Kreis Pinneberg. Auch bei den Meldungen zu Legionellen steuert der Kreis Pinneberg 2019 auf einen Rekordwert zu. Warum? Das bleibt ein Rätsel.
Zuletzt traf es – mal wieder – öffentliche Gebäude in den beiden großen Städten. In der Pinneberger Berufsschule mussten Filter an alle Wasserhähne gebaut werden, die Ursachenforschung dauert an. In Elmshorn wurden ganze Gebäude gesperrt. Kurzum: Auffällig oft kommt es im Kreis Pinneberg zu Legionellenbefall im Trinkwasser. Tatsächlich waren kreisweit 310 Fälle bis Ende Oktober dokumentiert. Die höchste Zahl in einem Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen, so die Kreisverwaltung auf Abendblatt-Anfrage.
Eine Statistik des Robert-Koch-Instituts für meldepflichtige Krankheiten zeigt zudem, dass der Kreis auch die höchste Zahl an Legionellose-Fällen in ganz Schleswig-Holstein aufweist – die mögliche Folgeerkrankung bei Legionellen im Trinkwasser. Seit 2011 ist die sogenannte Legionärskrankheit demnach bei mindestens 33 Personen aus dem Kreis diagnostiziert worden. Die Infektion, eine schwere Lungenentzündung, wird meist durch Einatmen beim Duschen hervorgerufen und endet in zehn Prozent der Fälle tödlich.
Ein konkrete Erklärung für diese auffällige Häufung hat der Kreis nicht. „Es gibt nur die Vermutung, dass in dem Kreis mit der größten Einwohnerzahl auch die höchste Zahl an Infektionen wahrscheinlich ist“, sagt Sprecher Oliver Carstens. Das Gesundheitsamt würde die engen Überwachungsmaßnahmen an den Wasserentnahmestellen in jedem Fall vorschriftsmäßig absolvieren – wie sie die 2012 verschärfte Trinkwasserverordnung vorsieht.
Die Zahlen sind allerdings alarmierend, meint der Sachverständige Robert Hagedorn: „Denn meist sind öffentliche Gebäude betroffen, wie jetzt die Berufsschule in Pinneberg.“ Wenn die Ursache für solche Legionellenfälle nicht gefunden werde und stattdessen mit zahlreichen Ad-hoc-Maßnahmen wie Filtereinbau oder Leitungsspülungen nur das Schlimmste verhindert werden soll statt das Problem langfristig zu beheben, würde zudem „viel Steuergeld verschwendet“, sagt Hagedorn. Ganz abgesehen vom nicht geringen Gesundheitsrisiko.
Nach der Auflistung des Robert-Koch-Instituts führt der Kreis mit 33 Legionellose-Erkrankungen seit 2011 die Statistik in Schleswig-Holstein an. Erst dann kommen Kiel (22), das Herzogtum-Lauenburg (21) und Segeberg (19). Die Tendenz ist allerdings bundesweit steigend. Registrierte die Bundesoberbehörde für Infektionskrankheiten im Jahr 2004 insgesamt 475 gemeldete Legionellosen, waren es 2012 schon 654 gesicherte Fälle und im vergangenen Jahr bereits 1436 Infektionen.
Die sogenannte Legionärskrankheit als schwere Lungenentzündung ist vor allem für geschwächte Menschen und Ältere eine ernsthafte gesundheitliche Bedrohung, deren Verlauf tödlich sein kann. Wie viele Todesfälle im Kreis nachgewiesenermaßen auf die Legionärskrankheit zurückzuführen sind, kann die Kreisverwaltung nicht sagen. Der letzte bekannt gewordene Fall bundesweit stammt aus dem August. In einem Bielefelder Altenheim starben zwei Senioren an Legionellose.
Nicht grundlos wird bei jedem Legionellenfall umgehend reagiert. So hat der Kreis etwa in der Pinneberger Berufsschule sofort neue Filter an alle Armaturen gebaut, um die fast 4000 Schüler und 180 Lehrer nicht zu gefährden. 33.000 Euro kostete allein diese Maßnahme. Bis heute werden die Filter im Zwei-Monats-Rhythmus für jeweils 17.000 Euro getauscht, da die Ursache bislang noch nicht gefunden wurde. In Elmshorn sind und waren laut einer internen Liste 15 öffentliche Gebäude wegen Legionellenbefall „nutzungsbeschränkt“ oder kurzzeitig geschlossen.
Wie viele Gebäude im Kreis ein Legionellenproblem haben und wie viele Kitas, Seniorenheime oder Sportstätten wiederholt betroffen sind, könne der Kreis mangels Statistik nicht genau benennen. Aber allein die Appener Heidewegschule war in den vergangenen sechs Jahren dreimal betroffen. Seit die Trinkwasserverordnung hinsichtlich der Legionellengefahr verschärft wurde, habe der Kreis aber drei zusätzliche Stellen für Kontrollen und Überprüfung etabliert, so Oliver Carstens.
Dennoch sind die Zahlen nicht rückläufig. Experten gehen einerseits davon aus, dass der Anstieg der Fälle mit den feineren Analyseverfahren zusammenhängt. Andererseits seien gerade Schulen oder Kitas mit einem großen Leitungssystem anfällig. Denn Legionellen gedeihen besonders gut in älteren oder überdimensionierten Leitungssystemen, in denen das Wasser – etwa in den Ferien – nicht regelmäßig bewegt wird. Die maximale Haltbarkeit von Leitungssystemen wird mit 50 Jahren beziffert – auch da dürften einige Gebäude an ihren Zenit gelangt sein.
Im Fall der Berufsschule Pinneberg liege fast ein Jahr nach dem ersten Befund zwar eine umfassende, etwa 120 Seiten starke Gefährdungsanalyse vor. Diese werde zurzeit auch Punkt für Punkt abgearbeitet. Aber was die Ursache betrifft, tappen die Experten im Dunkeln. Grundsätzlich, so Kreissprecher Carstens, sei es schwer, der Legionellenproblematik flächendeckend Herr zu werden. Denn sei ein öffentliches Gebäude gerade keimfrei, trete anderswo meist bereits ein neuer Fall auf.