert“, so die 24-Jährige. Plötzlich habe ihr jemand von hinten eine Hand auf den Mund gepresst und sie zu Boden geworfen. „Ich habe so laut geschrien, dass ich noch am nächsten Tag keine Stimme hatte.“ Der Angreifer habe ihr die knielange Jacke hochgezogen und sie auf der Kleidung zwischen den Beinen angefasst. „Wir haben miteinander gerungen, ich habe einen Finger des Mannes in den Mund bekommen und kräftig zugebissen.“

Später merkt sie, dass sie Blut im Mund hatte

Erst später habe sie Blut im Mund gespürt und ihr sei klar geworden, dass sie etwas vom Finger abgebissen hatte. „Er ist dann in Richtung des Bahnhofs weggelaufen.“ Katharina D. flüchtet nach Hause und vertraut sich später ihren Gasteltern an, die die Polizei rufen. Mit den Beamten und der Gastmutter kehrt das Au-pair aus Russland an den Tatort zurück – und stößt auf die abgebissene Fingerkuppe.

Eine DNA-Analyse, die Richterin Komposch am ersten Prozesstag verliest, lässt keinen Zweifel. Die Fingerkuppe gehört Omar K., der zwei Tage nach der Tat im UKE verhaftet wird. Der 34-Jährige wehrt sich gegen die Kripobeamten und beleidigt sie. Dies findet sich in einer zweiten Anklage. Den Übergriff wertet Staatsanwältin Stephanie Poensgen als sexuelle Nötigung und als versuchte gefährliche Körperverletzung, weil der Angeklagte das HIV-Virus in sich trägt.

Opfer fürchtet, sich mit HIV infiziert zu haben

Katharina D. hat Glück im Unglück. Während sie in der Videovernehmung noch davon spricht, große Angst vor dem Testergebnis zu haben, ist fast fünf Monate später klar: Die 24-Jährige hat sich nicht mit HIV angesteckt. Richterin Komposch liest das für das Opfer positive Testergebnis vor. Und sie macht klar, dass sie auch eine härtere Bestrafung des Angeklagten für möglich hält. Statt einer sexuellen Nötigung könnte sich der 34-Jährige auch einer versuchten Vergewaltigung schuldig gemacht haben. Dabei stützt sich die Juristin auf Aussagen des Opfers in der Videovernehmung.

Verteidigerin Stefanie Martens, die im Lauf des Ermittlungsverfahrens den bisherigen Pflichtverteidiger abgelöst hat, sieht das anders. Sie hält der Richterin vor, parteiisch zu sein. Die Juristin sei als Ermittlungsrichterin von Beginn an eingebunden gewesen und habe sich früh festgelegt, von einer versuchten Vergewaltigung auszugehen. „Dafür gibt es aber keinen Anhaltspunkt.“

Omar K. hat seine Aussage mehrfach geändert

Omar K. nickt mehrfach, als seine Anwältin vorträgt. Er hat zuerst behauptet, seine Fingerkuppe sei bei einem Unfall mit einem elektrischen Mixer abgerissen. Als das Ergebnis der DNA-Analyse vorliegt, ändert er seine Aussage. Nun will er die Frau nach dem Weg gefragt haben, weil er falsch aus dem Bus ausgestiegen sei. Die habe ihn aufgrund der Musik aus dem Kopfhörer nicht gehört, sich erschreckt und geschrien. Er habe ihr den Mund zugehalten, um sie zu beruhigen, daraufhin habe sie zugebissen.

Vor Gericht hüllt sich der Angeklagte in Schweigen. Laut Verteidigerin will er sich zu einem späteren Zeitpunkt einlassen. Zunächst hat die Anwältin einen Befangenheitsantrag gegen die Richterin gestellt und beantragt, das Opfer noch einmal persönlich befragen zu können. Über beide Anträge wird erst bei der Fortsetzung Ende Mai entschieden.