Pinneberg. In der Serie „Ich war noch niemals in . . .“ stellen Redakteure Ausflugsziele im Kreis Pinneberg vor. Nico Binde wagt sich dafür aufs Wakeboard.
Keine Ahnung, was Sebastian Eppinger gerade erzählt hat. Alles weg. In der Theorie klang das sicher einleuchtend, aber in der Praxis habe ich gerade ganz andere Probleme. Zusammengerollt wie Nummer 65 beim Sushi-Imbiss kauere ich in Embryonalstellung auf einem Brett und muss mich aufs Wesentliche konzentrieren. Unter mir das Board, vor mir der See und in meinen Händen das Ende eines gelben Kabels, das mich gleich mit Tempo 30 auf den Teich ziehen soll. Irgendwas mit „tief in der Hocke bleiben“ und „eng am Körper lassen“ hat Eppinger gesagt. Zu spät. Es ruckt, ich beschleunige.
Morgens in der Wasserski-Arena in Pinneberg. 28 Grad, Early-Bird-Zeit, kaum Leute da – perfekt. Nach der kurzen Einweisung von Anlagen-Chef Sebastian Eppinger finde ich mich am Ufer des ehemaligen Stadtbadsees zwischen ein paar Kindern und ein paar Profis wieder. Artig und gekonnt rauschen sie am Halteseil hinaus aufs Wasser, drehen eine Runde, während die Anlage einen beruhigenden Takt klackt. Das Publikum für eine Blamage ist überschaubar. Ideale Bedingungen für die Premiere. Auf dem Board. In Pinneberg. Und überhaupt.
„Vielleicht fängst du zum Reinkommen mit dem Kneeboard an“, hat Eppinger vor der Einweisung gesagt. Ein Brett, auf dem man kniet anstatt steht. „Ich wollte etwas für Erwachsene probieren“, denke ich. Und sage: „Okay!“ Es folgen viele Instruktionen. Was ich noch weiß: Falls man im Wasser landet (und man landet garantiert im Wasser): Kopf einziehen, sobald ein herrenloses Kabel oder andere Boarder auf einen zuschießen. „Dann kann dir eigentlich nichts passieren“, sagt Eppinger. Wie beruhigend, aber was hat das „eigentlich“ in dem Satz verloren?
Hier ist das schöne Leben zu Hause – wenn es nicht regnet
Auf den gut 80 deutschen Wasserskianlagen läuft es im Grunde immer gleich ab. Die Trendsportler werden in einem ovalen Rundkurs an einem Kabel über das Wasser gezogen. Ein Elektromotor beschleunigt dafür eine Art Seilbahn, den Lift, der über hohe Masten und Rollen geführt wird. Das Wakeboarding ist dabei gewissermaßen das Snowboarding des Wasserski. Es wurde erst in den 80er-Jahren erfunden, als sich einige Surfer bei Flaute so sehr langweilten, dass sie sich von Motorbooten ziehen ließen und die Kielwelle (Wake) surften. Geboren war der Trendsport.
Nach Trendsport sehen die meisten Besucher der Pinneberger Anlage aus. Gut gebaut, gut gelaunt, hier ist das schöne Leben zu Hause. Zumindest, wenn es nicht regnet. Arthur, der Mann am Lift-Pult, Einweiser und Starthelfer, macht da keine Ausnahme. Er vermittelt das „Keine-Sorge-wird-schon-gut-gehen-Gefühl“. Erste Anweisung: „Schnapp dir eine Weste, S oder M müsste reichen.“ Ein anderer Fahrer ruft mir zu, beim Wakeboarding sei noch kein Meister vom Himmel gefallen.
Seit 2007 wird der ehemalige Pinneberger Freibadsee als Wassersportarena genutzt. Die Welt-Elite des Sports und bekannte Rock-Gruppen waren schon zu Gast. Vor sechs Jahren übernahm Eppinger die Cablesport-Arena, erweiterte sie um einen Beachclub. Doch nicht erst seitdem ist die Wasserskianlage ein touristisches Aushängeschild der Stadt, ein entspannter Treffpunkt für Pinneberger und Hamburger. An guten Tagen kommen bis zu 1500 Leute – entweder, um ihre Füße bei einem Kaltgetränk im Sand zu vergraben, während sie den Wakeboardern zusehen, oder um selbst aufs Brett zu steigen.
Kniend warte ich indes auf den Zug, der gleich an meinen Armen reißen wird. Bloß nicht den Griff loslassen, denke ich. Und zack, zieht mich die Macht des Lifts von der Startrampe ins Wasser. Von Null auf 30 in Hundertstelsekunden, erstaunlicherweise hafte ich am Board, auch wenn sich die ersten Meter wie beim Bullenreiten anfühlen. Nur ohne Bullen. Und ohne Sattel. Erkenntnisgewinn: Endlich weiß ich, wie sich ein flacher Stein beim Flitschen über die Wasseroberfläche fühlt – zittrig.
Umso erstaunlicher, dass ich Sekundenbruchteile später schon wieder denke: Mensch, das gleitet sich aber schön, bevor ich weitere Sekundenbruchteile später feststelle, dass die Spannung am Kabel nachlässt. Ich werde abrupt langsamer, aber nur, um ebenso abrupt einen heftigen Zug am Kabel zu spüren, der mich mit sich reißt. Erst mit Board, dann ohne Board und schließlich ohne mich. Dafür mit viel Wasser – peng, platsch, nass. Herzlich willkommen in Kurve 1.
Deutschland hat höchste Wasserskiliftdichte weltweit
Deutschland gilt als Land mit der höchsten Wasserskiliftdichte weltweit. Wakeboarding wurde jüngst sogar als Sportart für die Olympischen Spiele 2020 vorgeschlagen, am Ende aber nicht akzeptiert. Dabei gibt es viele Ausprägungen des Sports: Neben den Wasserskianlagen, Motorbooten oder Jetskis lassen sich einige Wakeboarder inzwischen sogar von Drohnen übers Wasser ziehen. Um die Kielwelle eines Bootes zu simulieren, gibt es aber auch in Pinneberg Hindernisse im Wasser, so genannte Kicker, die bei Bedarf als Schanzen genutzt werden können.
„Bleib weg von den Kickern!“ wurde mir dagegen zugerufen. Das sei nix für Anfänger. Nachdem ich den ersten, relativ sanften Sturz mit einer Krauleinheit ans Ufer verarbeitet habe, um mein Board wieder zur Startrampe zu schleppen, betreibt Arthur Fehleranalyse. Das Fiese für Anfänger sei, dass kurz vor den Kurven die Spannung am Seil einen Tick nachlässt, nur um in der Kurve umso heftiger zu beschleunigen. Das heißt: Wer nicht sauber die Bojen und Kurven ansteuert, hat eine ruckartige Kraftentwicklung auf der Leine, die ungeübte Fahrer umgehend in Schwierigkeiten bringt. Die gute Nachricht ist dann wohl: Bis Kurve 1 ist für den Anfang ganz ok. Die schlechte Nachricht ist: Jede weitere Kurve wird noch schärfer.
Die Anweisung vor dem zweiten Versuch lautet, die Kurven enger zu nehmen und kompakter in der Hocke zu bleiben. Noch kompakter? Wieder wuchtet mich die Anlage auf dem Kneeboard auf den See. Dieses Mal fühle ich mich nach den Anfangswacklern schneller stabil. Und auf den Ruck in der ersten Kurve bin ich jetzt ja auch vorbereitet. Yeah! Gewicht nach links verlagert, reingeschliddert, geschafft! Die rote Boje links liegen lassend, steuere ich innerlich triumphierend Kurve 2 an. Da, verdammt, erschlafft das Kabel schon wieder. Warum? Ist jetzt auch egal. Denn ein Ruck reißt mich mit der Wucht eines nachfedernden Bungeeseils aus allen Tagträumen und gerade eingenommenen Komfortzonen. Meine Bruchlandung muss aussehen wie in einem Tom-und-Jerry-Comic. Als ich wieder auftauche, führt neben mir eine Blesshuhnmutter ihre Jungen aus.
Am Startpunkt ist eine Schulklasse angekommen, Projektwoche an der Wasserskianlage. Die Jungs stehen bombensicher auf den Boards, starten schon nicht mehr im Sitzen, sondern springen mit beeindruckendem Timing ins Wasser, um sich zeitgleich nach vorn katapultieren zu lassen. Ich frage vorsichtig, ob ich aufs Wakeboard wechseln dürfe. „Erst, wenn du eine Runde geschafft hast“, rügt Arthur. Um es kurz zu machen: Im vierten Anlauf schaffe ich es tatsächlich knieend einmal ums Rund. Fühlt sich gut an. Macht Spaß. Ich dürfte jetzt reif sein für die nächste Herausforderung: eine Runde stehend auf dem Wakeboard.
Theoretisch klingt das alles wieder sehr einleuchtend. Füße in die Schlaufen des Boards. Kabelgriff eng an die rechte Hüfte, leicht in die Knie gehen, nach hinten lehnen, Körperspannung, Arme danach leicht anwinkeln – und los! Dann hakt mich Arthur ein, der Zug kommt, nimmt mich mit auf Reisen, und tatsächlich brettere ich exakt drei Meter fünfzig halbwegs würdevoll los. Dann ditscht mein Hintern das erste Mal ins Wasser, bremst mich, das Seil zieht mich wieder hoch, ich stemme mich dagegen, tauche mit dem Allerwertesten wieder ein und muss mich dem Zug geschlagen geben. Salto vorwärts, Haltungsnote: 4 minus.
„Man sollte sicher schwimmen können.“ Das ist laut Anlagenbetreiber Eppinger die einzige Bedingung bei Kindern, die mit dem Wakeboarden anfangen wollen. „Ansonsten kann man das bis ins hohe Alter machen.“ Die Rentner, die auf die Anlage kommen, hätten allerdings auch Erfahrung. Unkoordinierte Anfängerstürze sollte man sich sonst ab einem Alter von mehr als 60 Jahren vielleicht nicht mehr zumuten. „Aber grundsätzlich ist es ein Sport für alle Generationen.“
Mein Sport wird es an diesem Vormittag nicht mehr. Zwei weitere Versuche enden ähnlich kläglich wie der erste. Dabei hatte mein früherer Leichtathletiktrainer immer behauptet, ich wäre ein „Bewegungstalent“. Beim Bierkrugheben, Fleischwenden oder Fahrradfahren mag das auch stimmen. Aber Wakeboarding erfordert wohl etwas mehr Übung.
„In zwei Stunden sollte aber jeder seine erste Runde geschafft haben“, ist Sebastian Eppinger überzeugt. „Und wenn nicht, dann eben beim nächsten Mal.“ Deshalb werde ich es halten, wie es Arnold Schwarzenegger als Terminator auch immer gehalten hat: I’ll be back! Ich werde wiederkommen. Vielleicht. Eventuell. Möglicherweise.