Haselau/Stade. Lüneburger Verwaltungsrichter halten die Genehmigung für Müllverbrennungsanlage in Stade für rechtswidrig. Zwei Haselauer am Ziel?
Einen „Erfolg auf der ganzen Linie“ machen Peter Kelting und Wolfgang Werther aus Haselau aus. Die Menschen in der Haseldorfer Marsch und den angrenzenden Kommunen können aufatmen. Durch ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Lüneburg ist ein industrielles Großprojekt gestoppt worden, das sich negativ auf die ohnehin schon belastete Luft ausgewirkt hätte. Der Bau einer Müllverbrennungsanlage in Stade-Bützfleth ist aus Sicht der beiden Sprecher der Bürgerinitiative gegen massive, umweltbelastende Industriekonzentration in Stade (BI Haseldorfer Marsch) vom Tisch. In circa 80 Prozent der Zeit weht der Wind aus Westen. Die Emissionen aus den Schloten wären also weitgehend auf der schleswig-holsteinischen Elbseite niedergeregnet.
Der Streit geht zurück bis ins Jahr 2008. Damals gründete sich die BI, weil auf der anderen Elbseite gleich vier neue Kraftwerke geplant waren. Massive Belastungen durch Lärm und Schadstoffe wurden befürchtet. Damals ging man von einem steigenden Energiebedarf aus. Alte Anlagen sollten durch effizientere Kraftwerke ersetzt werden. Die Windkraft steckte in den Kinderschuhen. Bundesweit waren 50 neue Kohlekraftwerke in Planung oder in der Diskussion. DOW Deutschland, E.on und GDF Suez verabschiedeten sich nach und nach von ihren Kohlekraftwerksprojekten bei Stade, teils nach Schwierigkeiten in der Planung, teils nach jahrelangen gerichtlichen Auseinandersetzungen gegen eine Klägergemeinschaft aus Umweltverbänden und Bürgerinitiativen oder wirtschaftlichen Erwägungen.
Geringe Unterstützung von Land und Kreis für die BI
Das vierte Kraftwerk, eine Müllverbrennungsanlage, wollte die Prokon bauen, um Energie für den Bau von Rotorblätter zu erzeugen. Doch der Windanlagenbauer ging pleite. Allerdings gab es bereits zwei Teilgenehmigungen und einen Rohbau. Und die gingen aus der Konkursmasse über mehrere Stationen an die EBS Stade Besitz GmbH in Aurich. 2016 wurden eine dritte Teilgenehmigung sowie die Betriebserlaubnis beim Gewerbeaufsichtsamt in Lüneburg beantragte – und erteilt.
Kelting und Werther, die letzen Aktiven der BI, erfuhren von der Genehmigung aus der Zeitung. Im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung waren die Planungsunterlagen nur in Niedersachsen, nicht jedoch in Schleswig-Holstein ausgelegt worden. Ihnen blieb nichts anderes übrig, als mit ihrem Fachwissen als Doktor Ing. und Diplomingenieur zu kämpfen. Die Haselauer, 81 und 82 Jahre alt, suchten Verbündete auf Kreis- und Landesebene. Nur ungern erinnern sie sich an diese Gespräche. Die Emissionsgrenzwerte werden eingehalten, die dritte Teilgenehmigung für Weiterbau und Betrieb müsste erteilt werden, hörten sie regelmäßig. Unterstützung habe es einzig von der CDU-Landtagsabgeordneten Barbara Ostmeier aus Hetlingen sowie den Gemeinderäten der betroffenen Dörfer gegeben, die finanziell und ideell halfen, berichten sie.
Die Stadt Stade sowie ein Obstbauer aus der näheren Umgebung der Ersatzbrennstoffanlage, wie sie von den Investoren genannt wurde, führten die Klage gegen das Gewerbeaufsichtsamt und ihre Entscheidung. Ein Aspekt aus der Prokon-Zeit lieferte letztlich dem Gericht die Grundlage für die Entscheidung, die nichts mit Grenzwerten und Emissionen zu tun hat. Der Windanlagenhersteller hatte den Rohbau einfach 160 Meter weiter südöstlich von dem genehmigten Standort errichtet. Die dritte Teilgenehmigung kann deswegen nicht auf den beiden vorherigen Genehmigungen fußen. Eine weitere Umweltverträglichkeitsprüfung und eine neuerliche Öffentlichkeitsbeteiligung wären nötig gewesen, argumentiert das Gericht. Und es müssten 2013 verschärfte Emissionsgrenzwerte eingehalten werden.
Dass der Standort einfach um 160 Meter verschoben wurde, war beim Gewerbeaufsichtsamt bei der Erteilung der Genehmigung bekannt, berichtet Kelting. „Der Richter hat sich das Gewerbeaufsichtsamt richtig vorgeknöpft“, hat er beobachtet.
Richter führte sorgfältig und kenntnisreich den Prozess
Eine Revision vor dem Bundesverwaltungsgericht wird ausdrücklich zugelassen. Die Erfolgsaussichten hält Werther für gering, weil der Richter sehr sorgfältig und kenntnisreich den Prozess geführt habe. Der Investor könnte auch noch einmal in die monierten Teile des Planungsverfahrens einsteigen, müsste dann aber mit massivem juristischem Widerstand von Bürgerinitiativen und Umweltverbänden rechnen. Oder der Investor startet ein ganz neues Genehmigungsverfahren. Das müsste sich dann jedoch an deutlich verschärften Grenzwerten orientieren, die derzeit erarbeitet und bald verabschiedet werden. Der Investor habe sich bisher bei seinen Planungen nicht am bestmöglichen technischen Standard orientiert, sondern nur Lösung gewählt, die gerade eben die Grenzwerte einhalten, geben Kelting und Werther zu bedenken.
Allen Wegen werden geringe Chancen eingeräumt. „Das Projekt ist tot“, haben sie von Klägeranwälten gehört.