Pinneberg. Zu Lebzeiten blieb Sophie Wörishöffer eine Unbekannte. Der Verlag verschleierte, dass eine Frau Autorin der auflagenstarken Bücher war.
Eigentlich müsste sie viel bekannter sein. Dass sie es nicht ist, liegt am Zeitgeist und an den besonderen Umständen, unter denen Sophie Wörishöffer gearbeitet hat. Die Frau schrieb viele Abenteuerromane, die insbesondere bei Jungen beliebt waren. Das war im 19. Jahrhundert aber noch äußerst ungewöhnlich. Deshalb veröffentlichte sie ihre Bücher nur unter der Abkürzung „S. Wörishöffer“ oder sogar unter Pseudonym. Ihr großer Erfolg brachte ihr den Spitznamen „Karl May von Altona“ ein. Vor 180 Jahren wurde sie geboren.
S. Fischer, A. Harder, W. Höffer, K. Horstmann, W. Noeldechen sind einige der Namen, unter denen ihre Werke auf den Markt kamen. Sie hatte sich mit ihrem Verlag Velhagen & Klasing auf diese Strategie geeinigt. Frauen, die Bücher schrieben, waren damals noch ein Politikum. Auch die englischen Schwestern Charlotte, Emily und Anne Brontë wählten für ihre Bücher im 19. Jahrhundert noch männliche Pseudonyme (Currer, Ellis und Acton Bell). Etwas weiter wagte sich damals ihre Zeitgenossin Jane Austen vor, ihre Bücher trugen immerhin schon den Autorennamen „by a lady“.
Ihr erstes Buch hieß „Aus den Erfahrungen einer Hausfrau“
Wörishöffer wurde als Sophie Andresen in Pinneberg geboren. Ihr Geburtshaus stand an der Straße Damm, existiert heute aber nicht mehr. Ihr Vater, ein Anwalt, starb, als sie erst 13 Jahre alt war. Die Mutter zog danach mit ihren drei Kindern nach Altona. Sophie heiratete im Alter von 28 Jahren, damals nannte man so etwas ein „spätes Mädchen“, den Architekten Albert Fischer Wörishöffer und bekam mit ihm einen Sohn. Im Jahr 1870 starben Mann und Sohn. Ein Jahr später bekam sie einen unehelichen Sohn und lebte zunächst nahezu mittellos. Um Geld zu verdienen, begann sie, die Cousine des Lyrikers Detlev von Liliencron, zu schreiben. Kleine Artikel für Zeitschriften zuerst, thematisch war sie noch weit von der späteren Erfolgsspur entfernt. Ihr erstes Buch hieß „Aus den Erfahrungen einer Hausfrau. Ein Weihnachtsgeschenk für Deutschlands Bräute“. Trotz dieses Titels muss jemand in ihrem Verlag ihr Talent erkannt haben. Man gab ihr ein Jugendbuch von Max Bischof zur Überarbeitung, das bislang nicht gut angekommen war. Das Ergebnis war „Robert des Schiffsjungen Fahrt und Abenteuer auf der deutschen Handels- und Kriegsflotte“. Es erschien 1877, wurde ihr erster großer Erfolg und beginnt in ihrer Geburtsstadt:
„In dem holsteinischen Flecken Pinneberg stand vor Jahren am Ufer der Pinnau das kleine einstöckige Häuschen des Schneidermeisters Kroll. Ein Gemüsegarten erstreckte sich vom Hof bis zum Wasser herab, und mehrere baufällige Scheunen beherbergten unter ihren Ziegeldächern allerlei solche Tiere, welche auf dem Lande die meisten Leute selbst zu halten und zu schlachten pflegen, nämlich Schweine, Hühner und Tauben; außerdem aber auch noch zu anderweitigen Wirtschaftszwecken eine Kuh und zwei Ziegen. Daneben fand sich ein Holzstall, ein Heuboden, eine Geschirrkammer und ein kleiner ausgemauerter Raum, den einige zehn bis zwölf Kaninchen bewohnten. Diese letzteren gehörten Robert, dem fünfzehnjährigen Sohn des Meisters, der überhaupt als Oberaufseher und Proviantmeister für die sämtlichen Bewohner des Hofes von seinem Vater angestellt war, obgleich er freilich dies Amt nicht immer zur Zufriedenheit des Alten verwaltete.“
Robert fährt später zur See und erlebt auf 680 Seiten viele packende Abenteuer. Am Ende kehrt er kurz zu seiner Mutter nach Pinneberg zurück.
Ihre weiteste Exkursion führte sie nur bis nach Malente
Das Buch kam gut an, der Verlag wollte mehr und pries ihre Bücher mit den Worten „gute Stoffe, geschichtlich-patriotisch“ an. Nur preisgeben, wer diese Bücher schrieb, wollte er nicht. Wörishöffer beschrieb überwiegend Protagonisten, die Abenteuer in exotischen Ländern erlebten. Sie tat das auf einem durchaus gehobenen Niveau, verband erfolgreich Spannung mit Wissen. Wörishöffers Texte sind dabei durchaus nationalistisch-chauvinistisch verschwurbelt. Es geht um Eskapismus, Heimatliebe und Fernweh. Auf ihre eigenen Lebens- und Reiseerfahrungen konnte Wörishöffer dabei nicht zurückgreifen. Ihre weiteste Exkursion führte sie nur bis nach Malente. Aber der Verlag schickte ihr Bücherkisten mit Hintergrundinformationen.
Dabei konnte auch schon mal passieren, dass ihr ein handwerklicher Fehler unterlief. So taucht in einem ihrer Texte ein Tiger in Afrika auf. Der Verlag reagierte prompt und schickte ihr eine Ausgabe von „Brehms Tierleben“. Außerdem sah sich die Autorin bei Hagenbeck einige der berühmt-berüchtigten „Völkerschauen“ an.
In ihrer Arbeitsweise ähnelte Wörishöffer durchaus dem Kollegen Karl May, dessen hohe Auflagen sie fast erreichte. Daher stammte auch ihr Spitzname, auch wenn „Karla May von Pinneberg“ mindestens so angemessen gewesen wäre. Erst in den 1960er-Jahren wurde das Geheimnis gelüftet, dass „S. Wörishöffer“ nicht für einen heldenhaften „Siegfried“ stand. Ihre Bibliografie umfasst viele Titel. Die Bücher sind zum Teil liebevoll mit farbigen und schwarz-weißen Illustrationen versehen und haben einen festen Einband. Zu Lebzeiten der Autorin wurden sie für neun Reichsmark verkauft, dem entspräche heute der zehnfache Wert in Euro.
Die Bücher sind im Lauf der Jahre immer wieder aufgelegt worden. Erst im vergangenen Jahr erschien eine umfangreiche Kindle-Edition, also eine Ausgabe für einen E-Book-Reader. Ihre Bücher wurden auch ins Schwedische, Dänische und Niederländische übersetzt.
Gestorben ist Sophie Wörishöffer am 8. November 1890 in Altona. Obwohl sie eine so populäre Autorin war, ist über ihr Leben über die Rahmendaten hinaus nur wenig bekannt. Die Möglichkeiten für alleinerziehende Frauen, zu Wörishöffers Zeiten Geld zu verdienen, waren rar gesät. Die Pinnebergerin soll immerhin 2000 Reichsmark pro Buch bekommen haben, was heute knapp 20.000 Euro entspricht. Das offenbar einzig erhaltene Foto von ihr zeigt eine erschöpft aussehende Frau, die ein Kreuz an einer Schmuckkette trägt.
Im Pinneberg Museum sammelt man ihre Bücher, zurzeit sind es etwa 20 verschiedene Ausgaben. Museumsleiterin Ina Duggen-Below, die auch vom vergeblichen Versuch zu erzählen weiß, eine Straße der Kreisstadt nach ihr zu benennen, bekommt voraussichtlich Nachschub. Brillenmogul Günter Fielmann unterstützt mit seiner Stiftung das Museum und sorgt dafür, dass weitere Ausgaben erworben und ausgestellt werden können. Es müsste doch möglich sein, Wörishöffer in ihrer Geburtsstadt zu mehr zu machen als nur zu einem historischen Geheimtipp.