Wedel . Anwohner reichen erneut Klage gegen Aufsichtsbehörde ein. Der Anlass ist der Partikelregen aus dem Kraftwerk Wedel.
Auf den ersten Blick ist nichts zu sehen. Doch wer die Motorhaube von Suzanne Bächler genauer studiert, erkennt Verfärbungen im Autolack. Genau um diese geht es im Streit zwischen den Anwohnern des Wedeler Kraftwerks sowie dem Betreiber Vattenfall und der Aufsichtsbehörde. So spricht die eine Seite von massiven Verätzungen des Autolacks, verursacht durch den seit etwa einem Jahr auftretenden Partikelausstoß aus dem Kraftwerk – während die andere Seite sich auf den Standpunkt stellt, dass die Partikel keine bleibenden Schäden anrichten. Der Streitfall landet nun vor Gericht. Am Freitag reichte die Anwohnerinitiative Klage beim Oberverwaltungsgericht in Schleswig ein, und zwar auf Abstellen des Partikelregens.
Aufsichtsbehörde nimmt Kritik gelassen zur Kenntnis
Im Fokus der Anwohner ist dabei nicht Betreiber Vattenfall, sondern die Aufsichtsbehörde. Aus Sicht der Bürgerinitiative tut diese deutlich zu wenig dafür, dass der Partikelregen aufhört. Dabei erließ die Behörde mehrere Anordnungen, forderte vom Betreiber verschiedene Maßnahmen ein. Das Problem: Trotz zahlreicher Umbauten und Nachjustierungen im Kraftwerk gab es auch nach der Sommerrevision wieder zahlreiche Partikelausstöße – samt ihrer Folgen.
So berichten die Anwohner von verdreckten Terrassen, beschädigten Wintergärten und eben den Lackflecken auf den Autos. „Wir sind betroffene Bürger. Hier wird alles mögliche verätzt, und wir müssen die Nachweise erbringen und die Beseitigung durch Vattenfall mühsam einfordern. Wozu gibt es denn die Aufsichtsbehörde?“, fragt Kerstin Lueckow, Sprecherin der vor Jahren gegründeten BI „Stopp! Kein Mega-Kraftwerk in Wedel“.
Es ist nicht das erste Mal, dass die BI die Aufsichtsbehörde in Sachen Kraftwerk kritisiert und sogar den Klageweg beschreitet. Ob die Debatte um nächtliches Brummen und lärmende Schiffsverladungen oder die Baugenehmigung für das einst geplante Gaskraftwerk: Die BI schlug nach zahlreichen Auseinandersetzungen immer den Klageweg ein.
Umso gelassener nimmt man es in Kiel zur Kenntnis. „Wir haben als Behörde eine Anordnung erlassen. Wenn seitens der Anwohner Zweifel daran bestehen und das vor Gericht geklärt wird, ist das im Rechtsstaat ein Weg, der offensteht“, kommentiert Nicola Kabel, Sprecherin des Kieler Umweltministeriums. Sie verweist auf zahlreiche Gutachten, die im Zusammenhang mit dem Partikelregen seit dem ersten Auftreten von der Behörde eingefordert wurden. Zudem wurde die Anordnung zur wirksamen Minderung der Partikelemissionen kürzlich verschärft und sieht nun folgendes vor: Vattenfall muss demnach dafür sorgen, dass die Partikel nicht auf Oberflächen wie Autokarosserien und Glasflächen anhaften oder nur mit einem erheblichen beziehungsweise professionellen Reinigungsaufwand entfernt werden können. Zudem musste Vattenfall einen Nachweis dafür durch einen Feldversuch erbringen. Das ist geschehen.
Bürgerinitiative
Der TÜV erklärt auf 54 Seiten den fünftägigen Versuch, bei dem entnommene Partikel mit Wasser auf Motorhauben aufgebracht und unter einem überdachten Unterstand gelagert wurden. Das Ergebnis laut TÜV: Die aufgetretenen Schäden ließen sich mit handelsüblicher Lackpolitur entfernen. Aus Sicht von Vattenfall und Aufsichtsbehörde kann es somit weitergehen.
Für Anwohner wie Suzanne Bächler ist das ein Unding. „Es ist doch niemanden zuzumuten, jeden Tag sein Auto zu begutachten und es gegebenenfalls zu polieren“, sagt sie. Bei ihrem VW-Kombi entdeckte sie die Schäden erst nach einem zweiwöchigen Urlaub. Sie führt sie auf einen Partikelausstoß zurück, was auch ein beauftragter Kfz-Sachverständiger für möglich hält. Er bescheinigt ihr zudem tiefe Verätzungen im Lack. Eine Ausbesserung kommt laut Gutachter bei dem zwölf Jahre alten Wagen einem Totalschaden gleich. Vattenfall hat bislang für die Reinigung der Wagen gezahlt, für den attestierten Lackschaden will man aber nicht aufkommen.
Bächler gibt zu, dass es für sie nicht allein nur um dem Lackschaden geht. „Ein Auto ist für mich ein Gebrauchsgegenstand. Aber es steht doch symbolisch dafür, was hier in der Luft ist. Auf der Motorhaube wird sichtbar, was sonst unbemerkt im Garten oder in der Lunge landet“, erklärt sie.
Die Anwohner fordern daher, dass der Partikelregen unverzüglich abgestellt wird. Notfalls müsse das 60 Jahre alte Steinkohlekraftwerk, das voraussichtlich bis 2025 am Netz bleiben soll, abgestellt werden. Einen Antrag auf Stilllegung hat die Initiative schon bei der zuständigen Aufsichtsbehörde gestellt. Wer im Streit um die Partikel nun Recht hat, wird am Ende das Gericht klären müssen.