Elmshorn. Zunehmend schwierige Fälle im Winternotquartier in Elmshorn stellen die Helfer vor Herausforderung. Team sucht noch Ehrenamtler als Verstärkung.
Der Mann ist alt, inkontinent, Alkoholiker und dement. Seine Wohnung hat er verwahrlosen lassen. Seine Frau lebt schon seit Jahren in einer Pflegeeinrichtung. Ihm ist ein gesetzlicher Betreuer an die Seite gestellt. Doch der hat nicht verhindern können, dass der Vermieter die Wohnung gekündigt hat. Der Alte ist nun obdachlos, verschwunden vom sozialen Radar, ehe er in Elmshorn wieder auftaucht. Polizisten greifen ihn auf. Sie klingeln Wiebke Turkat nachts aus dem Bett. Die leitet die Bahnhofsmission Elmshorn, zu der seit 2015 das Winternotquartier der Diakonie Rantzau-Münsterdorf an der Gärtnerstraße gehört.
„Der Mann gehört eigentlich in eine Pflegeeinrichtung“, sagt sie. Die Fälle, mit denen sie und ihr ehrenamtliches Team zu haben, werden immer komplexer. „Wir werden zunehmend mit schwierigen Problemlagen konfrontiert“, sagt Turkat. Oft seien Helfer überfordert. Sie kann den Vormund des alten Mannes ausfindig machen und mit ihm eine stationäre Pflege organisieren.
In einem anderen Fall hilft sie zwei jungen Rumänen, die mit falschen Hoffnungen und ihrem letzten Geld nach Deutschland gekommen sind, um hier zu arbeiten. „Sie landeten in Flensburg in einem Chinarestaurant, wo sie putzten. Geld bekamen sie nicht, nur eine Mahlzeit am Tag“, sagt sie. Sie hätten vom Fußboden essen müssen, so erzählen es die beiden ihr, nachdem sie letztlich vor der Bahnhofsmission in Elmshorn gelandet sind. Ein Bahnmitarbeiter hat sie dort aus dem Zug geworfen, weil sie ohne Tickets unterwegs waren. Turkat gibt ihnen zu essen, spricht Mut zu und ermöglicht ihnen die Fahrt nach Hamburg, wo sie sich bei den zuständigen Behörden melden sollen. Was sich noch verändert hat: In den vergangenen Jahren landeten auch immer mehr Frauen und immer häufiger junge Leute auf der Straße. Während sie im vergangenen Winter insgesamt acht Menschen mit mehr als 100 Übernachtungen in der Notunterkunft hatte, sind es in diesem Jahr schon in den ersten zwei Monaten acht Menschen gewesen.
Das Winternotprogramm wurde vor 23 Jahren ins Leben gerufen, nachdem in Elmshorn ein Obdachloser auf der Straße erfroren war. Seitdem fanden Hunderte von Menschen ohne feste Bleibe in der Gärtnerstraße über Nacht einen warmen Platz zum Schlafen. Sie werden von sechs Ehrenamtlichen betreut.
Einer von ihnen ist Reinhard Schlothauer. Der Pensionär macht diese Arbeit seit 20 Jahren, gehört mittlerweile zum Urgestein. „Manche Wohnungslose sind froh, wenn sie mit jemandem reden können, andere verschließen sich oder lehnen jede Hilfe ab“, sagt der 65-Jährige, der für sein Engagement von der Stadt mit der Ehrenmedaille ausgezeichnet worden ist. Der Umgang mit den Obdachlosen sei überwiegend per du und freundlich. „Ich bin überzeugt, dass es jeden treffen kann.“ Zuerst gehe die Ehe kaputt, man müsse aus der Wohnung raus, und dann sei der Job weg – ein Teufelskreis, den er bei der Klientel immer wieder beobachte.
Schlothauer und seine Mitstreiter sorgen dafür, dass die Notunterkunft jeden Abend um 18 Uhr aufgeschlossen und morgens um 9 Uhr abgeschlossen wird. Die Dienste sind bereits eingeteilt. Jeweils zwei Ehrenamtliche übernehmen eine Wochenschicht. Es geht darum, einen warmen Schlafplatz zu bieten. Tagsüber sollen die Obdachlosen ihre Angelegenheiten bei den Ämtern erledigen und sich um eine feste Bleibe bemühen. Im Diakoniecafé an der Sankt-Nikolai-Kirche am Alten Markt können sie sich tagsüber bei einer Tasse Kaffee aufwärmen. Während sich die Diakonie um Durchreisende kümmert, werden Wohnungslose von ihren Kommunen betreut.
Fünf Betten stehen im Elmshorner Winternotquartiert bereit, zwei davon im Frauenzimmer, zu dem ein separates Badezimmer gehört. Das Herrenzimmer gegenüber ist mit drei Schlafplätzen ausgestattet. Die kleine Küche, in der auch eine Waschmaschine steht, wird gemeinsam genutzt. Ehrenamtliches Engagement ist willkommen. „Wir freuen uns jederzeit über neue Gesichter und Unterstützung“, sagt Schlothauer.
Manche Schicksale berühren Schlothauer. Wie das eines jungen Mannes, der jeden Winter kam. „Jedes Jahr sah er schlimmer aus und wurde durch den Alkohol immer aggressiver“, sagt er. Der junge Mann wollte sich nicht helfen lassen. „Er lief sogar aus dem Krankenhaus weg, ohne Schuhe.“ Als er starb, holte sein Vater die letzten Habseligkeiten ab: ein Kamm, eine Geldbörse, Hose und Jacke. Das war alles, was von einem Leben übrig geblieben war.
Doch es gibt auch die Erfolgsgeschichten. Siegfried Denk, genannt Siggi, lebte fast 40 Jahre auf der Straße. Dank der Hilfe der Mitarbeiter der Diakonie lebt er seit sechs Jahren in einer Wohnung in Elmshorn und hat seinen Rhythmus gefunden. Heute gehört er selbst der Gruppe der Ehrenamtler an.
Wer sich die Aufgabe zutraut, kann Kontakt mit der Bahnhofsmission aufnehmen: 04121/23 61 31.