Pinneberg. Ehrgeiz, Fleiß und manchmal List: Ein spannendes Buch erzählt, wie der Kreis Pinneberg seine Identität fand

Die Wurzeln der ersten Pinneberger Baumschulen reichen bis nach Hamburg, genauer gesagt ins ehemals dänische Flottbek, wo der Handelsfürst Caspar Voght von 1785 an rund um den heutigen Jenischpark viele Jahre überaus engagiert ein Mustergut nach englischem Vorbild aufbaute.

Diesen Zusammenhang hat so noch niemand aufgeschrieben, sagen Joachim Malecki und Heike Meyer-Schoppa. Die beiden Autoren haben solche hochinteressanten Details in ihrem neuen Buch „Kulturlandschaft Pinneberger Baumschulland“ zusammengetragen, das ab sofort im Buchhandel erhältlich ist. Herausgegeben wurde es in Zusammenarbeit mit dem Förderverein Kulturlandschaft Pinneberger Baumschulland. Ein spannendes Lesebuch über das Herz regionaler Wirtschaftsgeschichte ist es geworden - und deren Verflechtungen mit einzelnen visionären Menschen wie Caspar Voght, der sich als Humanist und Aufklärer verstand und auch so handelte.

Bald gewann Voght den schottischen Landschaftsgärtner James Booth für den Aufbau einer Baumschule. Mittels 16 verschiedener Pflüge und einer ausgetüftelten Fruchtbarmachung des Bodens stiegen Erträge und Aufträge, sodass Booths Söhne die Bauern aus dem Pinneberger Umland aufsuchten, damit sie für sie Gehölze anzögen. Diese listigen Bauern boten ihre Baumzöglinge irgendwann direkt und günstiger an – und der langsame Niedergang der Baumschule Booth begann.

Lehrlinge und Gehilfen besaßen später Baumschulen

Das Buch der beiden Fachautoren, das in zwei Jahren entstanden ist, ist weit entfernt vom branchenüblichen Fachchinesisch. Unterhaltsam erzählen sie, welche Menschen und technischen Neuerungen daran beteiligt waren, dass der Kreis Pinneberg zur größten Baumschulregion Europas wurde. Selbst wenn von den ehemals 1000 Baumschulen heute nur noch rund 300 existieren. Die ersten hießen J. Heins & Söhne oder Pein & Pein.

„Wir reden heute viel über Heimat“, sagte der Kreispräsident Helmuth Ahrens, der zur Buchpräsentation in die Drostei gekommen ist. „Und der Siedlungsdruck steigt. Aber wenn immer mehr Baumschulen zu Bauland werden, wenn wir hier nur noch Wohnungen bauen und Gewerbe ansiedeln, würde das hier eine gesichtslose Vorstadt ohne Identität.“

Diese Identität wird massiv durch die Baumschulen bestimmt, und darüber gibt es viel zu erfahren. Weil Caspar Voght auf seinem Mustergut die jungen Menschen gründlich ausbildete, verbreitete sich sein wertvolles Innovationswissen: Seine Gärtner, Lehrlinge und Gehilfen wurden später selbst Baumschulbesitzer im Kreis Pinneberg.

Doch wie kamen die Gehölzsämlinge zu den Abnehmern, die sie brauchten, um Knicks zu pflanzen oder aufzuforsten? Anfangs sammelten Frauen und Kinder, Handwerker und Tagelöhner die Sämlinge und trugen sie zu den Kunden. Später wurden junge Bäume mit Wurzelballen durch Kaltblüter transportiert. Die Halstenbeker Baumschulbesitzer erreichten 1883 den Bau zweier Ladegleise, sodass sie künftig per Bahn liefern konnten. Die 10.000 Mark, die die Firma Hein größtenteils dafür zahlen musste, hat vielleicht mit zu deren Konkurs geführt. Das Buch liefert eindrucksvolle Güterfrachtzahlen und erklärt deren extremen Rückgang ab 1950 mit der „erhebliche Anhebung der Frachtbriefkosten durch die Bundesbahn“.

Doch zurück zu den Menschen. Die Hauptlast des Baumschulbooms lag auf den Schultern der Arbeiterinnen und Arbeiter. 1903 wagten sie einen ersten Streik. Sie forderten 30 Pfennig pro Stunde und einen Zehn-Stunden-Tag – und gewannen. Ein Jahr später aber wurden billigere Arbeitskräfte aus Thüringen, Posen oder Ostpreußen angeworben – für 20 Pfennig die Stunde, Frauen 14 und Jugendliche die Hälfte. Die früheren Arbeiter wurden entlassen und gingen in die Altonaer Fabriken. Aber Sonnabendabend gingen sie tanzen, wofür ein Werbeplakat für Tanz- und Speiselokale warb.

Sehr schön liest sich die Geschichte der Rosenzüchterfamilie Wunderlich, deren Betrieb verschwunden ist. Durch unvorstellbar harte Arbeit hatten es Christine und Carl Martin Wunderlich geschafft, ihre Rosen nach St. Petersburg, Wien, Norwegen und Belgien zu liefern. Carls Arbeitstag begann um zwei Uhr nachts, Christine arbeitete gleich nach der Geburt ihrer Kinder wieder, fuhr 62 Jahre lang täglich zum Hamburger Rosenmarkt. Die Zwangsarbeiter, die die Wunderlichs später beschäftigten, behandelten sie gut, im Gegensatz zu manchen anderen. Sie bauten beheizte Unterkünfte, und Christine Wunderlich kochte für alle dasselbe. Ohne Extrawurst.

Joachim Malecki, Heike Meyer-Schoppa, „Kulturlandschaft Pinneberger Baumschulland“ Verlag Kommunikation & Wirtschaft, 136 S., 19,80 Euro