Pinneberg. Sekte ködert wieder verstärkt mögliche Mitglieder – auch in Pinneberg. Die Stadt genehmigt einen Scientology-Büchertisch in der Fußgängerzone.

Die harmlose Fassade hat Methode. Passanten sollen erst mal neugierig werden auf den Infostand mit roten Bannern und ein paar Büchern zur Persönlichkeitsentwicklung, wobei ein direkter Hinweis auf den Absender fehlt. Aber ein älterer Herr mit Schirmmütze erklärt bei Bedarf gern alles Weitere, etwa die Lehre des Buchautors L. Ron Hubbard, dem Gründer von Scientology.

Mit einem solchen Infostand ködert die deutsche Gefolgschaft der Sekte aktuell wieder verstärkt in der Pinneberger Fußgängerzone mögliche Mitglieder – mit offizieller Genehmigung der Stadt.

Nachdem es jahrelang ruhig um die Sekte geworden war, ihr Ansehen arg gelitten hat und die Mitgliederzahlen stetig sanken, versucht die als extremistisch eingestufte Organisation nun wieder forciert und unverhohlen, Menschen für sich zu gewinnen, bestätigt der Hamburger Verfassungsschutz. Bereits seit 1997 wird der aus Amerika gelenkte Konzern im Kleid einer Religionsgemeinschaft von den Staatshütern beobachtet. Grund: Scientology erfülle alle Merkmale des politischen Extremismus in einer totalitären Organisation.

Stadt behandelt die Sekte wie die NPD oder die AfD auch

Pinnebergs Stadtsprecherin Maren Uschkurat sagt, ein Infostand der Sekte könne nicht verhindert werden. Im Gegenteil: Die Werbemaßnahme sei „im Sinn des Gleichbehandlungsgrundsatzes genehmigt worden“. Wie bei Veranstaltungen der NPD oder der AfD könne die Stadt nur abwägen, ob zeitgleiche Veranstaltungen einer Sondernutzungsgenehmigung im Wege stehen, oder ob verfassungsfeindliche Inhalte verteilt werden. Beides sei nicht der Fall. Im Übrigen handele es sich bei Scientology nicht um eine verbotene Organisationen – selbst wenn sie in einigen Bundesländern vom Verfassungsschutz beobachtet wird.

Das bestätigt auch der Sektenbeauftragte der Nordkirche, Jörg Pegelow: „Dass Scientology und ihre Unterorganisationen mit Büchertischen auftreten dürfen, entspricht der Rechtssituation. Kommunen haben keine rechtliche Handhabe, entsprechende Anträge abzulehnen.“ Die Einschätzung als totalitär erlaube zwar eine klare Einschätzung ihrer Ziele, aber staatliche Stellen dürften wegen der Meinungs-, Religions- und Weltanschauungsfreiheit das öffentliche Auftreten nicht untersagen.

Derweil stagniert die Zahl der Scientology-Mitglieder laut Verfassungsschutz bei bundesweit etwa 3400 Personen. In Hamburg und seinem Umland zählen etwa 300 Anhänger zur Sekte mit ihrem Sitz am Domplatz. „Von dort steuert ein harter und aktiver Kern aus 150 bis 200 Mitgliedern die Aktivitäten der sogenannten Frontgroups in Norddeutschland“, sagt Marco Haase, Sprecher des Hamburger Verfassungsschutzes.

„Frontgroups“ wie der Infostand in der Pinneberger Fußgängerzone seien auch in Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern aktiv, um neue Anhänger zu rekrutieren. Haase: „Ein offensichtlicher Bezug zu Scientology ist dabei wegen des schlechten Rufs der extremistischen Organisation aus taktischen Gründen nicht sofort erkennbar.“ Selbst wenn der Name L. Ron Hubbard und der Begriff „Dianetik“ mit Scientology in Verbindung gebracht würden, sei nicht für jeden Passanten erkennbar, dass eine verfassungsfeindliche Organisation werbe, so der Sprecher weiter.

Nach Abendblatt-Informationen war Scientology in Pinneberg aber offiziell als Anmelder in Erscheinung getreten. Für den Büchertisch in bester Lage wurde eine Sondernutzungserlaubnis beantragt. Doch es gibt auch etliche Tarnorganisationen in der näheren Umgebung, deren Verbindung zu Scientology wissentlich verschleiert werde, so die Hamburger Verfassungsschützer: etwa die „Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte“ (KVPM) mit einer Anlaufstelle in Rahlstedt, die „Jugend für Menschenrechte“ in Hamburg, „Criminon Deutschland“ mit Sitz in Barsbüttel oder der Verein „Sag Nein zu Drogen – sag Ja zum Leben“. Ein Team des letztgenannten Vereins hat im vergangenen Jahr sogar am HSH-Nordbank-Run teilgenommen.

Überaltert: Scientology laufen die Mitglieder davon

In diesem Jahr wurde den Scientologen nach einem Hinweis des Verfassungsschutzes eine Teilnahme an der Nachfolgeveranstaltung, dem Hamburg Commercial Bank Run, verwehrt. Bis in die 90er-Jahre betrieb die Scientology-Tochter „Narconon“ zudem eine „Drogenhilfeeinrichtung“ bei Itzehoe. „Scientology versucht noch immer, über die Instrumentalisierung von sozial akzeptiertem Engagement neue Anhänger zu gewinnen“, sagt Marco Haase. Denn zuletzt habe sich die Anhängerschaft in Norddeutschland halbiert. „Und es gelingt nicht“, so der Behördensprecher, „die Zahl der Aussteiger durch neue und junge Mitglieder auszugleichen“. Gleichwohl rät der Verfassungsschutz im Umgang mit Scientology: „Passanten sollten aufmerksam sein und keine Personalien angeben oder Unterschriften leisten.“

Für Nordkirchen-Experte Jörg Pegelow trägt auch die Aufklärungsarbeit Früchte: „Aufgrund der geringen Mitgliederzahl und der allmählichen Überalterung ist die Organisation nicht mehr in der Lage, intensive Werbe- und Informationskampagnen durchzuführen.“ Entgegen aller Beteuerungen spielten religiöse Inhalte bei Scientology nach wie vor kaum eine Rolle. Vielmehr gehe es darum, Menschen zu einem teuren Kurssystem zu überreden, ihnen den Status eines „Operierenden Thetanen“ zu versprechen. Pegelow: „Sie sollen also quasi Übermenschen werden, die alles im Griff haben, ihr volles psychisches, physisches und intellektuelles Potential ausschöpfen.“

Aber wenn das so wäre, fragt Pegelow: „Warum räumen Scientologen bei den Olympischen Spielen nicht alle Goldmedaillen ab? Und warum sind Scientologen bei der Nobelpreisvergabe noch nie bedacht worden?“ Darauf dürfte auch der Mann mit Schirmmütze am Pinneberger Infostand wohl keine überzeugende Antwort haben.