Appen. Nach wenigen staubigen Metern und kurzem Fußmarsch durch verdörrtes Gestrüpp steht der Förster vor einer kleinen Katastrophe.
Weit fahren muss er nicht. Das Grauen des Waldes wartet nur ein paar Kurven hinter dem Forsthaus. Nach wenigen staubigen Pistenmetern und einem kurzen Fußmarsch durch verdörrtes Gestrüpp steht Förster Nils Fischer jedenfalls schon vor der kleinen Katastrophe, die keine große werden soll. Zwei gefällte Fichten liegen ihm im Klövensteen zu Füßen. Nur zwei Opfer der Trockenheit – und des Borkenkäfers. Mindestens zehn andere Bäume müssen hier auch noch fallen, sagt Fischer. Im Wald hängt eben alles mit allem zusammen.
„Zu trocken, zu warm, zu viele Schädlinge!“ So hatte die Forstgewerkschaft Bauen-Agrar–Umwelt (IG BAU) erst kürzlich vor den massiven Folgen der Witterung für den Wald in Schleswig-Holstein gewarnt. Nach dem trockenen Jahr 2018 fehle auch in diesem Sommer der Regen, was vor allem Fichten in „Dürre-Stress“ versetze und sie so zu einem leichten Anschlagsziel des Borkenkäfers mache. „Der Wald bekommt den Klimawandel längst zu spüren“, mahnte Arno Carstensen, Bezirksvorsitzender der Gewerkschaft. Bei Fichten, Kiefern und Tannen gehe es langfristig ums Überleben. Eine neue Waldstrategie müsse her. Mehr Mischwälder und mehr Personal lautete die Forderung. Aber: Ist es wirklich so schlimm?
Nicht nur anhaltende Trockenheit ist schlimm
Im Klövensteen kreischt die Motorsäge, daneben schabt ein Forstwirt unter schwerem körperlichen Einsatz die Rinde vom Stamm. „Hier, sehen Sie mal“, sagt er zu Revierförster Fischer, reicht ihm ein Stück Borke und zeigt auf ein Geflecht aus eingravierten Gängen. „Das ist das Problem“, sagt Fischer. Etliche Borkenkäfer haben sich in den Stamm gebohrt, zwischen Baum und Borke kleine Gänge angelegt, ihre Brut platziert und damit die Nährstoffversorgung der Pflanze unterbrochen. „Ich schätze, das wären 70, 80 neue Borkenkäfer, nur an dem kleinen Stück Rinde“, sagt Fischer. Mit dem Fällen und Schälen werde die Brut trockengelegt, das Schlimmste verhindert.
Das Schlimmste im Klövensteen ist nicht nur die anhaltende Trockenheit. „Man sieht dem Wald an, wie er leidet“, sagt der Förster. Das Schlimmste wäre auch ein großflächiger Borkenkäferbefall der Fichtenbestände, immerhin ein Drittel im Staatsforst. Im Kleinen zeigt sich hier das große Problem. „Die Fichte ist ein klassischer Nachkriegsbaum“, sagt Fischer. Er sei als Baustoff millionenfach gepflanzt worden. Und jetzt sind die entstandenen Monokulturen bei anhaltender Dürre besonders empfänglich für Schädlingsbefall. Im Klövensteen sei es noch nicht so schlimm wie bundesweit. Der Bund der Forstleute spricht von 100 Millionen betroffenen Bäumen in Deutschland, im Harz sind ganze Hügel kahl.
Borkenkäfer haben aktuell ein leichtes Spiel
Denn erst kamen die Herbststürme und dann zwei heiße Sommer hintereinander. Das lässt die Bäume darben, was wiederum dazu führt, dass ihnen die Abwehrkräfte für eine harzige Gegenattacke beim Angriff der Borkenkäfer fehlen. Die Käfer, ab 18 Grad aktiv, haben leichtes Spiel. Trockenheit, schwache Bäume, Monokulturen – es dauert zwei, drei Wochen, dann ist der Käfer fertig mit dem Baum – und der Baum ist fertig mit der Welt. Übrig bleibt ein trockenes Gerippe.
„Wir betreiben hier Schadensbegrenzung“, sagt Fischer und deutet auf die Arbeitsgruppe Forst, die gerade Dutzende Bäume fällt, um die Invasion der Borkenkäfer zu stoppen. Vier Forstwirte im Revier arbeiten gegen die Folgen der Trockenheit an. „Wir haben zu wenig Wasser im Boden“, sagt Fischer und lässt sonst feuchten Waldboden staubig durch seine Finger rieseln. „Trocken!“
Wald verjüngt und durchmischt sich von selbst
Für die Forstgewerkschaft sind diese Dürreauswüchse ein Grund, über einen Paradigmenwechsel im Wald nachzudenken, um den Forst vor dem Klimawandel zu schützen. „Wir brauchen eine breite Aufforstung mit Baumarten, die vor Ort gedeihen. Private Waldbesitzer und staatliche Forsten müssen auf Mischwälder setzen“, so Gewerkschafter Carstensen.
Dieser Ansatz werde im Klövensteen bereits verfolgt, sagt Nils Fischer. Ein vielfältiger Mischwald zeichnet sich in seinem Revier schon ab. „Hier eine Kiefer, da eine Eiche, dort kommen Buchen“, sagt der Förster mit Blick auf den Waldboden. Der Wald verjünge und durchmische sich von selbst. Und wo nicht, hilft der Mensch nach – und pflanzt.
Auf zehn Jahre festgesetzten Pflege- und Entwicklungsplan
Dafür gibt es im Klövensteen einen auf zehn Jahre festgesetzten Pflege- und Entwicklungsplan. Ziel dieses Plans sei eine „natürlich Waldgesellschaft mit stabilen Beständen“. Welche Baumbestände wachsen, sei immer auch „standortabhängig“, sagt Fischer. Boden, Licht, Wasserversorgung und vorhandener Bestand bestimmen, ob Eichen, Linden, Buchen oder Ulmen gepflanzt werden. Fischer, Sohn eines Försters, ist überzeugt, dass Vielfalt dem Wald hilft.
Auch das Land Schleswig-Holstein sieht sich auf einem guten Weg. Umweltminister Jan-Philipp Albrecht (Grüne) sagt, die Dürreanfälligkeit zeige, dass „unsere Strategie zum Waldumbau richtig ist“. Mehr Mischbestände, mehr heimische Baumarten und eine natürliche Verjüngung sind Teil dieses Plans. „Solche Wälder können Witterungsereignissen besser standhalten.“
Niedersachsen pflanzt nur noch neuen Mischwald an
Im Klövensteen gelinge dieser Umbau leichter als anderswo, sagt Fischer. Als staatlicher Forst diene sein Wald weniger der profitorientierten Holzwirtschaft. „Unsere klare Priorität liegt auf dem Erholungswald.“ Deshalb sei das Umsetzen einer langfristigen, klimaresistenteren Mischwaldstrategie mit weniger Hürden verbunden als in einem Wirtschaftswald, der dem Finanzdruck unterliegt. In vielen Forstgebieten gehe es um „schwarze Zahlen“. Deren Besitzer tun sich schwerer mit einem Radikalumbau zu weniger gewinnträchtigen Strukturen.
„Der Waldumbau braucht Zeit und einen langen Atem, aber er ist die einzige Möglichkeit, wenn wir die Wälder des Landes erhalten wollen“, sagt Umweltminister Albrecht. Auch Niedersachsen verfolgt in seinen Landesforsten die „Löwe“-Philosophie – ein Programm zur langfristigen ökologischen Waldentwicklung. 87 Prozent des nachwachsenden Waldes seien dort bereits Mischwälder.
Eine Kulturlandschaft wie der deutsche Wald, sagt Nils Fischer, benötige den Menschen, wenn er weiterhin der Erholung dienen soll. Und zwar nicht nur in Dürreperioden. Der Förster beobachte jedenfalls eine schnellere Abfolge der Extreme, mit Hagel, Trockenheit, Sturm oder Starkregen. Und selbst wenn die Ursache nicht der Klimawandel ist, so sei es doch im Interesse aller Generationen, den Forst dafür bestmöglich aufzustellen. Und etwas Gutes gebe es bei der aktuellen Misere ja auch. Laut Nils Fischer machen sich endlich Naturschützer und Förster gemeinsam Gedanken. Nur so habe der Wald Zukunft.
Weitere Infos: Wald in Schleswig-Holstein soll größer werden
Laut Landesregierung soll die gesamte Waldfläche in Schleswig-Holstein wachsen, und zwar von elf auf zwölf Prozent. Das wären 15.800 Hektar mehr Wald. Jeder Baum zählt: Demnach sind bereits 677.647 neue Bäume gepflanzt worden – oft Rotbuchen und Eichen. Bei der Verjüngung wird auf Mischwald gesetzt: 58 Prozent der Neupflanzungen im Jahr 2017 waren etwa Buchen, 21 Prozent Douglasien und acht Prozent Eichen. Der schleswig-holsteinische Wald setzt sich derzeit aus 23 Prozent Fichten, 22 Prozent Buchen, 16 Prozent Eichen, 13 Prozent Lärchen und acht Prozent Kiefern zusammen. Schon jetzt stehen auf der Gesamtfläche mehr Laub- als Nadelbäume. Das Personal in den Landesforsten ist seit 2008 weniger geworden. Waren vor elf Jahren noch 197 Menschen beschäftigt, sind es inzwischen 179. Dieser Wert ist seit dem Jahr 2011 relativ konstant. Von 220.000 verkauften Festmetern Holz stammten im vergangenen Jahr allein 100.000 Festmeter von der Fichte. Als meistgepflanzter Baum oft ein Opfer der Stürme oder des Borkenkäfers.