Wedel . Sammler lagern dort Schätze, für Bands ist es Zuhause, ein Teil soll Museum werden: Pächter Rene Grassau belebt die Bunkeranlage neu.
Rene Grassau hält den Schlüssel in Händen, der einen Einblick in eine einzigartige unterirdische Welt eröffnet. Wedels riesige Bunkeranlage ist ein Relikt des Kalten Krieges, und schon dadurch übt sie auf den Besucher eine gewisse Faszination aus.
Ein wenig mulmig wird einem schon, wenn man hinter dem Bunkerchef durch die verwinkelten Gänge eilt. Umschlossen von dicken Betonmauern und hinter Stahltüren sollten die Menschen hier im Falle eines Atomangriffs geschützt sein. In dem unterirdischen Hilfskrankenhaus standen jahrzehntelang Betten und voll ausgestattete Operationssäle für den Ernstfall bereit – der zum Glück nie kam.
Heute ist Grassau Herr über das unterirdische Reich. Der IT-Unternehmer hat den Bunker vor fünf Jahren von der Stadt gepachtet. Grassau erweckte ihn aus dem Dornröschenschlaf, legte ihn mühsam trocken und investierte vor allem sehr viel Geld in die ihm auferlegten Brandschutzmaßnahmen.
Erst das machte die jetzige Nutzung überhaupt möglich. Denn Wedels Hilfsbunker ist so belebt wie nie zuvor. Zahlreiche Bands haben hier ein Zuhause gefunden. Musiker aus Hamburg, Wedel und der Region proben ungestört von der Außenwelt. Grassau marschiert durchs Gänge-Labyrinth voran, öffnet die Türen, die ganz erstaunliche Einblicke ins neue Bunkerleben geben.
32 Bands dürfen im Wedeler Bunker proben
Die erste Station ist noch eine Baustelle. Julian Dallendörfer und Chris Grote aus den Hamburger Elbvororten richten sich ihren Proberaum gerade ein. Sie verkleiden die Wände für einen besseren Ton. „Wir können das nicht leisten, alle Räume umzubauen“, erklärt Grassau. Aber Material und Werkzeug stellt er. Dafür gibt es einen eigenen Raum, den schließt er auf Bitten der jungen Leute auch gleich auf.
„Jeden Tag füllt sich der Bunker mit Leben“, sagt Grassau. Unter den Bands hat sich herumgesprochen, dass es in Wedel gute Bedingungen zum Üben gibt. Der Bunker an der Pinneberger Straße nahe des Rist-Gymnasiums erstreckt sich über 5000 Quadratmeter. Er verfügt über 120 Räume. 32 Bands dürfen hier laut Grassau proben. Mehr sind aufgrund der Brandschutzauflagen nicht erlaubt. Denn in dem für einst 1694 Patienten ausgelegten Bunker sollen sich heute nicht mehr als 50 Personen gleichzeitig aufhalten. Und das ist auch nur möglich, weil Grassau in eine neue Lüftungsanlage, vier neue Notausgänge und drei Treppenhäuser investierte. Rund 600.000 Euro hat er bislang in sein Bunkerprojekt gesteckt. Um die Ecke und ein paar Türen weiter ist der Proberaum von Mum’s Pride. Die Gruppe beschreibt ihren Musikstil als Klassikrock oder „Musik, die nicht beim Bügeln stört“, wie es NDR-Mann Andreas Lützkendorf locker beschreibt.
Die Junggebliebenen machen seit den 80ern Musik, die Band gründeten sie 2013. Nun treten sie auch gemeinsam auf. Heute gibt’s Manöverkritik. Man sitzt auf den Gartenstühlen und bespricht die Auftritte. „Wir sind aus unserem alten Proberaum in Hamburg rausgeflogen“, berichtet Bandmitglied Michael Kern, wie es sie nach Wedel verschlug.
Gründung eines Vereins fürs Museum
Wie gut die Bunkerwände den Ton dämpfen, zeigt sich an der nächsten Station. „Hören Sie was?“, fragt Grassau. Nein, mehr als ein leichtes Summen ist nicht zu vernehmen. Dann öffnet er die Tür, und es wird richtig laut. Die Rockpop-Band Bigs mit Schenefelder Wurzeln ist mitten in den Proben. Noch lauter und noch düsterer geht es im Proberaum der Metal-Gruppe Hells Asylum zu. Heute ist nur Markus Lemke (Schlagzeug) mit einem Freund (E-Gitarre) da, sie „jammen“, improvisieren etwas. Von der Decke hängen Tarnnetze, an der Wand schwebt ein kleines Skelett, mit Paletten haben die Musiker sich sogar eine kleine Bühne gebaut.
Ständig hat Grassau Anfragen. Aber die Fläche ist aufgrund der Auflagen begrenzt. Einen anderen Teil vermietet er daher. Hinter diesen Türen lagern Sammler ihre Schätze, jeder Raum ist eine eigene kleine Welt voller Spieleautomaten, Modelleisenbahnen oder Antiquitäten. Angesichts der zahlreichen dicken Eisentüren sind die Sachen sicher und bei Sammlern gefragt.
Trotz allem liegt ein großer Teil des Bunkers ungenutzt da. Grassau hat dafür aber einen Plan. Er plant ein Museum. Das Projekt hat er mit anderen Interessierten kürzlich angeschoben, nun soll eine Vereinsgründung folgen. Dann können bald auch andere Interessierte Wedels unterirdische Welt bei Führungen erforschen.