Pinneberg. Mit Winfried Richter wird der landesweit dienstälteste Leiter pensioniert. Der Nachfolger kommt aus Bad Oldesloe.

Winfried Richter lebt ein „zweites Leben“. Das sagt er selbst. Nach einer schweren Krebserkrankung, die Ende 2016 diagnostiziert wurde und wenig Hoffnung ließ, ist der 65-Jährige über den Berg. Einschränkungen, etwa bei der Ernährung, lächelt Richter weg. Und freut sich auf viele Stunden mit der Oboe, die er gerade aus dem Koffer holt. Ein Instrument, das zu erlernen er erst kürzlich begonnen hat. „Gut für die Lunge“, sagt Richter. Klein, handlich und überall einzusetzen.

Manch Autofahrer mag Pinnebergs Musikschulchef schon mal musizierend beobachtet haben. „Wenn ich auf der A 23 im Stau stehe, pack’ ich das Instrument aus und spiele“, sagt Richter, der in der Nähe von Itzehoe lebt. Nun ja, den Stillstand auf der Autobahn muss er sich künftig nicht mehr antun. Das allmorgendliche Reiseziel Pinneberg wird aus dem Navi gelöscht. Nach 32 Jahren endet die Ära des dienstältesten Musikschulchefs im Lande. Am Sonntag wird er mit einem Empfang im Ratssaal verabschiedet. Richter ist keiner, der danach mal wieder reinschneit: „Das Kapitel Pinneberg wird geschlossen.“

Der Abschied – für Richter eine gute Gelegenheit, zurückzublicken. Vieles habe sich in den vergangenen drei Jahrzehnten geändert. Grundlegend. „Die Leute besorgen sich Computerprogramme und halten sich dann für Komponisten, aber das ist nicht mehr als Malen nach Zahlen“, sagt Richter, der einst als Klavierlehrer begann. „Musik muss mehr sein, sie muss den Geist bewegen“, schickt er hinterher. Der Gesellschaft gehe das Bewusstsein für klassische Klänge zunehmend verloren. „Die Pop-Schwemme deckt alles zu.“ Er kann nicht verstehen, dass Menschen 150 Euro für Musical-Tralala ausgeben, aber nicht bereit sind, 15 Euro für ein hochwertiges klassisches Konzert hinzublättern. „Es muss Ziel sein, auch Erwachsene zu begeistern, damit sie das an ihre Kinder weitergeben“, sagt der 64-Jährige.

Geht es um die Nachfrage bei den Instrumenten, hat Winfried Richter manch Wandel erlebt. Derzeit sei eine Rückbesinnung erkennbar. Das in den 80er-Jahren so beliebte Keyboard („Man konnte damit blenden, beim Lernen schnell an anderen vorbeiziehen“) sei heutzutage nicht mehr der Renner. „Geige und Klavier kommen wieder“, sagt Richter. Die Freude darüber verhehlt er nicht.

Richter legte zuletzt viel Wert auf Angebote, die sich an Kinder wenden, die noch nicht zur Schule gehen. Frühkindliche Musikerziehung habe an Bedeutung gewonnen. „Kinder, die nicht singen, können später Emotionen nicht deuten, die Wahrnehmung leidet“, so Richter. Das hätten Studien belegt. An Pinnebergs Musikschule können schon Einjährige sich in sogenannten Piepmatz-Gruppen gemeinsam mit ihren Eltern musikalisch versuchen.

Zu wendig Geld? Dann rief er Heide Simonis an

Eines hat sich bei Pinnebergs Musikschule, die sich in der Rathauspassage ein Stockwerk mit der Volkshochschule teilt, in all den Jahren nicht geändert – der Spagat bei der Finanzierung. Wenn es eng zu werden drohte, rief Richter auch mal die damalige Ministerpräsidentin Heidi Simonis privat an. Geht es ums Geld oder die stets
drückende Raumnot, schaut er gern mal gen Süden. In Bayern etwa herrsche eine ganz andere Kultur vor. Musikschulen genössen dort einen höheren Stellenwert. Die Finanzierung werde je zu einem Drittel von Kommunen, dem Land und Schülern geschultert.

Richter hat Zahlen parat. In Bayerns Musikschulen etwa würden 52 Prozent der Kosten über öffentliche Mittel abgedeckt, in Sachsen-Anhalt gar 67 Prozent. Sogar der Nachbar Hamburg stelle seine Schulen besser auf. Dort würden 67 Prozent der Kosten über Zuschüsse abgedeckt. Das Land Schleswig-Holstein hinke hinterher, wenn es um kulturelle Bildung gehe. Winfried Richter weiß, wovon er spricht. Er war von 2005 bis 2013 Bundesvorsitzender der Verbands der Musikschulen und somit für 100 Institutionen verantwortlich. Auch den schleswig-holsteinischen Landesverband leitete er. Zudem bildet er seit Jahren künftige Musikschulleiter aus. Ein Job, den Richter weitermachen will.

Der neue Chef an Pinnebergs Musikschule, an der 2000 Schüler von etwa 70 Lehrern unterrichtet werden, kommt aus Bad Oldesloe. Alireza Zare wechselt bereits Ende März in die Kreisstadt. Zare nennt gegenüber dem Abendblatt auf Anfrage für seine Entscheidung persönliche und familiäre Gründe. Der Hamburger führte seit zehn Jahren die Bildungseinrichtung in Bad Oldesloe. In diesem Zeitraum verdreifachte er die Schülerzahl von rund 790 auf mehr als 2000. Winfried Richter ist begeistert: „Ich kenne ihn lange, eine gute Wahl.“

Der Abschied von Pinneberg – er könnte kaum treffender gestaltet sein. Es passt zu Winfried Richter, dass er auf ein Solo verzichtet. Vielmehr soll ein langjähriger Wegbegleiter ihm helfen. Mit Wolfgang J. Domeyer assistiert der Chef der Pinneberger Volkshochschule bei der Moderation des Empfangs im Rathaus. Wer die beiden kennt, der weiß, dass es ein unterhaltsames Zwiegespräch werden dürfte – am Sonntag, 25. Februar, ab 11 Uhr im Ratssaal. „Ich freue mich, wenn viele ehemalige Schüler kommen“, sagt Richter. Und legt die Oboe vorsichtig in den Koffer zurück.

Und auch der Kollege aus Elmshorn sagt Tschüs

Michael Petrusch wird nach mehr als 25 Jahren als Leiter der Musikschule Elmshorn in den Ruhestand verabschiedet.
Michael Petrusch wird nach mehr als 25 Jahren als Leiter der Musikschule Elmshorn in den Ruhestand verabschiedet. © HA | Ronen Weisman

Michael Petrusch verabschiedet sich nach mehr als 25 Jahren als Leiter der Musikschule Elmshorn in den Ruhestand. Der 64-Jährige geht ein Jahr vor seinem regulären Renteneintritt, weil er nach eigenen Worten wieder regelmäßig Sport treiben (Schwimmen und Joggen) und selbst Musik machen möchte. „Ich habe mir etwas Freizeit gekauft“, sagt Petrusch, der seit 1988 als Lehrer an der Musikschule unter anderem das Hauptfach Konzertgitarre unterrichtete und im September 1992 die Leitung der Schule übernahm.

Seitdem lernten etwa 6000 Schüler bei ihm, Saiteninstrumente zu spielen. Seinem Wirken ist es zu verdanken, dass die Musikschule ein eigenes Gebäude bekam. Dort rief Petrusch, der in Hamburg-Iserbrook lebt, viele Workshops ins Leben, gründete ein Gitarrenorchester, für das er arrangierte und komponierte und steigerte die Schülerzahlen von 400 auf derzeit 900. Seine Nachfolge wird der langjährige Kollege Ronen Weisman übernehmen.

Petrusch zu Ehren veranstaltet die Musikschule am Sonnabend, 24. Februar, von 15.30 Uhr an ein öffentliches Abschiedskonzert in der Stiftskirche, Kleine Gärtnerstraße, bei freiem Eintritt. Die Palette der Komponisten reicht von Vivaldi über Friedrich Kuhlau und Edvard Grieg bis Leonard Cohen.