Haselau. Viele Menschen sind beruflich im Kreis Pinneberg unterwegs. Ihre Geschichten erzählen wir hier. Heute: Heike Grote im Brötchenmobil.

Zwei, drei kurze Huptöne, dann noch zweimal „düüt“: In der Haseldorfer und Seestermüher Marsch kennen die Menschen dieses Signal. Heike Grote ist mit ihrem Bäckerwagen im Anmarsch. Kaufmannsläden, die Post und Kneipen haben im Laufe der vergangenen Jahre aufgegeben. Die Nahversorgung ist immer schlechter geworden für die Menschen in den kleinen Dörfern abseits der großen Verkehrswege. Doch die Bäckerei Grote aus Haselau beliefert die Marschmer weiterhin mit den Grundnahrungsmitteln.

„Das ist eine schöne Aufgabe“, sagt Heike Grote. „Mit vielen hier bin ich per Du.“ Die Menschen erwarten sie häufig bereits. So wie Ute Farr aus Hetlingen, wo der Bäckerwagen Straße für Straße abklappert. Für die Malerin und Kunstlehrerin ist diese Einrichtung Teil der Hetlinger Identität. „Das gehört einfach zum Dorf“, sagt sie. Einmal in der Woche kauft sie drei Brote, immer die gleichen. Die Bäckersfrau hat einige Kunden wie Ute Farr, die eine dauerhafte Bestellung haben. Viele Kunden kaufen den Vorrat für die ganze Woche.

Die Stationen

Den Bäckerwagen steuert Heike Grote donnerstags ab Mittag durch die Hetlinger Straßen. Nachmittags steht sie auf dem Platz vor dem Marschtreff an der Hauptstraße.

Am Freitagvormittag fährt sie durch Haseldorf und Haselau. Sonnabends ist noch mal Haseldorf dran, weiter geht es über Neuendeich Richtung Elmshorn durch Seester und Seestermühe.

1/2

Wegen des begrenzten Raums im Wagen gibt es weniger Kuchen als in dem Geschäft an der Haselauer Deichstraße. Macht nichts: Die Backwagenkunden zeigen keinerlei Interesse an Neuerungen. „Im Laden haben wir zum Beispiel Kartoffelbrot oder Dinkelbrötchen erfolgreich ins Sortiment aufgenommen“, sagt Heike Grote. Die zumeist älteren Kunden unterwegs wollen jedoch nichts ausprobieren, bleiben lieber bei den teilweise seit Jahrzehnten bekannten Produkten.

Älteren Menschen, die nicht mehr so gut zu Fuß sind, bringt Grote die Ware sogar ins Haus. Bei Renate Kokartis achtet sie darauf, dass der Wagen immer an derselben Stelle auf der Straße hält. Renate Kokartis ist blind, kann so sicheren Schrittes zum Bäckerwagen gehen und einkaufen.

Neubürger haben sich über das Hupen beschwert

Das laute Hupen finden übrigens nicht alle Menschen gut. Bisher konnten jedoch alle Beschwerden gütlich ausgeräumt werden – bis auf eine. In Haseldorf beschwerten sich „Zugezogene“ so vehement, dass Heike Grote ihr traditionelles Signal aufgegeben hat. Stattdessen klappert sie jetzt die Häuser einzeln ab und klingelt an jeder Tür – was sie zusätzliche Zeit kostet.

Roswitha Sterneck (r.) und Bettina Koopmann gehören zu den ganz treuen Kunden des Bäckereimobils
Roswitha Sterneck (r.) und Bettina Koopmann gehören zu den ganz treuen Kunden des Bäckereimobils © HA | Thomas Pöhlsen

Bereits in den 70er-Jahren starten die Schwiegereltern von Heike Grote, Irmgard und Hans Heinrich Grote, mit dem Bäckerwagen. Sie wollten das Angebot des Geschäfts erweitern, das Unternehmen auf eine breitere Basis stellen. Als Heike und Bernd Grote im Jahr 1995 den Familienbetrieb übernahmen – sie leiten ihn jetzt in der sechsten Generation –, führten sie auch den Bäckerwagen weiter. Bernd Grote ist gelernter Bäcker, seine Frau hat bei Möller in Wedel Bürokauffrau gelernte. Mit diesem Vorwissen ist sie auch für die Buchhaltung verantwortlich. 1998 bauten beide das heutige Geschäft mit Café an der Deichstraße, womit sie die Zukunft ihres Betriebes auch heute in Zeiten von Discountern und Backshops gesichert haben. An Wochenenden ist das Café zahlreichen Tagestouristen, vornehmlich aus Hamburg, einen Zwischenstopp wert.

Überlebenswichtig für die Menschen der Haseldorfer Marsch wurden die Dienste der Grotes während der Schneekatastrophe in Schleswig-Holstein, die am 30. Dezember 1978 begann. Als die ersten Schneestürme ein Durchkommen schon praktisch unmöglich gemacht hatten, zuckelte der damalige Bäcker Hans Heinrich Grote noch mit einem Trecker durch die Marsch, um das vorbestellte Brot auszufahren. Der Schnee türmte sich immer höher auf, die Vorräte der Menschen schmolzen langsam dahin, und die Bäckersleute gingen von Haus zu Haus, um aus dem Weidenkorb ihre Waren zu verkaufen.

In den Neubaugebieten ist der Service nicht bekannt

Diese Zuverlässigkeit ist auch Heike Grote eigen. Sie lässt keine Fahrt ausfallen. „Die Menschen erwarten, dass ich komme“, sagt sie. Auch bei den Stürmen der vergangenen Wochen war sie unterwegs. Die große Luke konnte sie zwar nicht öffnen, weil sie durch die Böen abzubrechen drohte, doch durch die hintere Tür ging der Verkauf weiter. Und wenn sie mit Ehe Bernd Urlaub macht, fährt Tochter Sandra los.

Roswitha Sterneck und Bettina Koopmann gehören zu den treuen Kunden der 56-Jährigen. „Ich freue mich auf diese Besuche“, sagt Roswitha Sterneck. Bei ihr hängt immer ein Körbchen an der Pforte – als Zeichen, dass sie etwas kaufen möchte. Und Bettina Koopmann findet es gut, dass Brot, Brötchen und Kuchen praktisch ins Haus kommen.

In den Neubaugebieten bietet Heike Grote ihren Service allerdings nicht mehr an. „Dort wohnen junge Familien“, sagt sie. Viele Bewohner seien tagsüber gar nicht zu Hause. Oft arbeiten die Menschen in Hamburg und kauften die nötigen Lebensmittel abends auf dem Heimweg bei einem Discounter oder in einem Supermarkt. Viele Neubürger würden den Bäckerwagen insofern gar nicht kennen.

Die Serie

Viel unterwegs, selten, ja vielleicht nie am Schreibtisch: In unserer Serie porträtieren wir Menschen, die beruflich immer „auf Achse“ sind.

Bereits erschienen sind Reportagen über einen Taxifahrer, einen ADAC-Pannenhelfer und Polizisten.

Im nächsten Teil begleiten wir den Mann auf dem Beifahrersitz: Er ist Fahrlehrer.

1/3

Gunnar Kroll ist zwar alteingesessener Hetlinger, arbeitet aber nachts als Taxifahrer und schläft tagsüber, wenn der Bäckerwagen unterwegs ist. Zum allerersten Mal kommt er an den Kleintransporter von Heike Grote, weil ihn eine schwere Erkältung zu einer Auszeit zwingt. „Eine gute Einrichtung“, befindet er, kauft ein Brot sowie Kuchen für den Besuch bei seinen Eltern.

Die Zukunft des Bäckerwagens sieht Heike Grote alles andere als rosig. „Die Jüngere nutzen unser Angebot nicht, und die ältere Kunden bleiben nach und nach weg“, bilanziert sie. Andere Bäcker im Kreis boten früher ebenfalls Touren durch die Dörfer an, stellten sie aufgrund der sinkenden Nachfrage wieder ein. Ein Ende ihrer Touren durch die Marsch und damit eines der einstmals wichtigsten Instrumente der Nahversorgung ist für Heike Grote absehbar.