Holger Junker ist der neue Leiter des Wedeler Stadtmuseums. Was der unkonventionelle Experimental-Archäologe plant.
"Kaffee?“, fragt Holger Junker und lächelt fragend in die Runde. Er selber greift zu einem dunkelbraunen Trinkgefäß, das einen skurrilen Kontrast zu den weißen Porzellantassen mit rosafarbenen Verzierungen bildet, die vor ihm auf dem Tisch stehen. „Den habe ich selbst getöpfert“, sagt er. „In Anlehnung an meinen ersten ausgegrabenen Trinkbecher.“ Und schon ist man im Thema.
Holger Junker ist Archäologe, Experimental-Archäologe, um genau zu sein. Seit Anfang des Jahres ist der Mann neuer Leiter des Wedeler Stadtmuseums. Dunkler Vollbart, schwarze Brille, schwarze Kleidung, schwarzer, auffälliger Schmuck an Hals und Ohr, dazu ein breites Grinsen – Junker ist jemand, den Besucher im Gedächtnis behalten werden. Allen voran seine Erzählungen. Über prähistorische Werkzeuge referiert er ebenso unterhaltsam wie über die üblichen Berufsaussichten von Archäologen (schlecht).
Oma fuhr mit ihm zu Grabhügeln
Seine Leidenschaft für die Archäologie? Hat Junker schon als Kind entdeckt. Aufgewachsen im schleswig-holsteinischen Schwabstedt, einem Dorf bei Husum, waren es die Radtouren mit seiner Großmutter, die das erste geschichtliche Interesse weckten. „In Nordfriesland gibt es viele Grabhügel. Wenn wir an einem vorbeigeradelt sind, hat meine Großmutter immer angehalten.“
Zum Studium der Vor- und Frühgeschichtlichen Archäologie zog es ihn aber nicht ins nahe gelegene Kiel, sondern nach Hamburg. „Ich war jung und wollte leben“, sagt er. Und lacht. Die Stadt sei ihm auch familiär nahe gewesen, da Verwandte dort leben und sein Vater gebürtiger Hamburger ist. Die Studienbedingungen seien zudem optimal gewesen: „Der Studiengang war sehr progressiv und offen. Wir hatten die absolute Freiheit. “
Erste Erfahrungen in der Museumsarbeit sammelte Junker schon im zweiten Semester, als er anfing als freier Mitarbeiter im Archäologischen Museum in Hamburg zu arbeiten. An das Vorstellungsgespräch erinnert er sich noch heute gern: „Der Museumsdirektor ging auf dasselbe Gymnasium wie ich.“
Es folgen 20 Jahre freiberufliche Tätigkeit an unterschiedlichen Museen, Schulen und Einrichtungen. Unter dem Label lebendigesteinzeit.com bietet Junker archäologische Museumspädagogik mit dem Schwerpunkt „Steinzeit“ an – das Programm reicht vom Kindergeburtstag bis zum Stadtrundgang.
„Mich interessiert der Vermittlungsaspekt. Ich möchte Menschen an Kultur heranführen und sie dafür begeistern“, sagt er. Dabei sei ihm wichtig, jeden mitzunehmen: „Ob das nun der Kegelclub aus Winsen oder die 5. Klasse aus Hamburg-Schnelsen ist.“ Aber auch für Kitakinder und Demenzkranke habe er bereits Steinzeit-Führungen organisiert.
„Ich musste es einfach machen“
Sein museumspädagogisches Konzept war es auch, das ihn nun nach Wedel geführt hat. „Ich habe mich vor zwei Jahren initiativ beworben und gefragt, ob im Stadtmuseum so etwas angeboten wird“, erzählt Junker. Seine Vorgängerin Sabine Weiss habe ihm daraufhin geraten, bei seinem Lebenslauf doch lieber gleich eine leitende Funktion ins Auge zu fassen und die Stellenausschreibung im Hinblick auf ihren nahenden Ruhestand im Auge zu behalten. Zwei Jahre später folgt die Bewerbung. „Das war wie im Film. Ich musste es einfach machen“, sagt Junker begeistert.
Was er als erste Ausstellung plant? „Ich möchte auf jeden Fall eine archäologische Sonderausstellung machen.“ Erfahrungen damit, die Archäologie in den Kreis Pinneberg zu bringen, hat der 44-Jährige bereits. 2003 habe er damit begonnen, im Industriemuseum Elmshorn den Bereich Steinzeit aufzubauen.
Aufruf an die „Heimatsammelszene“
Für seine erste Ausstellung im Wedeler Stadtmuseum die noch für die erste Jahreshälfte geplant ist, ist er nun dabei, Kontakt zur „Heimatsammelszene“ aufzubauen, wie er es nennt. „Ich möchte Funde aus Wedel und der Wedeler Marsch zeigen, die sonst nicht zu sehen sind." Und fügt mit breitem Lächeln hinzu: „Wenn jemand seine Funde zur Verfügung stellen möchte, kann er sich gerne bei mir melden.“
Den Bogen von der Steinzeit zur Wedeler Stadtgeschichte, die das Museum in einer Dauerausstellung abbildet, zu schlagen, ist für ihn selbstverständlich: „Die Steinzeit gehört doch dazu.“ Junker betont aber, dass er das Museum darüber hinaus auch für andere Bereiche und Zielgruppen öffnen will. So sei für den Herbst eine Comicausstellung geplant. Gespräche mit einer befreundeten dänischen Künstlerin liefen bereits.
Comics sollen ins Museum
Wie Dänemark und Wedel zusammenhängen? „Die Künstlerin kommt aus Viborg, das ist der Ursprungsort vom Ochsenweg“, sagt Junker, womit er erneut eine Brücke baut. Comics einer Wedeler Künstlerin sollen die geplante Ausstellung komplettieren. Parallel dazu möchte der neue Museumsleiter Workshops für Jugendliche anbieten.
Dass er praxisorientiert arbeitet, stellt er an diesem Tag im Museumsgarten unter Beweis, in dem er mithilfe eines eisenhaltigen Steins und eines Feuersteins archaisch ein Feuer entzündet – in Manier unserer Vorfahren. „Bei der Archäologie geht es um menschliches Verhalten“, sagt er. Damit ist quasi auch schon geklärt, was einen Experimental-Archäologen ausmacht: „Sie probieren prähistorische und historische Techniken aus, um wissenschaftliche Erkenntnisse zu gewinnen.“
Ließ sich mit steinzeitlicher Technik tätowieren
Das reiche von der Bearbeitung von Feuersteinen über die Herstellung von Werkzeugen und Pfeilspitzen bis hin zur Rekonstruktion eisenzeitlicher Häuser. Dabei liege auch ein Fokus darauf, interdisziplinär zu arbeiten und sich mit Experten anderer Fachbereiche wie zum Beispiel Tischlern oder Architekten über die Befunde auszutauschen und deren Plausibilität zu prüfen. „Mich fasziniert besonders, dass ich die Materialien in der Hand halten kann“, so Junker.
Wie sehr sein Herz für „Archo-Techniken“ schlägt, ist an seinem rechten Unterarm zu sehen, auf den ein eiszeitliches Wollnashorn tätowiert ist – mit einer steinzeitlichen Tätowiertechnik. „Knochen galt weithin als prähistorische Tätowiernadel. Das habe ich in meiner Magisterarbeit ad absurdum geführt“, sagt Junker und lacht.
"Das Wollnashorn ist das zweitcoolste Tier aus der Eiszeit"
Thema der Abschlussarbeit? Steinzeitliche Tätowiertechniken. Junker fand heraus, dass sich jeder Gegenstand, der spitzer als 0,02 Millimeter ist, zum Tätowieren eigne. Sein eigenes Tattoo, das Abbild einer Höhlenmalerei, ließ er sich von einem bekannten dänischen Tattoo-Künstler stechen – mit einem Pflanzendorn.
Und das Wollnashorn? „Ich brauchte ein Logo. Mammuts werden immer mit Archäologie in Verbindung gebracht und das Wollnashorn ist das zweitcoolste Tier aus der Eiszeit.“
Wie sehr Junker für seine Arbeit brennt, wird schon nach wenigen Minuten, die man mit ihm verbringt, deutlich. Er freue sich aber auch darauf, dass er durch seine Festanstellung künftig mehr Zeit für die Familie habe. Mit seiner Frau, die er im Archäologiestudium kennenlernte, und der gemeinsamen sieben Jahre alten Tochter wohnt der Experimental-Archäologe im Hamburger Stadtteil Marmstorf.
Mag Craft-Beer – „schönes Knochenende!“
Privat begeistere sich Junker für seinen Schrebergarten, Craft Beer und Musik – vor allem für Post- und Psychedelic-Rock. Das Poster seiner Band hängt bereits in seinem Büro im ersten Stock des Wedeler Stadtmuseums.
In Wedel hätte das Gefühl von vornherein gestimmt, sagt Junker. „Hier herrscht ein sehr herzlicher Umgangston untereinander.“ Und auch dieses Bewerbungsgespräch sei ihm in positiver Erinnerung geblieben: „Für mich ist es entscheidend, dass einem Kaffee angeboten wird, wenn man einen Raum betritt. Wenn der dann auch noch gut ist, kann eigentlich nichts mehr schiefgehen.“
Seinen ersten archäologischen Fund, nach dessen Vorbild er sein eigentümliches Kaffee-Trinkgefäß töpferte, machte er übrigens in Appen – und da schließt sich der Kreis. Schon vor seinem Antritt in Wedel ist er im Kreis Pinneberg fündig geworden. Ganz der Archäologe verabschiedet sich Junker dann auch mit den Worten: „Schönes Knochenende!“