Hemdingen/Bilsen. Gerissene Schafe waren durch Zäune geschützt. Steht Schleswig-Holstein nun vor dem ersten Abschuss eines Wolfes?

Im Kreis Pinneberg sind in den vergangenen Tagen bei vier Angriffen im Gebiet Bilsen/Hemdingen mehrere Schafe gerissen worden. Die Tiere befanden sich in drei Fällen hinter sogenannten wolfssicheren Zäunen, die unter Strom standen. Der Verdacht liegt nahe, dass die Taten auf das Konto eines Wolfs gehen. Bestätigt sich dieser durch eine entsprechende DNA-Probe, könnte der Wolf zum Abschuss freigegeben werden. Es wäre der erste Fall in Schleswig-Holstein, bei dem ein sogenannter Problem-Wolf erlegt werden müsste. Das bestätigt Joschka Touré, Sprecher des Ministeriums für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt, Natur und Digitalisierung in Kiel, auf Abendblatt-Anfrage. NDR 1 Welle Nord hatte zuerst berichtet.

Tourés Worten zufolge sind in Hemdingen am 27. Dezember zwei Schafe getötet und ist ein weiteres Schaf verletzt worden. „Der Zaun war mit 90 Zentimeter Höhe aber nicht wolfssicher“, sagt Touré. Der Zaun wurde nachgebessert und auf 1,08 Meter erhöht, was bislang als wolfssicher galt.

Die Schafe eines zweiten Tierzüchters aus Hemdingen wurden in der folgenden Nacht angegriffen. Sie standen auf einer Koppel, die bereits mit einem 1,08 Meter hohen Zaun gesichert war. Diesmal wurden drei Schafe verletzt, von denen zwei eingeschläfert werden mussten. Bei einem dritten Angriff im benachbarten Bilsen am 2. Januar wurde wieder ein Schaf so schwer verletzt, dass der Tierarzt es einschläfern musste. Zudem wurden auch Schafe auf einer benachbarten Koppel attackiert. Auch sie standen hinter einem als wolfssicher geltenden Zaun. Ein Schaf wurde verletzt.

„Wir haben die ersten Schritte zur Überprüfung der Risse eingeleitet und nehmen die Angelegenheit sehr ernst. Die drei Zäune waren vorbildlich und wolfssicher aufgebaut, sodass vonseiten der Halter alles im Sinne der Wolfsprävention geleistet wurde“, sagt Schleswig-Holsteins Umweltminister Jan Philipp Albrecht (Grüne). Und: „Es deutet vieles darauf hin, dass es sich hier um Wolfsrisse handelt. Damit würde aufgrund der mehrfachen Überwindung wolfssicherer Zäune die Ausnahmeregelung im Naturschutzgesetz greifen, nach der ein Antrag auf Abschuss des Wolfs gestellt werden kann. Da es sich beim Wolf um eine streng geschützte Art handelt, brauchen wir dafür einen sicheren Nachweis, dass es sich tatsächlich um einen Wolf gehandelt hat.“

Das sagen Kreisbauernverband und Kreisjägerschaft

Angesichts steigender Zahlen von Nutztierrissen fordert der Kreisbauernverband ein Umdenken beim Wolfsmanagement sowie die Unterstützung der betroffenen Weidetierhalter vonseiten der Politik.

„Wolfssichere Zäune scheint es nicht zu geben“, sagt Kreisgeschäftsführer Peer Jensen-Nissen. Eine Rückkehr des Wolfes stelle die Weidetierhalter vor zum Teil existenzbedrohende Herausforderungen.

„Demnächst werden die ersten Lämmer geboren, die noch schutzloser sind.“ Er plädiert dafür, den Wolf ins Jagdrecht aufzunehmen. „Wir brauchen schnelle, praktikable Lösungen.“ Der Bauernverband will Anträge von Weidetierhaltern zur gezielten Entnahme des Wolfes unterstützen.

Hans Wörmcke, Erster Vorsitzender der Kreisjägerschaft, betont, dass die Jäger nicht pauschal den Abschuss des Wolfes fordern. Er sagt: „Politik und Behörden müssen sich Gedanken machen, wie sie künftig mit dem Wolf umgehen wollen. Wir stehen aber gern als Gesprächspartner bereit.“

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Bestätigt sich der Verdacht eines Wolfsrisses durch die DNA-Probe, könnte beispielsweise der Schäfer oder die Vereinigung Deutscher Landesschafzuchtverbände beim Umweltministerium einen Antrag auf Abschuss stellen. Die wissenschaftlichen Untersuchungsergebnisse werden in zwei bis drei Wochen erwartet und lassen sich aus technischen Gründen nicht weiter beschleunigen.

Grundsätzlich steht der Wolf in der gesamten EU unter strengem Artenschutz. Wölfe, die lernen, wolfssichere Zäune zu überwinden, gelten jedoch als sogenannte Problem-Wölfe, bei denen ein Antrag auf Abschuss gestellt werden kann. „Bei dem vorliegenden Verdacht ist die vorgefundene Sachlage ziemlich klar, und wir stellen uns im Falle eines Wolfsnachweises auf einen solchen Antrag ein“, so Minister Albrecht. Problem-Wölfe seien nicht nur für die Nutzhalter ein Problem. Wölfe, die sich auf Nutztiere spezialisieren, gefährden aus Sicht des Ministeriums auch das Ziel des Artenschutzes, die Koexistenz von Wolf und Mensch in der Kulturlandschaft zu erreichen. „Sollte sich unser Verdacht bestätigen, werden wir also handeln und ein entsprechendes Verfahren gemeinsam mit allen Beteiligten zügig und rechtssicher durchführen können.“

„Wolfssichere Zäune werden in aller Regel nicht überwunden und sind daher auch weiterhin die beste Präventionsmaßnahme gegen Wolfsrisse“, sagt Jens Matzen, Koordinator Wolfsbetreuung in Schleswig-Holstein. Sie böten jedoch keinen einhundertprozentigen Schutz, weshalb es auch die Ausnahmeregelung für den Abschuss von Problemwölfen gebe. Der Verdacht liege nahe, dass es sich um den Wolf mit der Bezeichnung 924m aus Dänemark handele. „Er dürfte von seinen Eltern gelernt haben, Zäune zu überspringen“, sagt Matzen. Er warnt davor, den Wolf pauschal zu verurteilen. So sei eine Wölfin im Kreis Segeberg unterwegs, von der bislang kein Riss eines Nutztieres ausgegangen sei. Sie lebe von Wildtieren.