Rellingen. Erst durften die Lkw nicht mehr über die Brücke fahren, jetzt passen sie nicht mehr darunter durch. Das Nachsehen hat Rellingen.
Im Grunde geht es nur um 20 Zentimeter. 20 Zentimeter, die der Gemeinde Rellingen unter der Autobahnbrücke an der Tangstedter Straße fehlen. 20 Zentimeter, die das Land Schleswig-Holstein bei der Reparatur des maroden Bauwerks abgeknapst hat. Wichtige 20 Zentimeter, die Rellingens Verwaltung, Anwohner, Unternehmer und Verbände gern zurück hätten. Denn ohne diese entscheidenden 20 Zentimeter passt kein handelsüblicher Lastwagen mehr unter der Brücke durch. Ein wichtiger Zufahrtsweg fehle damit.
Doch natürlich geht es nicht allein um diese wenigen Zentimeter. Es geht um technische und juristische Fragen, um Zusagen, die nicht gehalten worden seien, um mögliche wirtschaftliche Konsequenzen und – ganz grundsätzlich – um unterschiedliche Wahrnehmungen und Prioritäten in Kiel und in Rellingen, die nun darin gipfeln, dass das kleine Rellingen notfalls gegen Kiel klagen will.
Brücke an A 23 muss mit Stahlkonstruktion gestützt werden
Aber der Reihenfolge nach. Anfang des Jahres wurden irreparable, sicherheitsgefährdende Betonschäden an der 1963 erbauten A-23-Brücke über die Tangstedter Straße in Rellingen festgestellt. Im April stand fest, dass der Landesbetrieb Verkehr die Brücke nur mit einer stählernen Unterstützungskonstruktion retten kann, um zumindest weitere zehn Jahre den normalen Autobahnverkehr fließen lassen zu können. Kleiner Haken für die Gemeinde Rellingen: Die Durchfahrtshöhe unter der Brücke musste dabei von vier auf 3,8 Meter verringert werden.
Auf Drängen der Gemeinde und der ansässige Baumschulen wurde seitens des Landes immerhin zugesagt, andere Möglichkeiten der Brückenrettung zu prüfen, bei denen die Durchfahrtshöhe nicht reduziert werden müsste – etwa das Absenken der Fahrbahn. Doch im August sagte Torsten Conrad, Direktor des Landesbetriebs Straßenbau und Verkehr: „Eine geprüfte Absenkung der Tangstedter Straße ist mit einfachen Mitteln nicht möglich. Denn das Grundwasser ist nur 30 Zentimeter unter der Oberfläche.“
Dabei ist es geblieben. Bis heute. „Und das ist nicht hinnehmbar“, sagt Rellingens Bürgermeister Marc Trampe. Denn vor ein paar Tagen erreichte die Gemeinde die Antwort auf ihren Einspruch aus dem Verkehrsministerium in Kiel. Darin lässt Minister Bernd Buchholz über Michael Pirschel, Abteilungsleiter Straßenbau, ausrichten: „Eine unzumutbare Einschränkung der im näheren Umfeld ansässigen Betriebe durch die nunmehr vorhandene Durchfahrtsbeschränkung ist aus meiner Sicht nicht erkennbar.“ Zudem gibt Pirschel zu, dass „entgegen der gemachten Zusage kein Ingenieurbüro mit der Untersuchung einer Fahrbahnabsenkung der Tangstedter Straße beauftragt wurde.“
A-23-Brücke zu niedrig: Lkw fahren jetzt durch Rellingen
Beide Aussagen werden von einem breiten örtlichen Bündnis in Rellingen als Affront aufgefasst. Denn seit die Tangstedter Straße wegen der beschränkten Durchfahrtshöhe für Lkw tabu ist, zwängt sich der Schwerlastverkehr durch den einzig verbliebenen Zufahrtsweg, den Baumschulenweg. 2500 Lkw jährlich, schätzt die Anwohnerinitiative um Bernd Huckfeldt. „Die Begründung aus Kiel ist für uns unbegreiflich und zeugt von Unkenntnis der örtlichen Situation.“ Das bestätige, „wie weit Politik vom Bürger entfernt ist“.
Auch Dirk Clasen von der ansässigen Clasen & Co. Baumschulen GmbH ist enttäuscht. Sein Zufahrtsweg sei seit der Brückensanierung eine Sackgasse. „Das ist eine massive Einschränkung unseres Geschäftsbetriebes.“ Auch er fordert eine pragmatische Lösung aus Kiel, denn falls der gebliebene Baumschulenweg als Zufahrt ausfällt, sei sein Betrieb ganz abgeschnitten. Und nicht nur der: Insgesamt hängen fünf Baumschulen, 165 Familien und das Hacon Betonwerk an der Zufahrt. Clasen: „Die Ignoranz in Kiel ist geschäftsschädigend.“
Situation in Rellingen könnte zum "Pulverfass" werden
Unterstützung erhalten Anwohner und Unternehmen aus Politik und vom Landesverband im Bund deutscher Baumschulen. Dessen Vorsitzender Frank Schoppa: „Wir fordern das Verkehrsministerium auf, sich endlich konstruktiv für eine Problemlösung vor Ort mit der Gemeinde Rellingen zu engagieren!“ Andernfalls werde das ein „Pulverfass“. Da helfe es auch nicht, dass das Land auf die zehnjährige Nutzungsdauer der neuen Behelfsbrücke verweist, bevor das Bauwerk beim sechsspurigen Ausbau der A 23 abgerissen werde.
Alles in allem, sagt Bürgermeister Trampe, sei die Argumentation des Landes nicht akzeptabel. Weder wurde ernsthaft geprüft, ob die Fahrbahn unter der Brücke abgesenkt werden könne, noch gab es dafür eine seriöse Kostenschätzung. Beides wurde zuvor zugesagt. Und nun zeige sich das Land unbeweglich bei auftretenden Problemen. Kosten und Nutzen stünden in keinem Verhältnis. „Wir als Gemeinde würden uns gegebenenfalls an den Kosten einer Lösung beteiligen, aber das Ministerium ist uneinsichtig.“ Deshalb erwägt Trampe nun juristische Schritte, um wenigstens eine Prüfung zu erwirken. Ohne Zustimmung des Landes dürfe die Gemeinde ja nicht mal allein die Straße korrigieren. Denn die Gefahr eines Absackens des Bauwerks sei laut Land zu groß.