Barmstedt. Am 19. November 1721, kurz nach dem Bau der Kirche, stirbt Christian Detlev Rantzau durch eine Kugel. Der Fall wird nie aufgeklärt.

Bis heute ist der wohl älteste bekannte Mordfall im Kreis Pinneberg nicht aufgeklärt. Ein Gedenkstein im Rantzauer Forst erinnert an das Verbrechen vom 19. November 1721, als den bei seinen Untertanen sehr unbeliebten Grafen Christian Detlev Rantzau plötzlich eine aus dem Unterholz abgefeuerte Kugel tödlich traf. Sein jüngerer Bruder Wilhelm Adolf Rantzau wurde fünf Jahre später wegen angeblicher Anstiftung zur Tat zu lebenslanger Kerkerhaft verurteilt. Und das dänische Königreich verleibte sich die Grafschaft Rantzau ein, die damit aufhörte zu existieren.

Die Autoren: Pastorensohn Michael Theilig (r.) und Claus-Peter Jessen, Kirchengemeinderat
Die Autoren: Pastorensohn Michael Theilig (r.) und Claus-Peter Jessen, Kirchengemeinderat © HA | Burkhard Fuchs

Diese Geschichte ist auch eng verwoben mit der der Barmstedter Heiligen-Geist-Kirche. Denn ausgerechnet auf dem Höhepunkt der Krise der Grafschaft Rantzau wurde das alte, wohl 800 Jahre alte und verfallene Gotteshaus durch ein neues, dreimal so großes ersetzt. Wilhelm Adolf Rantzau hatte es kurz vor seiner Verurteilung bauen lassen. Die Autoren Claus-Peter Jessen und Michael Theilig beschreiben die Zusammenhänge packend, ja geradezu mitreißend. Ihr Artikel ist jetzt im aktuellen Jahrbuch des Heimatverbands erschienen.

„Das ist ein bis heute nicht richtig aufgeklärter Kriminalfall, der mit einem Justizirrtum endet“, erklärt Autor Jessen den Reiz dieser merkwürdigen Geschichte in seinem Heimatort, die als Theaterstück und Lesung auch heute noch das Publikum begeistere. Im Grunde zeige sich hier an einem historischen Fall, wie konsequent schon damals Machtansprüche durchgesetzt werden konnten. Denn die Herrschaft des letzten Rantzauer Grafen war geprägt von Streitigkeiten mit dem dänischen König Christian V.

Der später ermordete Graf Christian Detlev war der Enkel des ersten Reichsgrafen Christian zu Rantzau. Er trat das Erbe seines Vaters Detlev zu Rantzau an, nachdem dieser 1697 auf dem Gut Drage gestorben war. Die Reichsgrafen Rantzau nutzten von 1650 bis 1726 das Schloss in Barmstedt als landesherrliche Residenz. Sie lebten aber außerhalb der Grafschaft in Breitenburg und auf dem Gut Drage bei Itzehoe.

„Die Grafen waren durch das kaiserliche Privileg wie große Fürsten berechtigt, Münzen zu prägen, Menschen in den Adelsstand zu erheben und die Halsgerichtsbarkeit auszuüben“, schreiben die Autoren. So konnten sie nach Belieben Abgaben und Steuern erheben und die Untertanen zu Hand- und Spanndiensten verpflichten. Sie verfügten auch über Stimme und Sitz im Reichstag und waren weder dem dänischen König noch den holsteinischen Herzögen in Gottorf lehnspflichtig.

Die Herrschaft der Rantzaus währte nur 76 Jahre lang

Ihr Begründer Reichsgraf Christian Rantzau galt deshalb als einer der reichsten und bedeutendsten Männer im dänischen Königreich. Allerdings währte ihre Macht und Herrschaft nur 76 Jahre und drei Generationen lang.

Das Jahrbuch

Das Jahrbuch 2018 enthält zwei Dutzend Aufsätze über historische Ereignisse, Gebäude und Sozialgeschichte. So werden neben der Geschichte der Barmstedter Kirche auch die Entwicklung des Industriemuseums in Elmshorn, der Aufstieg der NSDAP bei den Wahlen 1930, der „Zigeuner-Mord“ beim Stoppelmarkt, das Leben einer Pendlerfamilie in den 60er-Jahren in Tornesch und die Geschichte der Dingstätte in Pinneberg beschrieben.

Zu kaufen ist das 240 Seiten umfassende Werk, in dem 18 Autoren geschrieben haben, beim Heimatverband des Kreises, Postfach 1536, in 25405 Pinneberg. Es kostet 15 Euro plus Porto. Auch ältere Jahrgänge bis 1968 gibt es noch.

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Christian Detlev wurden seine sexuellen Neigungen und seine unerbittliche Regentschaft schließlich zum Verhängnis. Immer wieder ließ er willkürlich Bauern verhaften und einsperren, die ihm ihren Gehorsam und Tributzahlungen verweigerten. Die Wende, die dann auch zum Bau der prächtigen neuen Heiligen-Geist-Kirche in Barmstedt führte, wurde im Jahr 1715 eingeleitet. Graf Christian Detlev wurde in Berlin festgesetzt und verhaftet. Ob seine Homosexualität der Grund dafür war, die damals als Sodomie und Verbrechen galt, oder ein kompromittierendes Heiratsversprechen seiner Cousine Constantia von Cosel, einer Mätresse des Sachsenkönigs Friedrich August des Starken, die er in Händen hielt, blieb ebenfalls ungeklärt, so Autor Theilig.

Fakt ist, dass Christian Detlev nun fünf Jahre lang inhaftiert blieb und sein Bruder Wilhelm Adolf Rantzau die Gunst der Stunde nutzte, die Grafschaft zu übernehmen und die neue Kirche zu planen und errichten zu lassen. Diese wurde am selben Standort wie die vorherige romanische St. Margarethenkirche mit einem Saalbau im Barockstil mit Tonnengewölbe erbaut. Sie bot mit ihren 420 Quadratmetern bis zu 1000 Gläubigen Platz und wurde fast ausschließlich aus Spenden finanziert. Davon zeugen noch heute die Namen von drei Dutzend Stiftern, die auf der Empore der Kirche aufgeführt sind. Kurz nach ihrer Einweihung zu Pfingsten 1718 schlug sogar der Blitz in den 53 Meter hohen Kirchturm ein, der im Volksmund Schusterahle genannt wird, in Erinnerung an das beliebteste Handwerk Barmstedts. Das Feuer konnte schnell gelöscht werden.

Der Kirchenbauer-Graf Wilhelm Adolf ließ sich zudem einen imposanten Patronatsstuhl in die Kirche einbauen, eine mit Fenstern geschlossene Loge oberhalb der Sitzbänke, die mit einer Heizung ausgestattet war. Ein Gemälde an diesem Grafenstuhl stellt ein Schiff in höchster Seenot dar, das im Meer zu versinken droht – für die Autoren eine Allegorie an die schwere Zeit für die Grafschaft, die ja auch dem Untergang geweiht war.

Als der rechtmäßige Graf Christian Detlev dann 1720 wieder aus der Haft entlassen wurde, stürzte er seinen jüngeren Bruder vom Grafenstuhl, bis er dann kurz darauf selbst gemeuchelt wurde.

Die bald 300 Jahre alte Kirche stellt heute noch den Mittelpunkt der mit 10.341 Mitgliedern größten Gemeinde im Kirchenkreis Rantzau-Münsterdorf dar. Sie ist in den vergangenen fünf Jahren für 1,3 Millionen Euro aufwendig restauriert worden. Dabei sind auch 800 Jahre alte Grundmauerreste der ursprünglichen romanischen Kirche zum Vorschein gekommen. Anders als im 18. Jahrhundert, als nur derjenige, der sich und seiner Familie einen Sitz erkauft hatte, dort Platz nehmen durfte, herrsche dort heute freie Platzwahl auf beheizten mit Kissen gepolsterten Sitzbänken, schreiben Jessen und Theilig. „Die gute alte Zeit ist zum Glück auch auf diesem Gebiet vorbei.“