Moorrege. Anwohner in Furcht: Bauunternehmer will Baum beschneiden. Debatte um eine Baumschutzsatzung, die es im Ort nicht gibt, ist entbrannt.

„Dieses Grundstück wird Video überwacht!“, schreit es gleich auf mehreren Schildern dem Besucher entgegen. Den unbescholtenen Gast lässt das verwirrt innehalten. Immerhin handelt es sich hier nicht um einen Hochsicherheitstrakt oder das Gelände eines Unternehmens, das seine Geheimnisse schützen muss. Ganz im Gegenteil. Bei dem Grundstück geht es um den Garten von Cordula Seiß. Die Ernährungsberaterin wohnt im kleinen Dorf Moorrege. Ihr Haus steht in einer beschaulichen Siedlung. Auf den ersten Blick sieht es hier sehr friedlich aus. Doch das täuscht. Im Wohnviertel am Siedlerweg tobt ein Kampf – ein Kampf um den Erhalt einer alten Schule, die geplanten neuen Mehrfamilienhäusern weichen soll, und ein Kampf um eine sehr alte und sehr schöne Eiche, um deren Erhalt viele Anwohner fürchten.

Dass es Grund zur Sorge gibt, darin sind sich die Anwohner einig. Das liegt unter anderem daran, dass bereits Bäume, die laut Baugenehmigung „möglichst“ erhalten bleiben sollten, verschwunden sind. „Hier werden einfach Fakten geschafften“, sagt Seiß. Sie steht an der Grenze ihres Grundstücks, zeigt auf den ohne Absprache verschwundenen Gartenzaun, der durch ein Flatterband ersetzt wurde. „Das ist schon beim Anwalt“, sagt Seiß, die daraufhin die Videoüberwachung installierte. „Denn das Gleiche befürchte ich auch für die Eiche.“ Über ihr reckt sich der majestätische Baum, den Experten auf mindestens 200 Jahre schätzen, gen Himmel und streckt sich dabei auch über das angrenzende Grundstück. Das passt dem Moorreger Investor auf der anderen Seite nicht. Laut einem Protokoll eines mit den Anwälten geführten Gesprächs fordert er von Seiß, dass die Eiche um bis zu sieben Meter zurückgeschnitten wird. „Das überlebt der Baum nicht“, sagt sie und beruft sich dabei auch auf ein von ihr in Auftrag gegebenes Gutachten eines Gartenbauunternehmens.

Bürgermeister spricht von Nachbarschaftsstreit

„Wir als Kommune mischen uns nicht in so einen Nachbarschaftsstreit ein“, erklärt Moorreges Bürgermeister Karl-Heinz Weinberg (CDU). Er verrät dann aber doch eine persönliche Einschätzung: „Meiner Ansicht nach ist die Eiche keineswegs gefährdet. Sie könnte doch einfach einen Pflegeschnitt bekommen. Das machen wir hier doch zuhauf.“ Die Eichen-Eigentümerin habe bereits beantragt, den Baum als Naturdenkmal eintragen zu lassen. Dies sei abgelehnt worden, „weil er die Kriterien nicht erfüllt. Ich habe in meiner Gemeinde zig Bäume unter Denkmalschutz. Aber das sind ganz andere Kaliber.“

Jörg Kastrup, Teamleiter in der Unteren Naturschutzbehörde bei der Kreisverwaltung in Elmshorn, sieht das anders. Auch er hat sich vor Ort ein Bild gemacht. Normalerweise würde in so einem Fall die Baumschutzsatzung der Kommune greifen, sagt er. Die Gemeinde Moorrege hat so ein Regelwerk aber nicht erlassen – und ist damit nicht allein. Von 49 Städten und Gemeinden des Kreises gilt in nur elf eine Baumschutzsatzung, die von der Politik und den Kommunen in Kraft gesetzt werden muss – oder eben nicht. In Moorrege kann die Untere Naturschutzbehörde aus diesem Grund den alten Baum nicht schützen: „Wir wurden nicht weiter beteiligt.“

Wedeler erwägen, Baumschutzsatzung zu verschärfen

Viele Städte und Gemeinden im Kreis Pinneberg verfügen über keine Baumschutzsatzung.

In Wedel wird unterdessen gerade über eine Verschärfung der bestehenden Regeln nachgedacht.

Die letzte Fassung, die aus dem Jahr 2008 datiert, umfasst nicht das gesamte Stadtgebiet.

Zudem wird darüber nachgedacht, weitere Baumarten wie etwa Pappeln, Weiden und Birken in die Satzung aufzunehmen.

Es handelt sich dabei um einen Prozess, der unter Beteiligung der Wedeler fortgeführt wird.

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Was Bürgermeister Weinberg als unproblematisch sieht, beurteilt Jörg Kastrup eindeutig anders: „Tatsache ist, dass, wenn ein Großteil von Krone und Wurzeln weggenommen werden, der Baum gefährdet ist – das ist hier zu befürchten.“

Beim betroffenen Bauunternehmen kann man die Diskussion um die Eiche nicht mehr hören. „Wir haben eine gültige Baugenehmigung und halten uns an die rechtlichen Vorgaben“, erklärt Jürgen Olde von der Glinde Bau GbR auf Abendblatt-Anfrage. Es gehe lediglich um einen Kronenschnitt. Er sagt: „Die Eiche ist nur vorgeschoben. Man will nicht, dass wir dort bauen.“ Der abgebaute Zaun sei marode gewesen und werde nach Abschluss der Arbeiten natürlich ersetzt.

Trotzdem nimmt der Widerstand zu. Einige Anwohner und Mitstreiter haben sich zusammengetan. Zur Initiative gehört auch Klaus Petzold aus Uetersen. Der Taekwondo-Trainer hat früher einige Jahre in der Nähe des ehemaligen Schulgeländes gelebt. Die Situation in Moorrege bezeichnet er als verfahren. Petzold, der in Uetersen die Wählergemeinschaft gegründet hat, findet es schlimm, „dass es überhaupt noch Gemeinden ohne Baumschutzsatzung gibt“. Er sieht im Erhalt der alten Eiche ein übergeordnetes Interesse: „Dass die Gemeinde nicht in der Lage ist, solche Bäume zu schützen, ist schon traurig.“

Was auf dem eigenen Grundstück passiere, darin ließen sich viele Einfamilienhaus-Besitzer nicht hineinreden, sagt Jörg Kastrup: „Wir stellen immer wieder fest, dass Grundstücke einfach freigeschlagen werden. Dass nicht überlegt wird, wie sich um bestehende Bäume herumplanen ließe.“ Letztlich werde zwischen Naturschutz und Investitionen abgewägt. Mehr Baumschutz könne zur Folge haben, dass auf einem Grundstück weniger Wohnungen gebaut werden könnten und dadurch ein Gesamtprojekt weniger rentabel werde. Gibt es keine Baumschutzsatzung, sind dem Amt die Hände gebunden, so Kastrup: „Ich kann nur hoffen, dass in Moorrege der Bestand gewährleistet wird.“