Die Wahlbeteiligungist 2013 landesweit auf einen Tiefpunkt gesunken. Warum das so ist, erklären Experten.

Am 6. Mai ist Kommunalwahl in Schleswig-Holstein. Im Kreis Pinneberg sind dann etwa eine Viertelmillion Menschen – alle EU-Bürger von mindestens 16 Jahren – aufgerufen abzustimmen, wer in den kommenden fünf Jahren ihre Interessen in den Parlamenten von Kreis und Wohnorten vertritt.

Was die Vergangenheit lehrt: Wahrscheinlich wird nicht einmal jeder Zweite von ihnen von dieser Möglichkeit Gebrauch machen. Am 26. Mai 2013, am Tag der bis dato letzten Kommunalwahl, lag die Wahlbeteiligung bei mageren 45,5 Prozent, das waren zwar 0,1 Punkte mehr als 2008, aber noch weniger als im ohnehin niedrigen landesweiten Schnitt. In ganz Schleswig-Holstein sank der Wert von 49,4 Prozent im Jahr 2008 auf 46,7 Prozent bei der letzten Abstimmung – ein Allzeittief.

Die Kommunalwahl, sie scheint die Mehrheit der Bürger nicht zu interessieren. Christian Martin, Professor für Vergleichende Politikwissenschaften an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, bestätigt das im Kern. „Sie gilt als sogenannte Second-order election“, sagt er. Experten übersetzen den Fachbegriff am liebsten mit dem deutschen Wort Nebenwahl. „Das heißt, dass ihr einfach eine geringere Bedeutung beigemessen wird als etwa der Bundestags- oder der Landtagswahl“, sagt Martin.

Prof. Christian Martin
Prof. Christian Martin © pur.pur | pur.pur

Der Wissenschaftler spricht von einem Paradox. „Gerade kommunalpolitische Entscheidungen betreffen die Menschen in ihrer Lebenswelt sehr.“ In der Tat: Was ehrenamtliche Politiker vor Ort in Feierabendsitzungen diskutieren und entscheiden, berührt oft die unmittelbare Nachbarschaft der Bürger. Da mag es um Plätze in Kindertagesstätten gehen, um den Zustand von Schulen, um die Zahl von Parkplätzen und die Höhe von Parkgebühren. Auch um die Frage, ob auf der grünen Wiese gleich nebenan ein Neubaugebiet, ein Gewerbepark oder vielleicht doch lieber ein Naturschutzgebiet entstehen sollte. Ebenso entscheiden Kommunalpolitiker, welche Straßen in welcher Reihenfolge saniert, aus- oder zugunsten von Radwegen zurückgebaut werden und wer für das Ganze wie viel zahlen soll. Apropos zahlen: Grund-, Gewerbe- und Hundesteuer festzusetzen ist beispielhaft auch Aufgabe der Politiker vor Ort.

Parteizugehörigkeit gibt dem Wähler Orientierung

Bei der Tragweite solcher Entscheidungen scheint Berlin, ja scheint sogar Kiel ein ferner Ort zu sein. Und trotzdem taugt die Kommunalwahl offenbar nicht dazu, die Wähler in dem Maße zu mobilisieren, wie es zum Beispiel die Bundestagswahl zu tun vermag. Weil sie unterschätzt, weil sie in ihrer Bedeutung nicht wahrgenommen wird.

Professor Martin: „Die ideologischen Differenzen sind in der Politik vor Ort nicht so groß. Und wir wissen: Je geringer die ideologischen Differenzen sind, desto geringer fällt die Wahlbeteiligung aus.“ Auf Bundesebene spiele die Parteizugehörigkeit eines Politikers eine ganz große Rolle. „Sie dient dem Wähler als Orientierung bei der Frage: Was bekomme ich da eigentlich?“, sagt Martin.

Und das ist ein zweites Paradox: Ausgerechnet die Sacharbeit über Parteigrenzen hinweg, die im Kleinen oft noch vorbildlich funktioniert und die viele Menschen zunehmend auch von der großen Bundespolitik einfordern, lässt die Kommunalwahl in der Empfindung der Wähler zu etwas Kleinem, zu etwas Unbedeutendem werden.

Was genau wird gewählt?

Die Kandidaten bei einer Kommunalwahl sind ehrenamtliche Politiker, die sich in ihrer Freizeit zu Sitzungen treffen und dafür eine Aufwandsentschädigung erhalten. Es kann vorkommen, dass auch Berufspolitiker kandidieren, weil sie zum Beispiel ein Landtagsmandat haben. Das eine hat mit dem anderen aber nichts zu tun, in der Kommunalpolitik sind sie trotzdem Ehrenamtler.

Der Kreistag ist die Volksvertretung für den Kreis Pinneberg. Er hat einen Vorsitzenden, der die Sitzungen leitet, den sogenannten Kreispräsidenten. Auch wenn der Kreistag wie ein Parlament arbeitet, gehört er rechtlich nicht zur Legislative, sondern zur Exekutive. Die Abgeordneten geben mit ihren Beschlüssen vor, was die Kreisverwaltung umsetzen soll. Thematisch fallen beispielhaft der öffentliche Personennahverkehr, die Abfallbeseitigung, der Rettungsdienst, das Gesundheitswesen und die Kfz-Zulassung in die Verantwortung der Kreise.

Ratsversammlungen und Gemeindevertretungen in den Kommunen sind analog zum Kreistag die Volksvertretungen der Kommunen. In Pinneberg, Elmshorn, Wedel, Quickborn, Uetersen, Tornesch, Schenefeld, Barmstedt, Halstenbek, Rellingen und Helgoland geben sie vor, was die Mitarbeiter in den Rathäusern umsetzen sollen. In solchen Kommunen sind die Bürgermeister keine Kommunalpolitiker, sondern Verwaltungsbeamte. In kleineren Dörfern ohne eigenes Rathaus sind die Bürgermeister ehrenamtliche Kommunalpolitiker.

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Hinzukommen mag eine Portion Unkenntnis seitens der Wahlberechtigten. Prof. Utz Schliesky, Jurist und Direktor des Landtags in Kiel, hat im Frühsommer 2014 in einer Serie über Kommunalpolitik in dieser Zeitung auf die Frage nach Gründen für die geringe Wahlbeteiligung geantwortet: „Den meisten Wahlberechtigten ist nicht bekannt, welche weitreichenden Gestaltungsmöglichkeiten vor Ort tatsächlich bestehen.“ Den Anteil jener Wahlberechtigten, die alle ihnen zur Verfügung stehenden Instrumente der Einflussnahme auf kommunaler Ebene kennen und richtig einsetzen könnten, bezifferte er auf seiner Schätzung nach „unter fünf Prozent“.

Außerdem, so Schliesky damals, spiele eine Rolle, dass Wahlen zunehmend personalisiert seien. Jedoch: „Gerade in größeren Kommunen kennen die Wahlberechtigten ihre Kandidaten nicht.“

Bewerbungsschluss für Kandidaten ist der 12. März

Aber was kann die kommunalpolitische Szene tun, um an dieser Situation etwas zu ändern? Politik-Professor Christian Martin rät den Kandidatinnen und Kandidaten, die jetzt zur Wahl antreten, mit den Leuten über kontroverse Themen zu sprechen, ehrlich zu sein, auf die Menschen einzugehen. „Die Wähler wollen sich ernst genommen fühlen“, sagt er.

Die Abendblatt-Regionalausgabe Pinneberg wird ihr Mögliches dazu beitragen, auf die Kommunalwahl einzustimmen. Mit dieser Folge beginnt eine 18-teilige Serie, in der Reporter die politische Lage im Kreis und in allen
49 Kommunen analysieren, einen Ausblick auf die drängenden Themen der Zukunft geben und darstellen, wer die prägenden Köpfe in den Parteien und Wählergemeinschaften vor Ort sind.

Kreisweit dürften sich mehr als 2700 Frauen und Männer um ein Mandat in der Kommunalpolitik bewerben, aber diese Zahl ist noch mit einer gewissen Vorsicht zu genießen. „Bis jetzt sind bei uns 160 Kandidaten für die Kreiswahl gemeldet worden“, sagt der Sprecher der Kreisverwaltung in Elmshorn, Oliver Carstens. Sie wollen einen der zurzeit 49 Sitze im Kreistag ergattern, der zu seinen Sitzungen im Ratssaal in Pinneberg zusammentrifft. „Wir gehen davon aus, dass sich die Zahl der Kandidaten noch erhöhen wird“, sagt Carstens.

Ebenso ist es zurzeit lediglich möglich, die Zahl der Kandidaten für die Volksvertretungen in den Kommunen zu überschlagen. Sie hat in der Vergangenheit bei rund 2500 gelegen. Detaillierte Angaben sind erst möglich, wenn auch die letzten Anmeldungen bei den Wahlleitern eingegangen sind. Bewerbungsschluss hierfür ist der 12. März.