Wedel. Schleswig-Holstein Musik Festival: Mit seinen Rhythmus Boys macht Ulrich Tukur Musik. Dabei unterhält er mit irrwitzigen Storys.
„Sie haben sicherlich Verständnis: Wir werden noch einen Moment warten, bevor wir anfangen“, sagt Ulrich Tukur. Der Applaus zu seiner Begrüßung ebbt ob dieser irritierenden Ankündigung in eigener Sache abrupt ab. Und so fährt der Schauspieler in die plötzliche Stille hinein fort: „Ungefähr zwei Stunden.“ Das findet das Publikum jetzt lustig. Tukur lässt offen, ob und wie sehr er selbst darüber lachen kann.
Wedel, Schuppen 1, Auftakt des Schleswig-Holstein Musik Festivals (SHMF) in der Stadt. Tukur und seine Band Die Rhythmus Boys präsentieren „Grüß’ mir den Mond“, ihr aktuelles Programm, das schon in der Elbphilharmonie gefeiert worden ist. Der Titel verheißt Sinnliches, Mysteriöses, Unheimliches, Düsteres. Auf jeden Fall Dunkelheit. Aber ach: Geschätzte 300 Quadratmeter Dachverglasung machen die zum rustikalen Konzertsaal umgebaute Bootshalle des Segel-Vereins Wedel-Schulau um 19 Uhr taghell. Ja, es stört Tukur. Wenigstens könne er bei diesem Auftritt jeden einzelnen Zuschauer sehen, sagt er; rund 750 sind es. Er wird im Laufe des Abends immer wieder aufs Thema Tageslicht zurückkommen.
Sei’s drum. Der Schauspieler beginnt zu rezitieren. „Der Mond. Dies Wort so ahnungsreich, so treffend, weil es rund und weich. . .“ (Wilhelm Busch). Dann, im selben Atemzug, ein Vers von Ringelnatz. Gefolgt vom Hinweis, dass der Mond im Laufe eines Menschenlebens theoretisch fußläufig erreichbar wäre – „zwei Kaffee- und zwei Zigarettenpausen inbegriffen.“ Was so ganz klassisch begonnen hat, nimmt schon nach wenigen Augenblicken ein wenig groteske Züge an. Und das ist erst der Anfang. . .
Tukur kann sogar erklären, woraus Backpulver besteht
Einsatz für Die Rhythmus Boys. „Moonlight Serenade“ von Glenn Miller. Ulrich Tukur lässt seine Finger über die Klaviatur des Flügels fliegen. Der 2,08 Meter große Günter Märtens zupft den Kontrabass. Der fast einen halben Meter kleinere Kalle Mews sitzt am Schlagzeug. Ulrich Mayer, der wie immer eine dicke Hornbrille trägt und seine dunkelbraunen Haare mit viel Pomade in die Stirn gekämmt hat, spielt Gitarre. So kennt, so liebt das Publikum die Gruppe seit Jahrzehnten. Vier etwas kauzig anmutende Typen machen zusammen virtuos Musik. Ihre Vorliebe gilt überwiegend der Unterhaltungsmusik der 20er- bis 40er-Jahre. Dabei setzt die Band, von Tukur einst als „Tanzkapelle“ gegründet, nicht auf den Salonorchester-Sound eines Max Raabe. Ihre Arrangements wirken klarer und peppiger als die Originale. Und dadurch etwas moderner.
Duke Ellingtons „Harlem Nocturne“ steht auch auf dem Programm, „Mit der letzten Straßenbahn“ von Ilse Werner, „Feuchte Lyrik“ der hierzulande unbekannten deutschen Chansonette Eva Busch sowie Cole Porters „Night and Day“.
Wobei Cole Porter ein gutes Stichwort ist. Die Idee zu „Night and Day“, die „Punchline“ quasi, die habe er geliefert, erklärt Tukur. Das sei 1934 gewesen, als er, der Bielefelder, seinen Freund Cole Porter in New York besuchte. „Wir sind abends mit Coles Studebaker durch Manhattan gefahren, und ich habe gesagt: Mensch Cole, das ist hier ja viel heller als in Bielefeld. Das ist ja Nacht wie Tag. Da hat er doch glatt einen Hit draus gemacht.“
Bei einer Beerdigung Neil Armstrong kennengelernt
Bei Cole Porters Beerdigung 1964 habe er dann Neil Armstrong kennengelernt, „einen außerehelichen Sohn Louis Armstrongs, der wegen der genetischen Dominanz seiner isländischen Mutter überhaupt nichts von seinem Vater abbekommen hatte.“ Und der gar kein Astronaut gewesen sei, sondern ein erfolgloser Darsteller, der die Mondlandung nur geschauspielert habe.
Dass er, Jahrgang 1871, so viel erlebt habe, hänge übrigens mit der Arbeit in der Backpulverproduktion bei Dr. Oetker in Bielefeld zusammen, sagt Tukur. Weil Backpulver versteinerter, gemahlener Dinosaurierkot aus dem Raum Bielefeld sei. Wer ihn einatme, bekomme Lungenkrebs. Oder altere nicht mehr.
„Wir Schauspieler sind mehr oder weniger begabte Hochstapler“, hat Tukur einmal im Interview mit dem „Tagesspiegel“ gesagt. Was er unter „Anmoderation“ der Songs in seinem Konzert versteht, mag diesen womöglich wahren Satz persiflieren. Es ist auf jeden Fall um Klassen besser als vieles, das heutzutage als „Comedy“ verkauft wird. Trotzdem ist es gerade noch fein genug dosiert, dass die Musik nicht zu kurz kommt. Das Publikum in Wedel lacht Tränen.
Nach zweieinhalb Stunden Programm, zwei Zugaben und – wie immer – „La Paloma“ als letztem Stück bleibt dennoch eine Erkenntnis: Mond hin oder her – im norddeutschen Sommer ist es auch um 21.30 Uhr noch taghell.
Hier gibt es noch Karten für das SHMF im Kreis Pinneberg
Elmshorn
Nordakademie: So 18. 8., 16 Uhr, SHMF backstage, Martin Grubinger, Percussion, Workshop für Kinder, 10 Euro Reithalle: Mi 31. 7., 20 Uhr, Tango grandios, Isabelle van Keulen Ensemble, Warteliste, 19 bis 39 Euro
Haseldorf
Rinderstall: Sa 3. 8., 13 Uhr, Musikfest Haseldorf, Vibraphon, Gitarre, Saxophon, Viola, 30 Euro Rinderstall: Sa 3. 8., 20 Uhr, Gypsy Night, Maik Mondial, transit, Chapeau Manouche, Lindy Hop meets Gypsy-Swing, 20 Euro Rinderstall: So 4. 8., 11 Uhr, Musikfest Haseldorf, Ensembles des Festivalorchesters, Kammermusik, Quintense, Blasinstrumente, 30 Euro Rinderstall: Do 8. 8., 20 Uhr, russisch rasant, Terem Quartet, klassische Musik mit Jazzimprovisation und russischer Folklore, 10 bis 39 Euro Rinderstall: Do 15. 8., 20 Uhr, Stradihumpa, Violine und Tuba, harmonische Kontraste, 10 bis 28 Euro Rinderstall: Fr 23. 8., 20 Uhr, Martin Stadtfeld, Klavier, Bach und die Romantiker, Warteliste, 19 bis 45 Euro Rinderstall: Di 27. 8., 20 Uhr, Klezmer-Könige, David Orlowsky Trio, Kammerweltmusik, 10 bis 39 Euro
Rellingen
Kirche: Fr 12. 7., 20 Uhr, Sergei Babayan, Klavier, 10 bis 39 Euro Kirche: Sa 10. 8., 20 Uhr, Jordi Savall, Le Concert de Nations, Alt- und Bassgambe und Leitung, Johann Sebastian Bachs „Musikalisches Opfer“, 10 bis 49 Euro
Schenefeld
Forum: Sa 24. 8., 20 Uhr, Wildes Holz, Höhen und Tiefen, Blockflöte, Bass und Gitarre, 29 Euro Wedel Rist-Forum: Fr 16. 8., 16 Uhr, Die Zauberflöte, für Kinder ab 5 Jahren, „Können Prinz Tamino und der Vogelfänger Papageno die entführte Prinzessin befreien?“ Juri Tetzlaff, 14 Euro, Kinder 7 Karten/Warteliste: www.shmf.de, Ticket Hotline: 0431/23 70 70