Kreis Pinneberg. Seit zwei Jahren werden qualifizierte Ersthelfer mitalarmiert, wenn ein Herz-Kreislauf-Stillstand gemeldet wird. Weitere Freiwillige gesucht.

Fast zwei Jahre lang sind die App-Retter aktiv – und die Bilanz fällt positiv aus. „Wir schaffen es auf diese Weise, den Patienten schneller zu helfen und auch Leben zu retten“, so Stephan Bandlow, Leiter der Kooperativen Regionalleitstelle West in Elmshorn, die für 573.000 Einwohner in den Kreisen Pinneberg, Steinburg und Dithmarschen zuständig ist. App-Retter kann jeder werden – und eingreifen, wenn sich in der Nähe seines Aufenthaltsortes ein Patient mit einem Herz-Kreislauf-Stillstand befindet. „Wenn drei Minuten nach Eintritt eines Herz-Kreislauf-Stillstands nicht mit den Wiederbelebungsmaßnahmen begonnen wird, kommt es zu irreversiblen Schäden, die wir im weiteren Verlauf der Rettungskette nicht mehr aufholen“, sagt Bandlow. Sprich: Je später die Hilfe eintrifft, desto geringer sind die Chancen für den Patienten, ohne Folgeschäden davonzukommen.

Hier setzt das neue System der App-Retter an, die über eine App auf ihrem Handy ihren Aufenthaltsort an die Leitstelle übermitteln. „Wir können so kurze Reaktionszeiten erreichen, weil wir qualifizierte Ersthelfer in der Nähe des Einsatzortes alarmieren“, so Bandlow. Notarzt oder Rettungssanitäter könnten so schnell nicht zur Stelle sein.

Das zeigen auch erste Zahlen. Seit Start des Systems am 6. Dezember 2017 hat es bis zum 31. Oktober 2019 in den drei Kreisen 554 Einsätze gegeben, bei denen ein Herz-Kreislauf-Stillstand gemeldet wurde. In 256 Fällen, das entspricht 46,2 Prozent, wurde mindestens ein App-Retter in der Nähe lokalisiert und zum Einsatzort geschickt. „In etwa 50 Prozent der Fälle waren die App-Retter zum Teil deutlich vor dem Rettungsdienst vor Ort“, erläutert der Leitstellen-Chef. Durchschnittlich seien die Ersthelfer 4,17 Minuten vor den hauptberuflichen Helfern eingetroffen, der Maximalwert habe bei 15 Minuten gelegen.

Ein Fall zeigt, wie das System funktionieren kann

Für Bandlow belegt ein Fall aus dem Mai 2018, der sich im Kreis Pinneberg abgespielt hat, wie das System im Optimalfall funktionieren kann. Damals hatte sich um 13.09 Uhr ein zwölf Jahre altes Mädchen unter dem Notruf 112 bei der Rettungsleitstelle gemeldet und berichtet, dass ihr Vater (46) plötzlich in ihrem Beisein zusammengebrochen sei und nicht mehr atmen würde. Um 13.10 Uhr erfolgte die Alarmierung von Notarzt, Rettungswagen und App-Rettern, die in der Nähe lokalisiert werden konnten. Parallel dazu wurde die Zwölfjährige dazu angeleitet, an dem Vater eine Herzdruckmassage vorzunehmen. Um 13.12 Uhr, also drei Minuten nach dem Notruf, traf der erste App-Retter am Einsatzort ein, um 13.16 Uhr der Zweite. Der Rettungswagen erreichte neun Minuten nach dem Notruf um 13.18 Uhr die Einsatzstelle, der Notarzt um 13.20 Uhr.

Dank der schnellen Hilfe konnte der Patient vor Ort wiederbelebt und zur Weiterbehandlung ins Krankenhaus gebracht werden. Das ist angesichts der Schwere des Notfalls nicht selbstverständlich. Von den 554 dokumentierten Fällen endeten 203 mit einem Aufenthalt in einer Klinik. Das entspricht einer Quote von 36,6 Prozent. In den anderen Fällen ist der Patient an der Einsatzstelle verstorben.

Damit künftig mehr Menschen gerettet werden können, ist die Regionalleitstelle West auf der Suche nach weiteren App-Rettern. 1200 waren es zum Start vor zwei Jahren, inzwischen sind 2400 Personen registriert. Bandlow: „Unser Ziel war es eigentlich, bis Ende des Jahres auf 3500 zu kommen.“ Dann wäre zumindest rechnerisch ein App-Retter pro Quadratkilometer in den drei Kreisen vorhanden. Aktuell ist der Kreis Pinneberg sehr gut versorgt, in den ländlichen Regionen der Kreise Steinburg und Dithmarschen sieht das anders aus.

Bisher haben sich insbesondere Mitarbeiter des Rettungsdienstes, Angehörige der Feuerwehren oder Angestellte aus den Kliniken als App-Retter registrieren lassen. „Ich sehe noch viel Potenzial in den Gesundheitsberufen“, sagt Bandlow. Er wolle in nächster Zeit insbesondere in den Arztpraxen dafür werben, dass sich Mitarbeiter als App-Retter registrieren lassen. Doch auch wer in seiner Firma zum Ersthelfer ausgebildet worden ist, kann mitmachen. „Wichtig sind aktuelle Kenntnisse darüber, was bei einem Herz-Kreislauf-Stillstand zu tun ist“, so der Leitstellenchef.

Qualifizierte Ersthelfer können sich dann mittels einer App auf ihrem Smartphone akkreditieren. Sie kann kostenlos bei Google Play oder im App-Store von Apple heruntergeladen werden. Eine Freischaltung erfolgt nur, wenn der App-Retter einen Qualifikationsnachweis vorweisen kann. Dieser kann eingescannt und über das Internet übermittelt werden. Die Überprüfung erfolgt durch das Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH), einem der Projektpartner. Das UKSH hat das Pilotprojekt namens „Meine Stadt rettet“ in Lübeck begleitet. Mittlerweile haben 30 Leitstellen bundesweit ein ähnliches Konzept umgesetzt – 30 von 247 Einrichtungen.

Geht in der Regionalleitstelle West in Elmshorn ein Notruf mit dem Stichwort Herz-Kreislauf-Stillstand ein, überprüft das Computersystem automatisiert, ob sich ein App-Retter im Radius von 800 Metern um den Notfallort aufhält. Ist das der Fall, erhält er automatisiert eine Anfrage, ob er einsatzbereit ist. Erfolgt innerhalb eines festgelegten kurzen Zeitrahmens die Bestätigung, bekommt der App-Retter die Daten des Einsatzes übermittelt und ein Routingsystem führt ihn auf schnellstem Wege zum Einsatzort.

Kein zusätzlicher Aufwand für die Leitstellenmitarbeiter

Kann ein weiterer App-Retter in der Nähe lokalisiert werden, wird er ebenfalls dorthin oder alternativ zu einem Defibrillator gelenkt, um diesen zum Einsatzort zu bringen. „Das läuft alles automatisiert im Hintergrund ab, sodass für uns als Leitstellenmitarbeiter kein zusätzlicher Arbeitsaufwand entsteht“, berichtet Disponent Florian Judzinsky. App-Retter werden nicht alarmiert bei Verkehrsunfällen, wenn ein Gewaltdelikt vermutet wird, wenn bereits sichere Todesanzeichen vorliegen oder sich der Notfall etwa im Drogenmilieu abspielt.

Seit zehn Jahren praktiziert die Leitstelle die telefonische Wiederbelebung. Personen, die einen solchen Notfall melden, werden telefonisch angeleitet, Herzdruckmassage zu leisten. Zudem wird seit kurzem eine Technik genutzt, die automatisch den Standort des Anrufers erfasst, wenn er über Handy anruft. Bandlow: „Alle diese Dinge helfen uns, noch schneller und besser zu werden.“ Im Deutschen Reanimationsregister liegt der Rettungsdienst des Kreises weit vorne.