Pinneberg. Die Tiere seien im ganzen Kreis auf dem Vormarsch und brächten Risiken mit, so die Kreisjägerschaft. Der Nabu widerspricht dieser Darstellung.

Sie sind viele und sie werden immer mehr. Inzwischen gibt es sie rottenweise im ganzen Kreis: Wildschweine. Die zunehmende Ausbreitung der Tiere beobachtet die Kreisjägerschaft allerdings mit großer Sorge, denn die drohenden Folgen seien immens. Die Jäger befürchten vermehrte Fraßschäden in den Baumschulen, eine erhöhte Gefahr durch Wildunfälle auf den Straßen und nicht zuletzt die Ausbreitung der Afrikanischen Schweinepest. „Deshalb“, fordern die Jäger, „darf der Jagddruck nicht gemindert werden.“

„Das große Nahrungsangebot führt mittlerweile dazu, dass Wildschweine fast das gesamte Jahr über paarungsbereit sind“, sagt Hans-Albrecht Hewicker, Obmann für Wildtiererfassung der Kreisjägerschaft. Insbesondere die großen Maisfelder der Region seien über viele Monate „wie ein Büfett für die Tiere“. Zudem fehlten im Winter oft Schnee und Eis, sodass die Allesfresser inzwischen oftmals leichtes Spiel bei der Nahrungsbeschaffung hätten.

2019 wurden 91 Wildschweine erlegt

Nachdem die Tiere der Jägerschaft zufolge etwa um das Jahr 1800 im Raum Pinneberg ausgerottet waren und fast zwei Jahrhunderte kaum noch vorkamen, siedeln sie sich seit den 90er-Jahren wieder an. Zunächst fühlten sie sich demnach nur im Norden des Kreises heimisch, nach Angaben der Jäger von Bokel über Lutzhorn, Heede bis Langeln. Inzwischen gebe es aber auch eine „kräftig wachsende Kolonie“ im Raum Heist und Holm. Diese Tiere wandern vermutlich vom Klövensteen in ihr neues Revier.

Ein weiteres Indiz für die Befürchtung der Waidmänner: Wurden 2004 nur 15 Wildschweine erlegt, waren es 2018 schon 52 Tiere. Und im abgelaufenen Jagdjahr zählte die Jägerschaft nun sogar 91 geschossene Schwarzkittel, darunter 36 Frischlinge. „Diese Entwicklung im Kreis Pinneberg ist im Wesentlichen auf die Zunahme und die verstärkte Bejagung im Südkreis zurückzuführen“, sagt Hewicker.

Angst vor der Afrikanischen Schweinepest

Deshalb sieht die Jägerschaft dringenden Handlungsbedarf. Vor allem die Gefahr der Afrikanischen Schweinepest sei nicht zu unterschätzen. Inzwischen sei die Seuche in Polen bis auf 20 Kilometer an die deutsche Grenze herangerückt, Dänemark hatte sogar einen Grenzzaun errichten lassen: „Die Hauptgefahr bildet zwar nach wie vor der Mensch, der sich mit kontaminierten Lebensmitteln unachtsam verhält“, räumt Hewicker ein. „Aber wenn es erst mal zu einem Ausbruch der Pest gekommen ist, sind die Wildschweine der Hauptverbreitungsfaktor.“

Je dichter der Bestand, desto höher die Gefahr der schnellen Verbreitung. „Wir müssen weiterhin wachsam sein“, mahnt Hewicker. Denn Haus- und Wildschweine sterben nach der Infektion innerhalb einer Woche. Für andere Haus- und Nutztiere sowie für Menschen sei das Virus zwar ungefährlich, doch ein Ausbruch könne schwerwiegende wirtschaftliche Folgen haben. Hewicker sieht sogar den internationalen Export von Schweinefleisch gefährdet und nationale Handelsbeschränkungen für die Landwirtschaft auf Deutschland zukommen. Ein ganzer Wirtschaftszweig würde, so Hewicker, schlagartig stillgelegt werden mit der Folge von Milliardenschäden.

Nabu hält eine "Vielzahl von hauptamtlichen Jägern" für nötig

Nicht ganz so düster malt der Naturschutzbund (Nabu) in Schleswig-Holstein die Lage im Kreis. Die Zahl der geschossenen Tiere sei viel zu gering, um sich überhaupt bemerkbar zu machen, sagt Nabu-Landesgeschäftsführer Ingo Ludwichowski. Zudem deute die Jägerschaft mit ihrer Erklärung an, dass sie kein Rezept habe, wie sie den zu erwartenden weiteren Anstieg mit jagdlichen Mitteln aufhalten will.

Eine Maßnahme wäre laut Nabu tatsächlich, das Nahrungsangebot in Form von Energie- oder Futtermais deutlich zu verringern, denn er gilt als wesentlicher Treiber für die Zunahme der Bestände. „Dazu äußert man sich aber in Jägerkreisen lieber nicht, da man häufig selbst Landwirt ist, und diese Entwicklung damit auch selbst befeuert“, so Ludwichowski. Zudem sei auch das Unterfangen, die Bestände nachhaltig mit bloßen Abschüssen zu verkleinern, „illusorisch“ sagt der Nabu-Landesgeschäftsführer. „Eine effektive Reduzierung der Wildschweinbestände wäre nur – wenn überhaupt und ohne Garantie – durch eine Vielzahl von hauptamtlichen Jägern möglich.“ Die „Freizeitjäger“ seien dazu definitiv nicht in der Lage.

Die Tiere breiten sich vor allem Richtung Norden aus

Hinzu kommt, dass die natürlichen Feinde der Tiere ausgestorben sind – es gibt weder Braunbären noch ausreichend Wölfe. Also bleiben die Jäger. Und die haben ihre Schwierigkeiten mit dem Tier. Denn es ist nicht nur wild, sondern auch schlau. Obwohl es bei Wildschweinen im Gegensatz zu anderen Arten keine Schonzeiten gibt, wären nur aufwendige Drückjagden einigermaßen erfolgversprechend. Denn ganze Rotten verstecken sich gern in Maisfeldern und entziehen sich so den Visieren der Jäger.

Forscher der Universität Kiel hatten schon 2014 festgestellt, dass sich die Tiere in Schleswig-Holstein vornehmlich in Richtung Norden ausbreiten. Sie warnten vor einem Anstieg der Population. „Bei einer Reproduktionsleistung von maximal 300 Prozent können die Bestände bei geringer Bejagung, günstigen klimatischen Bedingungen und guter Nahrungsverfügbarkeit stark ansteigen“, heißt es im Bericht.

Insgesamt sind im vergangenen Jahr in ganz Schleswig-Holstein laut Bericht des Landesamtes 16.276 Tiere des „Schwarzwildes“ erlegt worden – 7930 weibliche Wildschweine und 8346 männliche. 91 erlegte Tiere im Kreis Pinneberg wirken da laut Nabu vergleichsweise gering und deuten nicht auf eine Wildschweinplage hin. Zum Vergleich: Im Kreis Herzogtum-Lauenburg wurden 2019 rund 4500 Wildschweine erlegt.