Monchique/Pinneberg. Abendblatt-Reporter lebt zurzeit im Hinterland der Algarve und verfolgt die verheerenden Waldbrände in seiner Nachbarschaft mit Sorge.
Da gibt es diesen Moment, in dem sich Faszination in Entsetzen wandelt. Wir erleben ihn am Sonnabend in Portimao, der größten Hafenstadt an der Algarve. Als wir erkennen, dass das, was wir für Dunst halten und was am späten Nachmittag die Sonne zu verdunkeln beginnt, dichter Qualm ist. Kilometerweit gezogen. Hinübergeweht aus dem Monchique-Gebirge mit seinem höchsten Berg Südportugals, dem Foia. Von dem dort wütenden, spektakulären Waldbrand wissen wir längst. In diesem Moment spüren wir ihn am eigenen Leib.
Einige Wochen sind wir jetzt hier. Auszeit vom Alltag, von Pinneberg, mal ein bisschen kürzertreten. Weniger Aufgeregtheit. Dort leben, wo andere urlauben. An diesem Sonnabend soll es das Sardinenfest in Portimao sein. Ein lauschiger, netter Abend eben. Doch daraus wird nichts. Heiße Windböen aus dem Gebirge erfassen uns, Palmenblätter rauschen zu Boden. Irgendwie unheilvoll, denke ich. Es beginnt zu regnen. Mein T-Shirt verfärbt sich. Wir brauchen etwas Zeit, um zu begreifen, dass es Asche ist, die da runterkommt. „Lass uns nach Hause fahren“, sagt meine Freundin. Sie klingt fast panisch. „Ja“, antworte ich. „Der Berg brennt.“
Nicht einmal zehn Monate sind vergangen, seit Portugal seine größte Brandkatastrophe erlebte. Nicht an der Algarve, sondern weiter nördlich. Das Desaster kostete Innenministerin Constança Urbano de Sousa ihren Job. Vor allem aber kostete es mehr als 100 Menschen das Leben. Die Regierung wird nicht müde zu betonen, dass die richtigen Schlüsse gezogen wurden. Es gibt neue Gesetze. Monokulturen in der Landwirtschaft sollen eingegrenzt werden. 2017 waren riesige Flächen mit Eukalyptus Raub der Flammen geworden. Eukalyptus ist eine ölige Pflanze. Sie brennt wie Zunder. Der Berg bei Monchique nun auch. Erste Dörfer sind evakuiert. Schulen und eine Arena in Portimao bieten Geflüchteten Schutz. Als es dunkelt, schauen wir nach Westen in einen glutroten Himmel.
Montagmorgen. Wir sind kurz nach sechs wach. Der erste Blick geht aufs Handy. Fogos.pt ist eine App, die jeden Alarm in Portugal abbildet, dazu Eckdaten der Einsätze. Da steht, wie viele Retter vor Ort sind. Wie viele Fahrzeuge. Die Feuer ploppen als Blasen auf dem Bildschirm auf. Es sind viele. Und ein ganz großes – das bei Monchique.
Sind Flugzeuge im Einsatz, wird es ernst. So viel haben wir schon gelernt. Längst sind wir vernetzt, kommunizieren über Foren mit anderen Bewohnern des Hinterlands. Es sind sehr schlechte Nachrichten, die uns heute am frühen Morgen erreichen. Von 30 Verletzten, von zerstörten Gebäuden. Doch es gibt auch eine gute Botschaft. Sie kommt von Christina Zacker, einer Journalistin aus München, die seit einigen Jahren hier lebt. Die Flammen haben ihren Berg erreicht, sind über den Picota hinweggerollt. Und haben ihr Grundstück verschont. „Das Feuer hat uns übersprungen, sozusagen. Rundherum ist viel kaputt und alles schwarz verbrannt“, sagt Zacker.
Nicht jedem ist es so gut ergangen. Das Feuer hat fast zehn Kilometer zurückgelegt und den Ort Monchique erreicht. Diese Entwicklung war vor zwei Tagen noch nahezu ausgeschlossen worden. Dann kam der Wind. Und Funkenflug. Wir treten in unseren Garten. Brandgeruch liegt in der Luft, obwohl wir 20 Kilometer vom dramatischen Geschehen entfernt sind. Die Sonne kommt gar nicht mehr durch den gelblichen Schleier, der sich über die Täler im Hinterland der Algarve gelegt hat.
Wir müssen an die Küste. Zahnarzttermin. Als wir auf die Landstraße IC 1 Richtung Albufeira fahren, wird das Ausmaß sofort klar. Rechterhand nichts als Qualm. In deutschen Medien lesen wir, dass Touristen nicht in Gefahr sind. In portugiesischen Zeitungen ist an diesem Morgen von 25 Verletzten, einer Frau in kritischem Zustand, von abgebrannten Häusern und Autos die Rede. Viele alte Wohnmobile soll es erwischt haben. In denen leben oft Aussteiger. Auch aus Deutschland. Wir hören, dass die zwölf Löschflugzeuge wegen des dichten Qualms nicht abheben können.
Monchique ist ein zauberhaftes Örtchen mit kleinen Gassen und süßen Cafés. Touristen aus den Bettenburgen rund um Albufeira lenken ihre Mietwagen nur zu gern in die bewaldeten Berge, die Schatten und grandioses Panorama bieten. Moritz aus Berlin ist einer von ihnen. Vor gerade einmal fünf Tagen packt er seinen kleinen Sohn Ivo in den Kindersitz, um zu einem Tagesausflug ins Gebirge zu starten. Jetzt, da die Meldungen aus Monchique immer dramatischer werden, erinnert er sich an eine Begegnung mit einer alten Frau. „In ein paar Tagen brennt es hier oben“, habe sie angesichts der Temperaturen von an die 40 Grad gesagt. Keine Vorsehung. Vielmehr Wissen um die Gefahr. Portugiesen kennen Hitze. Sie kennen Trockenheit. Und die Folgen. An jenem Tag besucht Moritz auch den Gipfel des Foia, 902 Meter hoch. An klaren Tagen reicht der Blick von der spanischen Grenze im Osten bis zur Westküste mit ihren schroffen Felsformationen. Auch der frühere britische Ministerpräsident David Cameron kennt diesen Blick. Er urlaubt gerade in seinem Ferienhaus nahe Monchique. Der Foia dient Fotografen nun dazu, die Dimension des sich über die Berge fressenden Grauens zu dokumentieren.
In den sozialen Netzwerken sind die Bilder zu sehen. Und Videos. Wie das von dem alten, so gemütlich aussehenden Mann, dessen paar Haare akkurat über die hohe Stirn gekämmt sind. Er steht in seinem Garten. Den Blick auf die Flammen gerichtet, die sich unaufhörlich zubewegen. Auf sein Haus. Auf sein Leben. Gestikulierend spricht er in die Kamera. Fragt sich, wo die Helfer bleiben. Auch der alte Mann hat in diesem Jahr strenge Auflagen zu erfüllen. Sträucher entfernen, Bäume kappen. Auflagen nach der Brandkatastrophe 2017. Sie nützen ihm augenscheinlich nicht viel.
Die Feuerwehr leistet rund um die Uhr nahezu Übermenschliches. Mehr als 1200 Einsatzkräfte sind am Montag im Einsatz, etliche kollabieren in der Hitze von 37 Grad. 30 Verletzte sind zu beklagen. An jeder Ecke wird für die Bombeiros gesammelt.
Es ist zehn Tage her, dass wir Monchique besuchten. In einem winzigen Laden einer freundlichen Dame Tomaten kauften. Wir fragen uns, wie es ihr gehen mag an diesem Morgen, da die Behörden den Ort komplett abgeriegelt haben. Von 20.000 Hektar abgebranntem Land spricht Einsatzleiter Victor Paz Pinto. Am Nachmittag schreibt uns Christina wieder vom Picota: „Es sieht nicht gut aus, der Wind hat gedreht.“