Lutzhorn. Die Raubtiere haben in diesem Jahr schon zwölf Schafe gerissen. Ein Experte hält jetzt auch Rudelbildung für möglich.


Jahrzehntelang war der Wolf hierzulande verschwunden. Vor etwa zehn Jahren ist er erstmals wieder in Schleswig-Holstein gesehen worden, nun wird er angriffslustig. Zwölf Schafe sind nachweislich allein im Kreis Pinneberg seit Mai von einem Wolf gerissen und getötet worden. Voriges Jahr gab es nur einen solchen Vorfall.

Anhand von Speichelspuren ließen sich bislang sechs dieser Schafsrisse genau zwei Rüden aus einem Wurf zuordnen, berichtet Hans-Albrecht Hewicker, Obmann für Wildtiererfassung der Kreisjägerschaft Pinneberg und Wolfsbetreuer des Landes Schleswig-Holstein. „Bisher waren es nur Einzeltiere auf Wanderschaft“, sagt Hewicker. „Wenn sich die Wölfe nun hier niederlassen und Rudel bilden sollten, stehen wir plötzlich vor einer völlig neuen Situation.“

Institut in Hessen untersucht getötete Schafe

So wie Uta Körby in Lutzhorn, die mit ihrem Mann auf einem alten Hof seit mehr als drei Jahrzehnten Schafe hält. „Wir haben noch nie Probleme gehabt, nicht einmal mit wildernden Hunden“, sagt sie. Das änderte sich plötzlich Anfang Juli, als sie eines Morgens ein totes Schaf in ihrer Herde entdeckten, das offensichtlich von einem anderen Tier getötet worden war.

Körby zog den Wolfsbetreuer Heiko Richter vom Elbmarschenhaus in Haseldorf zu Rate. Der hielt die Verletzung des Schafes aber für eher untypisch für einen Wolf, sodass Uta Körby von einer genauen Untersuchung absah. Doch als ihr Mann Wolf Schmidt-Körby – „der gute Wolf“, wie seine Frau schmunzelnd sagt – zwei Wochen später am frühen Morgen erneut ein totes, völlig zerrissenes Schaf in der Herde entdeckte, ließen die Körbys eine reguläre Untersuchung anstellen. „Das Senckenberg-Institut im hessischen Gelnhausen ist das einzige Institut bundesweit, das dazu in der Lage ist“, sagt Martin Schmidt vom Landesamt für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume (LLUR). Dort sei eine große Datenbank vorhanden, um das genau untersuchen zu können.

Schwester-Wölfin wurde überfahren

Wolfsbetreuer Heiko Richter vom Elbmarschenhaus zeigt einen Elektrozaun, der Wölfe abschrecken soll. Er wird bei Bedarf sofort
Wolfsbetreuer Heiko Richter vom Elbmarschenhaus zeigt einen Elektrozaun, der Wölfe abschrecken soll. Er wird bei Bedarf sofort © Burkhard Fuchs | Burkhard Fuchs


Von dort kam drei Wochen später die eindeutige Bestätigung, dass das Schaf der Schmidt-Körbys einem Wolf zum Opfer gefallen war. Und der lässt sich laut Hewicker ganz genau identifizieren. So handele es sich bei dem nächtlichen Räuber in Lutzhorn um den Welpen, der in Fachkreisen als „GW924m“ bezeichnet wird. Dieser Rüde stammt aus einem Wurf nahe der dänischen Kleinstadt Ulfborg und stromert nun offenbar durch das südliche Schleswig-Holstein. So hat er nachweislich vier Schafe im Kreis Pinneberg erlegt. Ein Wolf könne pro Tag rund 60 Kilometer zurücklegen, erklärt Hewicker.

Sein noch aggressiverer Bruder, den die Fachleute „G932m“ nennen, soll noch mehr Schafe gerissen haben und so auf der Halbinsel Eiderstedt die Schafzüchter in Angst und Schrecken versetzen. Die Schwester-Wölfin dieser beiden Jungwölfe ist Mitte Mai auf der Autobahnabfahrt in Tornesch überfahren worden. Da ein vierter Wolf aus diesem achtköpfigen Rudel in Dänemark illegal erschossen wurde, müssten sich außer den beiden genannten laut Hewicker jetzt noch vier weitere Jungwölfe irgendwo in Dänemark oder Schleswig-Holstein aufhalten.

Land stellt Elektrozaun kostenfrei zur Verfügung

Dank eines Elektrozauns, den das Land den betroffenen Schafzüchtern kostenlos zur Verfügung stellt, kann Uta Körby jetzt wieder ruhig schlafen. Dieser müsse nur mindestens 1,05 Meter hoch und so am Boden verankert sein, dass kein Wolf darunter durch schlüpfen könne. Außerdem braucht der Zaun genügend Strom, um das Raubtier davor zurückschrecken zu lassen, erklärt Hewicker.

Das habe bislang geholfen, sagt die Hobby-Landwirtin Körby erleichtert. Allerdings müsse sie nun ihre Tiere jeden Abend in den geschützten Bereich treiben, sagt sie. „Das schränkt uns schon in unserer Bewegungsfreiheit ein.“ Zum Glück sei ihre Schafszucht nur ein kleines Zubrot, sagt Uta Körby. „Wer davon leben muss, ist jetzt bestimmt stark beunruhigt.“

Das müsse nicht sein, sagt Martin Schmidt vom LLUR. „Bislang ist kein einziges Schaf zu Schaden gekommen, das auf einer Weide mit einem unserer Stromzäune stand.“ Wichtig sei nur, dass sich die Geschädigten schnell meldeten. „Dann bekommen sie von uns noch am selben Tag einen Elektrozaun, damit der Wolf nicht in der nächsten Nacht wiederkommen kann.“ In Lutzhorn, Langeln, Appen und Brande-Hörnerkirchen stehen schon Schutzzäune.

Einen Verdacht melden: So geht’s


Der Wolf wird heimisch in Schleswig-Holstein. 2018 ist er bereits 55-mal gesichtet worden, 2017 nur 20-mal. 37-mal hat er in diesem Jahr ein Nutztier gerissen, 2017 elfmal. Wer den Verdacht hat, ein Wolf habe sein Tier getötet, sollte den Wolfsbetreuungs-Koordinator Jens Matzen (0174/633 03 35) benachrichtigen, der einen der 70 ehrenamtlichen Betreuer vorbeischickt.