Pinneberg. Der Circus Monaco schlägt zum ersten Mal seine Zelte in Pinneberg auf. Wie fühlt sich der Alltag einer Zirkus-Familie auf Dauerreise an?
Die Sonne scheint auf den grauen, staubigen Boden des Marktplatzes in Pinneberg. Dort, wo normalerweise hinter einem Schnellrestaurant Autos geparkt sind, sticht nun eine rote Zeltplane ins Auge. Sie gehört zum Circus Monaco, der für die kommenden zwei Wochen in Pinneberg ist. Zum ersten Mal. Der schmucklose Platz – für die Zirkusleute ist er jetzt das neue Zuhause, ein Zuhause auf Zeit, wie sie es nicht anders kennen.
Zwischen Wohnwagen und Zelt fährt ein grüner Mercedes ein. Staub wirbelt auf. „Ich habe meine Große gerade von der Schule abgeholt“, sagt Sara Sperlich (32), als sie die Autotür öffnet. Sie ist schon ihr ganzes Leben Teil der Monaco-Familie. Sie hat auch Speiseeis gekauft. Es ist Mittag und Zeit für sie und ihre Familie zu essen. Ihre neunjährige Tochter Daline springt vom Beifahrersitz des Autos auf die Stufen eines Wohnwagens und verschwindet in dem mobilen Heim.
Kurz darauf sitzt sie gemeinsam mit ihrer fünfjährigen Schwester Alicia am Küchentisch des Wohnwagens. Zwischen einer Portion Nudeln und einer Portion Eis erzählen beide stolz von ihrer neuen Nummer, die sie einüben. Die habe mit Tauben zu tun. Mehr verraten sie nicht. Daline besucht jetzt die Hans-Clausen-Schule in Pinneberg. Sie geht immer in der Stadt zur Schule, in der der Zirkus gerade seine Zelte aufgeschlagen hat. Die Reaktionen der Mitschüler auf sie, die immer der Neuling ist, seien geprägt von Neugier. Viele seien ganz begeistert, wenn sie hörten, dass sie mit einem Zirkuskind den Klassenraum teilen. „Teilweise laufen uns sogar hinterher“, sagt ihre Mutter stolz.
Die Zirkusfamilie sind sechs Familien
Die Zirkusfamilie Monaco, das sind sechs Familien. Sie sind Geschwister, Cousins oder verschwägert. Aber die Familie kommt nicht allein, sie hat tierische Begleitung. Zwei Kamele, sechs Ponys, drei Lamas, ein Esel und ein ungarisches Steppenrind begleiten sie. Giuliano Sperlich kümmert sich um die Vierbeiner. Der 34-Jährige ist Sara Sperlichs Mann und erst seit vier Jahren mit dabei. Doch auch er kennt kein anderes Leben. „Ich bin so ein typisches Zirkuskind“, sagt er. Er schließe am Tag mindestens zehn Freundschaften.
Als Janine Sperlich, die Trapez-Künstlerin des Zirkus’, den Wohnwagen betritt, fühlt Giuliano Sperlich sich ertappt: „Ich kauf’ dir eine neue Dose“, sagt er und blickt auf den Energydrink, an dem er gerade nippt. Die 19-Jährige unterhält das Publikum mit Luftakrobatik am Trapez und mit ihren Hula-Hoop-Künsten. Sie geht hinaus auf den staubigen Platz. Zum Trainieren. Mit den Händen, mit den Hüften und mit den Armen schwingt sie ihre fünf weißen Reifen gleichzeitig.
Freie Zeit zwischen den Auftritten nutzt die Familie aber nicht nur fürs Proben. Alltägliches wie Einkaufen und Putzen steht an. Vor allen Dingen Werbung für die Shows werde immer wichtiger und nehme viel Zeit in Anspruch.
Das rote Zirkuszelt hat gut 300 Plätze, obwohl mehr als 500 reinpassen würden. Als Giuliano und Sara Sperlich es betreten, ist es dunkel. Noch sind die Lichter nicht montiert, noch fehlt es an Strom im Zelt. Ein kleiner Schlitz lässt ein wenig Sonne herein, und es ist zu erahnen, welch ein Aufwand das Aufbauen bedeutet. Sara Sperlich nimmt Platz auf den Bankreihen, ihr Mann schnappt sich einen grünen Gartenstuhl. Sein Handy klingelt. „Das ist ein Non-stop-Handy. Es klingelt ständig,“ sagt Sara Sperlich und lacht.
Ihre Mine verfinstert sich, als ihr Blick auf die große Musikanlage im Zelt fällt. „So ein Ding haben sie uns mal geklaut“, sagt sie. Der Zirkus sei in der Vergangenheit schon mehrfach bestohlen worden. Aber es geht nicht nur um das technische Equipment. „Selbst vor den Tieren machen unerwünschte Besucher keinen Halt“, sagt Sara Sperlich. Schon mehrfach hätten Fremde die Käfige geöffnet. Die Tiere seien dann frei auf dem Gelände herumspaziert. Allerdings hat Sara Sperlich keine großen Befürchtungen: „Unsere Tiere sind brav, die verlassen das Gelände nicht.“ Größere Sorge bereitet ihr und ihrem Mann etwas anderes. Es ist das Zirkusleben selbst. Es sei zu einem „Kampf ums Überleben“ geworden, sagt sie. Der Gegner in diesem Kampf steht für die beiden fest: das Internet. Sie beobachten es beim Verteilen von Flugblättern an Schulen: So würden Kinder und Jugendliche lieber Zeit am Computer, Smartphone oder am Tablet verbringen, statt sich zwei Stunden von Feuerspuckern oder Seiltänzerinnen verzaubern zu lassen.
Ihre Ängste scheinen nicht unbegründet. Tim Schneider vom Netzwerk Zirkus sagt: „Immer mehr Zirkusunternehmen haben Schwierigkeiten, ihre Geschäftsmodelle den veränderten gesellschaftlichen Gegebenheiten anzupassen.“ Das Team des Netzwerks möchte eine Weiterentwicklung des Zirkus’ stärken. „Das Problem für traditionelle Zirkus-Familien sind fehlende Innovationsprogramme von staatlicher Seite und die Konfrontation mit dem Tierschutz“, sagt Schneider weiter. Das Internet sieht Schneider nicht als Bedrohung: „Diese Befürchtungen hatten man doch auch, als das Fernsehen aufkam.“
Für Sara Sperlich ist die Sache klar. Sie möchte weitermachen. Ein stressiger Alltag gehöre eben dazu, sagt sie und beobachtet Janine. Die schwingt – nun im Bühnenoutfit – wieder ihre fünf Hula-Hoop-Reifen. Ihr pinkfarbener Overall glänzt und funkelt in alle Richtungen. Der Anblick versetzt in Trance. Das bringt auch Sara Sperlich zum Träumen. Sie, die immer auf Reisen ist, sagt, dass sie noch niemals im Urlaub war...