Rellingen. Hofladen bietet Nudeln, Zucker, Mehl und mehr unverpackt an. Das schont die Umwelt und kann sogar vergleichsweise günstig sein.

Akkurat reihen sich Penne, Weizen, Dinkel und Müsli in schlanken Abfüllbehältern aneinander. Darunter lagern Popcorn-Mais, Walnüsse und mit Salz-Karamell ummantelte Mandeln. In transparenten Gefäßen sieht jeder, was er bekommt. Ansprechend präsentiert und – vor allem – komplett plastikfrei.

Unweit von Weiden und Wiesen an der Pinneberger Straße liegt dieses kleines Idyll: der Rellinger Hofladen. Seit Kurzem gibt es dort eine Unverpackt-Station, eine der ersten im Kreis. Das Prinzip bei den rund 70 Produkten: Kunden bringen von zu Hause Gefäße mit. Im Laden wird das Leergewicht abgezogen. Und dann kommt die Qual in der Wahl. Gewürze, Nudeln, Nüsse, Reis, Schokolade. Gewünschte Menge abfüllen, nach Gewicht bezahlen. „Jeder kauft genau so viel, wie er braucht“, sagt Karola Münster. „Selbst wenn es nur zehn Nüsse sind.“

Karola Münster ist 42 Jahre alt und die Geschäftsführerin des Hofladens. Die Agraringenieurin trägt Jeans und Wollpullover, die Haare zum lockeren Dutt gebunden. Seit 17 Jahren betreibt sie den Laden auf dem Hof, auf dem ihre Großeltern vor mehr als 70 Jahren Kühe und Schweine hielten. Die Milchviehhaltung ist inzwischen einen knappen Kilometer weiter an den Kirchenstieg gezogen und wird von ihrem Bruder geleitet. Die Milch verkauft sie aber nach wie vor in Glasflaschen in ihrem Laden, die Unverpackt-Station ist ihr neuestes Projekt.

Mit hochgekrempelten Ärmeln und Schürze wirkt sie wie jemand, der anpackt. „Landwirtschaft ist eine Herzenssache“, sagt sie. Mit ihrem Ehemann und drei Kindern lebt sie auf dem Land. Seit vielen Jahren beschäftigt sie sich mit Nachhaltigkeit: „Wie gehe ich wertschätzend mit Lebensmittel um? Wie bekomme ich ein Produkt möglichst ohne Verpackung und mit wenig Fahrweg zum Kunden?“

Paprikapulver lässt sich aus dem großen Vorratsglas ganz einfach in kleinere mitgebrachte Gläser umfüllen.
Paprikapulver lässt sich aus dem großen Vorratsglas ganz einfach in kleinere mitgebrachte Gläser umfüllen. © HA | Chantale Rau

Die Lebensmittel in ihrem Hofladen stammen überwiegend aus der Region, viele aus eigenen Erzeugnissen. Das Mehl stammt von einer Bio-Mühle, Milch vom nahe gelegenen Hof ihres Bruders, Nüsse kommen vom Naturkosthandel. An jedem Behälter klebt ein Etikett mit Infos zu den Produkten. Auch Stift und Zettel liegen bereit. Kunden können Inhaltsstoffe, Allergene und das Mindesthaltbarkeitsdatum notieren. Wer keine Behälter dabei hat, kann sich die Grundausstattung vor Ort kaufen. Kunden bringen oft auch Stoffbeutel für Brot oder Tupperdosen für Käse mit.

„Das Unverpackt-Angebot weiten wir fortlaufend aus“, sagt Karola Münster. „Als Nächstes kommen Linsenbratlinge hinzu.“ Über das plastikfreie Sortiment hinaus versuche sie, alles im Kreislauf zu betrachten. Dabei soll nichts weggeworfen werden. So werde nicht verkauftes Brot oder schlapp gewordener Salat auf einem anderen Hof als Tierfutter verwendet, der wiederum Milch oder Getreide an eine Bio-Bäckerei liefere. Am Ende verkaufe der Rellinger Hofladen wieder das Brot von dort. Der Kreis schließt sich.

Große Säcke mit Mehl und Zucker, Milch in Glasflaschen – früher war einkaufen ohne Plastik und Preis nach Gewicht Alltag. Schnell drängt das Bild von Tante-Emma-Läden mit Waage neben der Kasse auf. Der typische Anblick von Supermarkt-Regalen hat dieses Bild vom Einkaufen grundlegend geändert: Logos prangen von bunten Verpackungen. In der Gemüseabteilung stapeln sich in Folie eingeschweißte Gurken, drei Regale weiter liegen Spülmaschinentabs zu Hunderten in Kartons, jeder einzeln luftdicht in Plastik gehüllt.

Doch es geht auch anders, wie der Rellinger Hofladen nun zeigt. Der erste deutsche Unverpackt-Laden der neuen Generation eröffnete 2014 in Kiel. Inzwischen gibt es sie von Hamburg über Berlin bis München, meist in Großstädten. Manchmal als komplettes Geschäft, manchmal als Teilangebot. Die neue, alte Idee speist sich dabei von der „Zero-Waste“-Philosophie (zu Deutsch: null Müll).

„Zero Waste“ steht als wohlklingender Anglizismus dabei für nichts weiter als die gute, alte Abfallvermeidung und Ressourcenschonung. Durch ein Selbsthilfe-Buch von Béa Johnson erlangte der Begriff Bekanntheit bei einem größeren Publikum. Darin erklärt die Umweltaktivistin konkrete Strategien, um Müll zu vermeiden. Dabei soll „Zero Waste“ nicht mit Verzicht gleichgesetzt werden. Eher geht es um einen Perspektivwechsel, Routinen zu überdenken, alltägliche Dinge wie Einkaufen anders anzugehen. Dazu zählen Unverpackt-Läden. Als Vorreiter gilt ein Geschäft in London, das schon 2007 öffnete.

Es ist gar nicht so einfach, Lieferanten zu finden

Nun gibt es das Angebot also auch (beziehungsweise wieder) im Kreis Pinneberg. Doch nicht nur Verpackungsfreiheit, auch Nachhaltigkeit wird in Rellingen groß geschrieben. „Einen Schinken bekommen wir aufgeschnitten vom Schlachter, den Knochen geben wir an ein Restaurant, das auf der Basis eine Brühe kocht. Die Suppen kriegen wir dann im Glas zurück und verkaufen sie weiter“, erzählt Karola Münster. Dazu gibt es ein Pfandsystem für Glasbehälter im Laden. Auch steht auf dem Hof ein 24-Stunden-Automat mit Milch, Eiern und Sahne – für die Spontankäufer. Damit trifft Karola Münster ebenfalls den Zeitgeist.

Mit dem Unverpackt-Sortiment ist sie auf große Resonanz gestoßen. Doch die andere Seite, die Industrie dahinter, macht die Umsetzung gelegentlich schwierig. Viele Großhändler verpacken ihre Produkte handelsüblich mit Plastik und Luftkissen. Bei der Auswahl ihrer unverpackten Produkte musste Karola Münster deshalb auch schon mal längere Zeit suchen, bis sie einen Partner fand, der ebenfalls Wert auf Nachhaltigkeit legte.

So werden etwa Zucker, Müsli, Mehl und Gewürze in Papiertüten geliefert. Das Team von 15 Mitarbeitern füllt damit im Laden die gereinigten Behälter auf. „Mit viel Liebe und Zeit“, sagt Münster. „Mit ‚schnell, schnell‘ funktioniert das nicht.“ Im kleinen Laden lasse sich das gut umsetzen, für größere Supermärkte könnte das schwieriger sein – schon wegen der Pflege und der Assistenz für Kunden.

Denn unverpackt einzukaufen ist nicht jedermanns Sache. „Für manche mag es auch einfach unpraktisch sein“, sagt Münster. Trotzdem begrüße sie eine offene Haltung: „Wenn man 20 Jahre lang die Dinge gleich macht, dann braucht es erst einmal kleine Schritte, um neue Wege zu gehen.“

Dabei rechnet sich der nach Gewicht bemessene Preis oftmals. Etwa, wenn jemand nur Mandeln für einen einzigen Geburtstagskuchen oder Linsen zum Probieren eines neuen Rezepts braucht. Und: Wer kleine Mengen zum geringen Preis kauft, verbraucht nur wenig Platz und verursacht nur wenig Abfall oder Überschuss. Während etwa übrig gebliebene Kürbiskerne sonst in der Küche vertrocknen und schließlich im Mülleimer enden. Das gelte für mehrere ihrer Unverpackt-Produkte, sagt Münster. Durch die fehlende Verpackung und Etikettierung fallen nämlich Kosten weg. „Ich kann Nüsse unverpackt günstiger anbieten als die verpackten zu 100 Gramm.“

Ob die Zukunft unverpackt sein wird? Münster sieht den absoluten Schritt nicht. Doch es lohne sich, sich selbst zu fragen: Brauche ich das wirklich? Jeder Einkauf sei auch eine Entscheidung. „Wenn ich eine sehr günstige Milch kaufe, gebe ich damit auch meine Zustimmung zu den Produktionsbedingungen ab.“ Dasselbe gelte für ein T-Shirt, das nur drei Euro kostet und auch für jede Plastiktüte. Münster zeigt sich allerdings tolerant: „Jeder muss das für sich entscheiden.“

Dabei ist angepasstes Konsumverhalten längst Konsens. Sei es Erdbeeren nur im Sommer zu kaufen, die Winterjacke secondhand zu shoppen oder die 200 Meter zum Bäcker nicht mit dem SUV zu fahren: Es gibt viele Alternativen, die einen umweltbewussten Lebensstil fördern. Nachhaltigkeit ist längst aus der verstaubten Öko-Nische in die Mitte der Gesellschaft gerückt, und zwar nicht erst seit dem großen Erfolg der Klimaaktivisten. Denn Unverpackt einzukaufen ist nur eine Facette. Oder wie Karola Münster sagt: „Jeder Einkauf ist immer auch ein Bekenntnis.“