Hetlingen. Schachblumen-Blüte steht in der Elbmarsch unmittelbar bevor. Wir erklären in zwei Teilen, was Sie über diese besondere Pflanze wissen sollten.

Jedes Jahr im April ist auf den Wiesen in Hetlingen vor dem Sommerdeich das Schachblumenfest. 100.000 Blüten verwandeln die Landschaft dann in ein pinkfarbenes, romantisches Blütenmeer. Das Fest wird ausgerichtet von der Arbeitsgemeinschaft Umweltschutz Haseldorfer Marsch (ARGE) in Zusammenarbeit mit der Integrierten Station Unterelbe im Elbmarschenhaus in Haseldorf. In diesem Jahr muss es ausfallen. Deshalb berichten wir an dieser Stelle, was eigentlich jeder über die Schachblume wissen sollte.

Im April haben wir im Prinzip keine andere Wahl, als uns mit dem Perlhuhnfleckigen Würfelbecher zu befassen. Im englischsprachigen Raum wird diese Art auch als Schlangenkopf (snake’s head) oder Lepra-Lilie (leper lily) bezeichnet. Noch vor 60 Jahren kam sie millionenfach auf den feuchten und extensiv genutzten Wiesen der Elbmarschen vor. Sie wurde damals körbeweise gepflückt und in Hamburg auf Märkten verkauft. Heutzutage ist die Reettulpe – unsere Pflanze hat viele Namen – vom Aussterben bedroht und darf nicht gepflückt werden. Grund ist in erster Linie die Veränderung ihres Lebensraumes durch Ausbleiben des Hochwassers, zu frühe Mahd, zu starke Beweidung und intensive Düngergaben. Des Kiebitzei – noch ein Name – ist eine empfindliche Diva!

Im zweiten Jahr wächst ein einziges Blatt empor

Am bekanntesten ist sie als Schachblume oder auch Schachbrettblume. Sie fasziniert uns mit dem leichten und grazilen Auftreten ihrer wunderschönen Blüten. Dieses Schauspiel ist uns nur circa zwei Wochen im Jahr vergönnt. Einen Großteil seines Lebens verbringt unser Star, der zur Pflanzenfamilie der Liliengewächse gehört, als Zwiebel im Erdreich. Die Zwiebel ruht dort etwa acht Monate. Im zweiten Jahr wächst ein einziges Blatt empor. Von dieser Anstrengung muss sich unsere Diva erst einmal weitere acht Monate erholen, um im dritten Jahr wieder nur Stängel und Blätter zu bilden. Doch dieses komplizierte, oft sogar nicht einmal vorhersagbare Verhalten verzeihen wir ihr vollständig, wenn sie uns im vierten Jahr mit ihren glockenförmigen, pink-karierten Blüten überrascht. Dann liegen wir ihr zu Füßen!

Etwa ein bis 30 Prozent der Blüten der Schachblume sind nicht rötlich, sondern weiß. Die Gründe dafür sind unbekannt. Das Liliengewächs kann bis zu 25 Jahre alt werden und verhält sich nicht immer lehrbuchgerecht. Mal blüht sie, mal blüht sie nicht. Auf den feuchten Wiesen, die von einem örtlichen Landwirt extensiv genutzt werden, wächst die Reettulpe in großer Zahl. Unsere vielnamige Diva hat bisher aber noch nicht verraten, wann sie in diesem Jahr ihren fulminanten Auftritt hinlegen wird.

Eine einzelne Schachblumen-Pflanze durchläuft in ihrer Entwicklung mehrere Stadien, bis sie blüht. Am Anfang, noch vor der Zwiebel-Phase, steht das Samenkorn. Es geht los, wenn der dünne, fädige Sämling sich aus dem Samenkorn der Sonne entgegenstreckt und wegen seiner lustigen Kopfbedeckung als Zipfelmützen-Stadium bezeichnet wird. Gefolgt vom Schwert-Stadium, das seinen Namen der Schwertform der Blätter verdankt, erreicht er schließlich das „Kerzenständer-Stadium“. Jetzt ist die Pflanze schon viel kräftiger.

Die Schachblume ist ein sehr kapriziöses Gewächs

Wer die Schachblume im Garten aussät, braucht Geduld. Die Schachblume ist ein sehr kapriziöses Gewächs. Niemand weiß, warum sie nicht jedes Jahr blüht, sondern Jahre auslässt, in denen sie ganz bescheiden im Schwertstadium verharrt und nur grasähnliche Blätter produziert. Dann kann man sie leicht übersehen und für einen Grashalm halten. Sie wird dann leicht zertreten oder im Garten als unerwünschtes Unkraut herausgerissen.

Die für uns atemberaubende Blüte hat unter botanischem Blickwinkel einen einfachen Aufbau, da sie nur gleichgestaltete Blütenblätter hat. Es fehlt eine Unterscheidung in gefärbte Kron- und grüne Kelchblätter. Die Blüte ist zweigeschlechtlich, das heißt, dass weibliche und männliche Anteile vorhanden sind. Dieses Prinzip ist bei Pflanzen weit verbreitet. Die Schachblume hat einen aus drei Fruchtblättern verwachsenen weiblichen Blütenteil. Dieser trägt eine dreiteilige Narbe. Die sechs männlichen Staubfäden tragen in gelben Staubbeuteln die Pollen. Gelangen Pollen auf die Narbe, findet die Befruchtung statt. Die Schachblume bildet dann sehr viele, kleine Samen. Unsere Schachblume setzt auf Insektenbestäubung. Angelockt von den leuchtenden Blütenblättern, stürzen sich insbesondere Hummeln und Bienen auf die Pollen, die sie gern als Nahrung mitnehmen. Als besondere Leckerei lockt die Schachblume noch mit Nektar. Die vollkommen mit Pollen übersäten Insekten taumeln betört zur nächsten Blüte, die mit den Pollen befruchtet wird. Es kommt jedoch auch Selbstbefruchtung innerhalb einer Blüte vor. Und wenn das alles nicht klappt, hat unsere Diva ja noch eine Zwiebel, mit der sie Tochterzwiebeln bilden kann. Wir alle kennen Zwiebeln aus der Küche und von vielen Gartenpflanzen wie Krokus, Narzisse oder Schneeglöckchen.

Die Zwiebeln werden mit Nährstoffen vollgepackt

Ähnlich sehen die Zwiebeln der Schachbrettblume aus. Eine Zwiebel ist botanisch gesehen ein gestauchter Spross, der sich meist unter der Erdoberfläche befindet. Die fleischigen Blätter dienen als Speicherorgane. In der Zwiebel liegt gut geschützt die Knospe mit der Anlage der Blätter und der Blüten. Zwiebeln werden in der Vegetationsperiode mit Nährstoffen vollgepackt, damit die Pflanze im nächsten Frühjahr gleich durchstarten kann und so einen Konkurrenzvorteil vor anderen Pflanzen hat, die quasi „von der Hand in den Mund“ leben und erst Nährstoffe produzieren müssen.

Hoffen wir, dass unsere Marschen-Diva in diesem Jahr ihre Zwiebel gut füllen kann, damit wir im nächsten Frühjahr viele blühende Schachblumen bewundern dürfen.

*Autorin Edelgard Heim ist Leiterin des Elbmarschenhauses in Haseldorf