Quickborn. Ein letztes Mal fährt Klaus-Dieter Czerwonka raus und kehrt mit acht vollen Loren zurück. Dann geht nach 150 Jahren eine Ära zu Ende.
Es ist eine historische Zäsur, die sich dieser Tage in Quickborn anbahnt. Die vorletzte Fuhre steht vor der Halle des Torfwerks, um verarbeitet zu werden. Acht Loren voll Torf. 40 Kubikmeter, die 16 Tonnen wiegen. Nächste Woche fährt Klaus-Dieter Czerwonka zum letzten Mal raus ins Quickborner Himmelmoor, um dort das letzte Fuder Torf mit der Lorenbahn einzufahren. „Dann ist hier für immer Schluss“, sagt der Betriebsleiter, inzwischen 73 Jahre alt. 41 Jahre hat er im Quickborner Torfwerk gearbeitet. 150 Jahre industrieller Torfabbau – eine Ära geht zu Ende. Das Quickborner Werk ist die letzte Torffabrik in Schleswig-Holstein.
Als Czerwonka 1977 als Fabrikmeister anfing, gab es noch 15 festangestellte Mitarbeiter und 50 Strafgefangene, die täglich aus Neumünster zum Torfstechen ins Himmelmoor gebracht und wieder zurück transportiert wurden. Die Gefangenen mussten mit der Hand arbeiten. 40 laufende Meter, etwa 30 Kubikmeter – war ihr Tagessoll. Den Torf mussten sie mit der Schaufel 80 Zentimeter tief ausgraben und ihn in Quadersoden einen Meter hoch aufschichten, damit er trocknen konnte. „Wer die doppelte Menge schaffte, bekam eine Packung Tabak in der Woche extra“, erklärt Czerwonka sein Prämiensystem. Schwarzer Krauser zum Selbstdrehen.
Manchmal war den Gefangenen die Arbeit zu schwer. Oder der Drang zur Freiheit so groß, dass sie versuchten abzuhauen. Das misslang fast immer. Einmal merkten die Beamten, dass sie drei Häftlinge bei der Rückfahrt vergessen hatten. Einmal liefen zwei Häftlinge durchs Moor und übers Feld Richtung Kummerfeld. „Ich rief dann die Polizei, sie sollten sich mal in Ellerhoop an die alte B 5 stellen“, sagt Czerwonka. „Dort haben sie sie dann wieder eingesammelt.“
Der gelernte Landmaschinenschmied wohnte ganz in der Nähe in Quickborn-Renzel, wo er auch geboren worden war. Außer ihm gab es anfangs noch den Werkstatt- und den Moormeister, deren Aufgaben Czerwonka aber bald auch übernahm. Kurz darauf zog er mit Frau Monika und den drei Kindern direkt nebenan in das frühere Gefängnis am Himmelmoor, renovierte das Haus in Eigenregie. Heute lebt er mit seiner Frau dort immer noch und hofft, dass die Landesforsten als Eigentümer ihn dort noch länger wohnen lassen, auch wenn Ende August die letzte Arbeit im Torfwerk beendet ist.
24 Kubikmeter Torf reichten für einen Winter
Sein letzter Mitarbeiter Alexander Kindsvater (61) sei aber am schlimmsten betroffen. Der Deutschrusse, der mit seiner Familie vor 25 Jahren aus Sibirien kam, hat dann keine Arbeit mehr.
Die Blütezeit hatte der Torfabbau im Himmelmoor in der Vor- und Nachkriegszeit. Damals arbeiteten auf dem Areal bis zu 2500 Menschen, die sich zu fünft jeweils eine kleine Parzelle von 15 bis 30 Kubikmeter Torf teilten, die sie selbst ausgraben, trocknen und wegschaffen mussten, erzählt Czerwonka. 24 Kubikmeter reichten damals, um ein Familienhaus im Winter zu heizen. Das endete abrupt 1960, als das Heizöl billiger wurde. „Dann wollte keiner mehr diese schwere Aufgabe machen.“ Auch die Gefangenen kamen nach 1990 nicht mehr. Strafgefangene waren seit 1915 eingesetzt worden, im Zweiten Weltkrieg auch Kriegsgefangene.
Der König Christian VII. von Dänemark und Norwegen, der auch Herzog von Schleswig und Holstein gewesen war, hatte die Ränder des Moores in 1000 bis 5000 Quadratmeter große Parzellen an die Bauern der benachbarten Dörfer Bilsen, Borstel-Hohenraden, Hemdingen, Quickborn und Renzel verteilt, damit sie den Torf als Brennstoff nutzen konnten. Darum seien bis heute etwa 250 Hektar des äußeren Moores in Privatbesitz, berichtet Czerwonka. Sie gehören 450 Eigentümern.
In den 1870er Jahren begann der industrielle Torfabbau unter Zuhilfenahme von ersten Maschinen im Zentrum des Moores. Seit 1920 gehört das Torfwerk der Familie Hornung aus Neumünster, jetzt in dritter Generation. Die Abbaufläche – einst 150 von 660 Hektar – gehört seit 2008 den Landesforsten. Die beendeten dann auch die Lorenfahrten, die das Ehepaar Czerwonka, sie auf der Lok, er als erzählender Führer, 25 Jahre lang seit 1982 fast täglich anboten hatte. Bis zu 3000 Menschen fuhren sie Sommer für Sommer durchs Moor. Wenn die Quickborner Bürgermeister auswärtigen Besuch hatten, stand immer eine Fahrt auf dem Programm. Jahrzehntelang wurden jedes Jahr etwa 40.000 Kubikmeter aus dem Moor geholt. Längst nicht mehr mit der Schaufel, sondern mithilfe einer Fräse, die den Torf oberflächig abtrug und dann entlang der Schienen ablagerte, sagt Czerwonka. „Die Maschinen haben wir alle selbst gebaut.“
Qualität ist heute nicht mehr gut genug für Pflanzen
15 Lastwagenladungen gingen da täglich vom Hof. Seit fünf Jahren wird dem dunklen Quickborner Torf zur Hälfte hellerer aus Litauen untergemischt, der dafür eigens nach Schleswig-Holstein gebracht wird. „Unser Torf ist nicht mehr gut genug für die Containerpflanzen“, sagt Czerwonka. Er konnte vor acht Jahren mit Erreichen des Rentenalters einfach nicht aufhören. „Ich wollte hier auch noch die Renaturierung, die Vernässung des Moores, bewerkstelligen“, berichtet er. Seine Aufgabe war noch nicht beendet.
Bis auf 15 Hektar sei die gesamte Fläche inzwischen wieder vollkommen vernässt. Die Natur kann sich erholen. 2,5 Millionen Euro habe das Unternehmen in das Projekt investiert, 200 Hektar Ausgleisflächen erworben.
Das Himmelmoor wird wohl immer mit dem Namen Czerwonka verbunden bleiben. Jeden Tag und jede Nacht, rund um die Uhr, ist er Ansprechpartner für jeden gewesen, musste jährlich 15 bis 20 Brände löschen und Besuchern, die sich verirrt hatten, zeigen, wo sie ihr Auto wiederfinden.
Mit Wehmut aber gehe er nicht. Sondern sagt: „Ich habe hier ja alles erledigt. Es ist nichts mehr zu tun.“