Uetersen. Willy Brand, Helmut Schmidt, Helmut Kohl: „Stern“-Reporter Volker Hinz hatte sie vor der Linse. Nun sind 63 seiner Bilder in Uetersen zu sehen.
Als Volker Hinz mit dem Fotografieren anfing, war Erich Salomon sein Gott. Dem weltläufigen deutsch-jüdischen Fotografen und Bildjournalisten waren atmosphärisch dichte, spannungsvolle Aufnahmen gelungen, lebendig und voller hintergründigen Humors. Das wollte der Autodidakt und spätere langjährige „Stern“-Fotograf Hinz lernen, und das gelang ihm auch, wie die neue Ausstellung seiner 63 Politiker-Porträts und -Schnappschüsse beweist, die vom 23. Juni an im Uetersener Museum Langes Tannen zu sehen ist.
Unbeobachtet Menschen fotografieren: So entstehen die besten Bilder, das erkannte Volker Hinz schon früh. Er versucht, „Menschen zu lesen“, ihre Bewegungen oder Gefühlsregungen vorauszuahnen, die ihm ein charakteristisches Bild in die Hände spielen. Was aber, wenn sich gar nichts tut im Gesicht des Gegenübers, das gerade ausgelaugt vom Interview aufschaut und nicht mehr fotografiert werden will? „Dann machen Sie so!“, sagt Volker Hinz. Es folgt ein kurzer Hüpfer, er reißt die großen Augen auf, „und manchmal wackele ich auch mit dem Hintern“.
Dem späteren Bundeskanzler Helmut Schmidt hat er schon 1968 bei einer Wahlveranstaltung aufgelauert, argwöhnisch beäugt von einem Sicherheitsmann. „Ich sah damals noch ein bisschen wilder aus“, erinnert sich der 72-Jährige mit den runden Augen im runden Gesicht unter inzwischen ergrauten Wuschelhaaren. Erst sei er überprüft worden. „Aber ich war schmerzfrei: Entweder ist man vorn, oder es passiert nichts.“
Das plumpe Grundrezept eines erfolgreichen Fotografen, sich gleich nach vorn durchzuschieben, beherrschte er also: „Wir mussten auf den Punkt da sein mit unseren Beobachtungen.“ Im richtigen Moment draufzudrücken: Das ist das Wichtigste bei einem Fotoreporter, der so mitläuft, während der Schreiber des Textes sich sehr viel Raum nehmen kann. Bevor der „Stern“ anbiss, hatte Hinz frei für „Bild“, „Welt“ und den „Spiegel“ gearbeitet, dann von 1970 bis 1974 im Bonner Büro von Sven Simon, dem Sohn Axel Springers. Für den „Stern“ arbeitet er bis 2012. In den goldenen Zeiten des Fotojournalismus’ gab es keinen besseren Ort in Deutschland. Nur einen Ausflug in das wilde New York gönnte er sich 1978. Auch von dort aus arbeitete er für den „Stern“. Bis er 1986 zurückkam und in Hamburg blieb.
Porträts in Politiker-Büros haben Hinz gelangweilt
Zu Helmut Schmidt hatte er „ein komisches Verhältnis“, wobei er schon sagt, er habe Respekt vor ihm gehabt. Im Schnitt trafen sie einmal im Jahr aufeinander. Zum Beispiel während einer Amerika-Tournee, auf der sich Schmidt manchmal schrecklich langweilte. Als der Kanzler bei einem Tischlereibesuch aus Spaß einen Hammer zur Hand nahm, drückte Hinz drauf. Das Bild des hammerschwingenden Helmut Schmidt hängt in der Ausstellung. Hin und wieder durfte er auch ein geplantes Foto machen, etwa wenn Helmut Schmidt seinen Vater im Altersheim besuchte und beide ihren Elbsegler aufsetzten. Auch diese Bilder sind zu sehen, eines davon im stilvollen Herrenhaus, wo die privateren Fotos hängen.
Immerhin habe ihn Schmidt nie rausgeschmissen, das rechne er ihm hoch an. Der Fotograf hat sich oft gelangweilt bei all den Politikerinterviews in ihren todlangweiligen Büros. Bei einem dieser Interviews entstand die Idee, die Politiker in ihren Zimmerpflanzen zu fotografieren, sie gewissermaßen in ihren Gummibaum zu stellen, erzählt Hintz. Vielleicht acht solcher Aufnahmen hat er gemacht.
Aber dann ist da noch der richtige Riecher, einfach noch nicht zu gehen, weil ja noch etwas kommen könnte. Bevor Schmidt eine Rede gehalten habe, habe Hinz mit ihm in einem Warteraum geschmort. „Eine Stunde habe ich gewartet auf einen guten Moment. Es ist wie mit der Fliege an der Wand, die man kriegen will.“ Dann, ganz zufällig und ganz plötzlich, habe er das Bild in dem Augenblick gemacht, in dem Schmidt den Rauch seiner Zigarette aus dem Mund blies. Ein typisches Bild ohne Posing. Zu sehen in Uetersen.
Der Fotograf hat aber auch Bilder gemacht, bei denen man schlucken muss. Bilder von einer so dringlichen Unmittelbarkeit und Echtheit wie das von Willy Brandt, nachdem der wegen der Guillaume-Spionageaffäre seinen Rücktritt erklärt hatte. Hinz stand dort, wohin Brandt sich wendete, als er die Bühne der Politik verließ, unter Schock, wie eine steife Puppe, umringt von aufgeregten und auch traurigen Sicherheitsleuten.
Bis zum Schluss hat Volker Hinz für den „Stern“ mit seiner geliebten Hasselblad 6-mal-6-Kamera fotografiert. Auf digitale Technik hatte er überhaupt keine Lust, er benutzte die Kameras, die ihm die Redaktion gestellt hatte, einfach nicht. „Das durfte ich, weil ich mit der Hasselblad gute Bilder machte.“
Mit der Hasselblad fotografiert man quasi um die Ecke
Damit muss man quasi um die Ecke fotografieren können, weil man als Fotograf nach unten in die Kamera blickt. Dadurch fühlt sich manch einer unbeobachtet – und Hinz bekommt das Foto, das er haben will. So gelangen ihm auch ein paar von den sogenannten „bösen Fotos“: Helmut Kohl 1976 auf Wahlkampftour, eingekeilt zwischen zwei Pferdehintern – das hat schon mächtig Ärger gegeben hinterher. „Weil er sich ertappt fühlte.“ Sei’s drum. Oder der Pfälzer Politiker stand im Günzburger Legoland, wo die deutsche Fachwerk-Gemütlichkeit so hübsch kleinkariert verkleinert ist, und Kohl ganz zufällig inmitten dieser künstlichen Herrlichkeit zum Stehen kommt.
Ja, Hinz konnte eine Menge sagen, ohne den Mund aufzumachen. Künstler hatten bei ihm Narrenfreiheit: „Die sind ja nur Harlekine und wollen nur spielen. Aber Politiker, die sind gefährlich. Denen muss man auf die Finger gucken.“ Deshalb hat Hinz immer eine gewisse Distanz eingehalten im Job. Außer bei Harald Schmidt, der ja kein Politiker ist. Der mochte ihn so gern, dass Hinz ihn in der Badewanne fotografieren durfte, während er mit dem Duschkopf telefonierte.