Elmshorn. Torhaus widmet Anders Petersen Ausstellung mit seltenen Skizzen. Zu seinem 60. Geburtstag hat er Expeditionen neu interpretiert.

Vier dunkle Gestalten in einer kargen Eislandschaft blicken auf ein Zelt, über dem die norwegische Flagge thront. Es ist der 17. Dezember 1911. Die Männer nehmen Abschied von ihrem Camp Polheim. Der norwegische Polarforscher Roald Amundsen und seine Begleiter Helmer Hanssen, Olav Bjaaland, Oscar Wisting und Sverre Hassel haben vier Tage zuvor als erste Menschen den Südpol erreicht. Olav Bjaaland machte das Foto – darum sind vom Quintett nur vier zu sehen.

Das Original-Foto von Polheim machte Olav Bjaaland.
Das Original-Foto von Polheim machte Olav Bjaaland. © picture alliance / Mary Evans Picture Library | picture alliance / Mary Evans Picture Library

„Ich habe mir vorgestellt, ich stehe hinter ihm, skizziere die Szene, die er fotografiert“, sagt Anders Petersen. Der Elmshorner Künstler zeichnet schnell. Die Kälte lässt ihn zittern. Außerdem darf Amundsen ihn nicht erwischen. „Amundsen verbot seinen Begleitern, auf der Expedition in irgendeiner Form Tagebuch zu führen. Bei einem Zwischenstopp auf Madeira warf er einen Mitreisenden von Bord, weil er Skizzen gezeichnet hatte.“

Gedanklich steigt Anders Petersen für ihn an Bord und setzt dessen Arbeit fort. Es ist mehr als der Versuch ein historisches Bild mit Bleistift, Tusche und Aquarell auf Papier zu bannen. Es geht ihm um die Empfindung des Abenteuers. Seine fiktiven Reiseskizzen hat Anders Petersen 2010 mit Amundsen begonnen und seitdem jedes Jahr eine Serie hinzugefügt. Nun zeigt er eine Auswahl im Torhaus in Elmshorn.

„Das Ferne liegt so nah“ heißt die Ausstellung, die der Elmshorner Kunstverein vom 20. Oktober bis 10. November anlässlich des 60. Geburtstages Anders Petersens zeigt. Neben fünf großformatigen, ihm typischen Montagen, sind vor allem fiktive Reiseskizzen zu sehen, die bisher nur sehr vereinzelt in der Öffentlichkeit präsentiert worden sind.

Neben Amundsens Expedition zum Südpol befasst sich eine Serie mit einer Reise des dänischen Schriftstellers Hans Christian Andersen nach Schleswig-Holstein. „In seinem Tagebuch jammert er über das schlechte Wetter und die Unannehmlichkeiten der Reise nach Föhr, wo er dem König für eine halbe Stunde seine Märchen vorlesen musste“, sagt Petersen. Gedanklich begleitet er Andersen, verarbeitet die Eindrücke in mehreren Bildern, die die nordfriesischen Inseln zeigen. Am Horizont zeichnen sich die Halligen ab, die Nordsee wirkt sanft, dunkle Wolkentürme ziehen fort, verkünden Ruhe nach dem Sturm.

Amundsen entdeckte den Axel-Heiberg-Gletscher auf dem Weg zum Südpol.
Amundsen entdeckte den Axel-Heiberg-Gletscher auf dem Weg zum Südpol. © Anders Petersen | Anders Petersen

Mit dem italienischen Dichter und Geschichtsschreiber Francesco Petrarca, Mitbegründer des Renaissance-Humanismus, besteigt Anders Petersen den Mont Ventoux in Frankreich, zeichnet den Aufstieg mit einer Bambusrohrfeder. Dann wieder sitzt der Elmshorner mit Lucy Honeychurch alias Helena Bonham Carter aus „Ein Zimmer mit Aussicht“ am Fenster und blickt auf die Toscana.

Dem Kunstverein ist Anders Petersen über viele Jahre durch eine aktive Vorstandsarbeit und als Kurator freundschaftlich verbunden. „Durch seine Kreativität, genauen Vorstellungen, künstlerisches Urteil und die besondere Beachtung und Förderung junger Künstler hat Anders Petersen den Kunstverein Elmshorn zu einem gesuchten Ausstellungsort gemacht“, sagt die Vorsitzende Christel Storm. „Das Ferne liegt so nah“ – der Ausstellungstitel scheint auch ein Stück Leben des Künstlers zu sein. Fern und nah zu verbinden. Er ist mit seiner Heimat Elmshorn verwachsen, dank Stipendien des Landes Schleswig-Holstein aber auch immer wieder in Norwegen.

Der Künstler Anders Petersen.
Der Künstler Anders Petersen. © Anne Dewitz | Anne Dewitz

So verbringt er beispielsweise den Spätsommer 2004 in Oslo im Atelier von Edvard Munch. Bei seinem Aufenthalt in der Künstlerkolonie Ekely entdeckt er für sich einen Weg, Radierung, Grafik und Skulptur zu verschmelzen. Er verarbeitet Fundstücke aus dem Atelier, Holz und Metallteile, im Kleinformat. Wieder zuhause überträgt er es auf große Formate. Eine dieser Arbeiten trägt den Titel „Ticket“ und ist in der aktuellen Ausstellung zu sehen. Gemeint ist das Flugticket in die Ferne. Ein anderes daneben leuchtet Rot wie die norwegischen Holzhäuser. Es strahlt Ruhe und Ausgewogenheit aus im Kontrast zum schimmernden Metall. Petersen hat es „Paradis Bukt“, paradiesische Bucht, genannt.

Petersen erzählt, wie er im Oslo Fjord schwimmen ging, danach auf den sonnenbeschienenen Steinen am Ufer der Halbinsel Bygdøy ruhte. Gleich neben dem Frammuseum steht auch das Amundsen Monument von Hakon Anton Fageras, das die Polarforscher zeigt, ihre Gesichter gen Süden gewandt.

Petersens Zeichnung zeigt die „Fram“ in der Bucht der Wale.
Petersens Zeichnung zeigt die „Fram“ in der Bucht der Wale. © Anders Petersen | Anders Petersen

Mit der „Fram“, die bereits zweimal zuvor bei Expeditionen in die Arktis eingesetzt worden war, fuhren sie in die Bucht der Wale, wo sie Ausrüstung und Hunde an Land brachten und ihr Winterquartier aufschlugen. Szenen, die Anders Petersen auf Papier bannt. Von dort zog Amundsen mit Hundeschlitten von seiner Basis Framheim aus zum Südpol, den er 35 Tage vor seinem Konkurrenten Robert Falcon Scott von der britischen Terra-Nova-Expedition erreichte. Anders als Scott überlebten Amundsen und sein Expeditionsteam den Heimweg.

Amundsens Erfolg basiere auf seiner akribischen Planung, so Petersen. „Er kalkulierte exakt, lernte ein Jahr von den Inuit. Scott hingegen setzte auf Kettenfahrzeuge und Ponys. Amundsen setzt auf Schlitten und Hunde. Als er weniger Ballast mit sich führte, verfütterte er die Hunde an die anderen Huskys“, sagt der Künstler. Am Ende war es Amundsen, der sich am besten an die unwirtliche Gegend anpassen konnte und überlebte.

Petersen selbst war nie nördlicher als auf Island, wo er 1992 ein Semester lang studierte. „Die Antarktis ist keine Gegend, in die Touristen vordringen sollten“, sagt der 60-Jährige. Die empfindliche Natur sollte unberührt bleiben.