Elmshorn. Harald Kirschninck hat alle Gräber des jüdischen Friedhofs und Biografien von 1425 Juden seiner Heimatstadt erforscht.

Jeden Erscheinungstag bis Weihnachten drucken wir ein Stück Weihnachtsgeschichte (nach dem Lukas-Evangelium) und lassen uns vom Text – oft ein bisschen um die Ecke gedacht – zu interessanten Gesprächspartnern leiten. Die öffnen uns ihre Türen, erzählen aus ihrem Leben und berichten, was sie mit Weihnachten verbinden.

Bevor Harald Kirschninck den jüdischen Friedhof in Elmshorn betritt, setzt er eine Kippa auf. Die Kopfbedeckung ist üblich für Männer an Gebetsorten wie der Synagoge oder auf jüdischen Friedhöfen. Sie signalisiert Bescheidenheit vor Gott. Kirschninck, Archivar der jüdischen Gemeinde in Elmshorn, respektiert den Brauch. Seit 40 Jahren erforscht er die Geschichte der Juden in der Stadt. Für den 63-Jährigen eine Lebensaufgabe.

„Ich helfe bei der Restaurierung des jüdischen Friedhofs“, sagt der Elmshorner, während er an Reihen von Grabsteinen vorbeigeht. Einige sind verwittert, die Inschriften kaum noch zu entziffern. Auch mit der finanziellen Unterstützung durch die Stadt Elmshorn soll der denkmalgeschützte jüdische Friedhof als geschichtliches Zeugnis für die Nachwelt erhalten werden. Die 1685 angelegte aschkenasische Ruhestätte ist nach dem sephardischen Friedhof in Glückstadt der zweitälteste in Schleswig-Holstein. Fast 170 Grabmale oder ihre Fragmente, die frühesten wohl noch aus dem späten 17. Jahrhundert, die neuesten aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, stehen hier.

Wo Grabsteine fehlen, wurden erste Gedenktafeln angebracht

© HA | privat

Kirschninck weiß dank eines historischen Dokuments, wo auf dem 1835 Quadratmeter großen und an der Feldstraße gelegenen Areal Grabsteine fehlen oder verrückt worden sind. Kürzlich wurden anstelle eines Steins erste kleine Gedenktafeln mit Namen und Jahreszahlen der Toten aufgestellt. Weitere sollen folgen. Der Friedhof, der sich ab 1953 im Besitz der jüdischen Gemeinde Hamburg befand, gehört seit 2004 wieder der jüdischen Gemeinde Elmshorn. Als Eigentümerin ist sie finanziell nicht in der Lage, die Mängel zu beheben, und auf Spenden angewiesen. Auch die Kohen-Grabsteine in der ersten Reihe sind wieder aufgerichtet. Zu erkennen sind sie an den zwei Händen über der hebräischen Schrift. „Den jüdischen Priestern war es nach dem Reinheitsgesetz nicht erlaubt, den Friedhof zu betreten“, sagt Kirschninck. Aus diesem Grund befindet sich ihre Grabreihe direkt an der Straße.

Kirschninck hat die biografischen Daten von 1425 Juden seiner Heimatstadt erfasst. „Das Thema Juden in Elmshorn bearbeite ich seit meinem ersten Staatsexamen“, sagt der Historiker. Kirschninck studierte an der Universität Hamburg die Fächer Chemie und Geschichte für das Höhere Lehramt, wäre gern Lehrer geworden. „Nach dem zweiten Staatsexamen gab es einen Einstellungsstopp für Lehrer, und so arbeitete ich fast 25 Jahre als Pharmareferent“, sagt er. 2010 machte er sich als Heilpraktiker selbstständig.

Einige Grabsteine weisen hebräische Inschriften auf
Einige Grabsteine weisen hebräische Inschriften auf © HA | Anne Dewitz

Von Zeitzeugen und deren Angehörigen erfuhr er viel Zuspruch für die Aufarbeitung der jüdischen Geschichte. Mit einigen verbinden ihn Freundschaften. Mittlerweile sind sieben Bücher, eine große Anzahl von Aufsätzen und Artikel über dieses Thema entstanden. Im Frühjahr veröffentlichte Kirschninck die beiden Bände „Was können uns die Gräber erzählen?“. Hierbei handelt es sich um alle Biografien der auf dem jüdischen Friedhof bestatteten Elmshorner Juden und deren Nachkommen. „Da der jüdische Friedhof für Beerdigungen geschlossen ist, stellen diese Werke etwas Besonderes dar. Es wurden Erinnerungen und Andenken aller bekannten bestatteten Juden für die Nachwelt erhalten“, sagt er. Im November erschien das Buch: „Der Zug ohne Wiederkehr - Deportationen jüdischer Mitbürger von Elmshorn“.

Mit der Jüdischen Gemeinde feiert er Chanukka

Warum haben die Juden nach der Reichspogromnacht bis zuletzt mit ihrer Auswanderung gewartet? „Die Gründe liegen vor allem in der Verwurzelung mit der alten Heimat Deutschland, für die sie auch im Ersten Weltkrieg gekämpft hatten. So nahmen am Weltkrieg 32 Elmshorner Juden teil, von denen sechs fielen und vier besondere Aus­zeichnungen erhielten“, sagt er. „Die jüdischen Mitbürger konnten sich bei aller Bedrohung und Schikane nicht aus­malen, was sie noch zu erwarten hatten.“ Hinzu kamen Unsicherheiten, die mit einer Auswanderung zusammenhin­gen. Was sollten sie in Ländern, deren Sprache und Kultur ihnen fremd war? Waren sie nicht viel zu alt für einen Neuanfang im Ausland?

Und jedermann...

... ging, dass er sich schätzen ließe, ein jeglicher in seine Stadt. Da machte sich auch auf Joseph aus Galiläa, aus der Stadt Nazareth, in das jüdische Land zur Stadt Davids, die da heißt Bethlehem. Fortsetzung folgt

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Seit 2003 gibt es wieder eine jüdische Gemeinde in Elmshorn, gegründet von der ehemaligen Lehrerin Alisa Fuhlbrügge, der heutigen Vorsitzenden. Die Gemeinde zählt etwa 60 Mitglieder. Kirschninck fühlt sich ihnen verbunden und wird auch regelmäßig zu den jüdischen Festen eingeladen, so auch zum Lichterfest Chanukka, das die Gemeinde am Wochenende feiert. Es ist, wie Weihnachten auch, ein Fest, an dem Familien zusammenkommen. Gemeindefeiern sind üblich, die Kinder bekommen Geschenke und Süßigkeiten. „Es wird gemeinsam gegessen“, sagt Kirschninck. Auf den Tisch kommen vor allem in Öl gebackene Speisen wie Sufganiyah (Krapfen) oder Latkes (Kartoffelpuffer) und weitere Spezialitäten der jüdischen Küche. Nach dem Anzünden der Lichter werden Maos Zur und weitere Chanukkalieder gesungen.