Pinneberg. Die Ethnologin Claudia Kalka erforscht im Pinneberg Museum 50 Objekte aus der Sammlung des Rellingers Johannes Görbing.
Die magische Schale ist graviert mit Koransprüchen. „Wer Wasser aus ihr trank, auf den sollten die guten Wünsche oder die heilenden Kräfte übergehen“, sagt die promovierte Ethnologin und Kunsthistorikerin Claudia Kalka. Sie fährt mit den Fingern über die Inschriften. Ihre Hände stecken in weißen Gummihandschuhen. Die kunstvoll gearbeitete Schale stammt aus der Sammlung von Johannes Görbing (1877-1946).
Kalka sichtet in der kleinen „Kunst- und Wunderkammer“ im Pinneberg Museum die Raritäten aus dem Nachlass des Naturwissenschaftlers, von dem auch die umfassende historische Mineralien- und Edelsteinsammlung stammt. Die Objekte brachte Görbing, der in Rellingen im Auftrag der Düngemittelwirtschaft ein Institut zur Bodenkunde leitete, von seinen zahlreichen Reisen mit.
Der Bund fördert das Projekt mit 270.000 Euro
Kalka ist für einen Tag im Pinneberg Museum, um hier die ethnografischen Schätze zu katalogisieren. Vor einigen Jahren führte die Ahrensburgerin angeregt durch den Museumsbund Schleswig-Holstein eine Umfrage unter den dort organisierten Museen durch. Das Ergebnis: 19 Museen des Landes Schleswig-Holstein und in Süddänemark besitzen ethnografische Objekte. „Insgesamt befinden sich dort von der Wissenschaft fast gänzlich unbeachtet etwa 15.500 Objekte und 1000 Fotografien“, sagt die Wissenschaftlerin. Die stammen vornehmlich aus den ehemaligen deutschen Kolonialgebieten wie West- und Ostafrika, Ostasien, Melanesien, Mikronesien und Polynesien.
Um diese Schätze schleswig-holsteinischer Kolonialgeschichte zu heben, taten sich der Museumsverbund Nordfriesland, der eine der größten ethnografischen Sammlungen des Landes besitzt, die Stiftung Seebüll und Claudia Kalka zusammen. Geleitet wird das Projekt von Tanja Hörmann. Außer den beiden Frauen arbeiten noch verschiedene Fotografen mit. Gemeinsam konnten sie erfolgreich einen Forschungsantrag zur Digitalisierung und Veröffentlichung dieser Ethnografica stellen.
Gefördert wird das dreijährige Projekt mit 270.000 Euro vom Bundesministerium für Bildung und Forschung. „Mittlerweile hat sich die Liste der Museen auf 23 erweitert“, sagt Kalka. Auch im Elmshorner Industriemuseum ist die 54-Jährige schon gewesen. Nun ist das Pinneberg Museum an der Reihe.
Auf einer eigens erstellten Seite bei DigiCult werden alle Objekte digitalisiert und veröffentlicht. Neben hochauflösenden Arbeits- und Katalogfotos werden herausragende Objekte in 3D abrufbar sein. Dabei handelt es sich um Objekte, die sich in ihrer Machart, ihrem Zustand oder ihrer Herkunft von anderen Objekten deutlich abheben. Das Projektteam geht davon aus, dass etwa 20 bis 30 Prozent der Ethnografica diesen besonderen Status besitzen.
In den kommenden Jahren sollen die ethnografischen Objekte und Fotografien für Schleswig-Holstein und Süddänemark flächendeckend digitalisiert und veröffentlicht werden. So könnten Verflechtungen verschiedener Kulturen erkannt und für Wissenschaft und Öffentlichkeit nutzbar gemacht werden.
Bisher wurden die ethnografischen Sammlungen in Schleswig-Holstein wissenschaftlich kaum beachtet. Kalkas Aufgabe ist es, den nicht gehobenen Schatz kolonialer Landesgeschichte zu bergen. „Das Projekt möchte neue Impulse für die Erforschung der Landesgeschichte Schleswig-Holstein initiieren und die Museen ermächtigen, ihren Sammlungsschatz für Ausstellungen zu nutzen“, sagt sie.
Görbing war ein liebevoller Sammler
Seit dem 1. Oktober 2017 geht sie nun schon auf „Schatzsuche“. „Das ist für mich wie Dauerweihnachten“, sagt Kalka, die in ihrer Arbeit ihren Traumberuf gefunden hat. In jeder Schublade oder Kiste wartet eine neue Überraschung. Das geht noch bis zum 30. September 2020 so weiter. Dann endet das Projekt.
Im Pinneberg Museum sichtet sie etwa 50 Objekte, darunter Perlen, Armreifen, Keramikkrüge, einen Kochtopf aus Zentralasien, altägyptische Stücke, Dolche und vieles mehr. „Görbing hatte den Blick für Details und die Gegenstände seiner Sammlung mit Bedacht ausgewählt.“ Das erkennt sie in der Qualität der Arbeiten. „Dieses Messer mit dem aufwendig gearbeiteten Griff stammt von den Drusen aus Israel“, sagt die Expertin. Elfenbein und unterschiedliche Steine wurden darin kunstvoll verarbeitet. Arabische Schrift ziert die Klinge.
Ethnologie erforscht fremde Völker
Kalka sichtet, misst aus, notiert die wichtigsten Merkmale und fotografiert jeden Gegenstand. „Die eigentliche Arbeit beginnt anschließend“, sagt Kalka. Dann geht die Forschung in die Tiefe. Aus welcher Region stammen die Objekte, wie alt sind sie, aus welchem Material wurden sie gefertigt und zu welchem Zweck?
Auf der Suche nach Antworten arbeitet Kalka mit Experten auf der ganzen Welt zusammen. „Meine weitesten Anfragen gingen nach Hawaii und Südkorea.“ Einer dieser Experten soll auch die Koraninschriften auf der magischen Schale übersetzen. Denn die Segenssprüche waren individuell, sodass keine Schale der anderen glich.
Lesen Sie morgen: Johannes Görbing –
wer der Mann hinter der Sammlung war