Pinneberg. Michael Isensee vom Institut für Qualitätssicherung von Backwaren prüft, was die Bäcker zur Vorweihnachtszeit im Angebot haben.
Michael Isensee betrachtet das Stück in seinen Händen gründlich und von allen Seiten. Fast so, als sei es ein hochwertiger Edelstein. Doch in diesem Fall ist es lediglich ein Stück Orangenstollen. „Da ist viel Füllung drin“, urteilt Isensee schließlich. Aroma auch. „Und die Krume, das Innere, ist schön saftig“, sagt der 55-Jährige. Das heißt: Test bestanden. Dieser Stollen bekommt die volle Punktzahl.
Isensee ist Stollen-Tester. An diesem Tag hat er sein mobiles Büro in der Buchhandlung Bücherwurm in Pinneberg aufgebaut. Als Sachverständiger des Instituts für Qualitätssicherung von Backwaren ist der gelernte Bäckermeister in ganz Norddeutschland unterwegs, um die Qualität der vorweihnachtlichen Spezialität unter die Lupe zu nehmen. Nächste Woche ist er in Oldenburg unterwegs.
Ein makelloser Stollen bekommt 100 Punkte
In dem Regal, das hinter seinem Tisch aufgebaut ist, warten 17 verschiedene Stollen von vier Bäckereien aus dem Kreis Pinneberg (Saß, Millahn, Dwenger und Münster) darauf, von ihm angeschaut, beschnuppert und gegessen zu werden. Für den Test hat das Institut ganz spezielle Kriterien definiert, die die Stollen erfüllen müssen. Außer Aussehen und Form sind auch das Krumenbild, Struktur, Geruch und vor allem das Aroma von Bedeutung. Isensee nennt es bewusst Aroma, nicht Geschmack, „denn jeder hat einen anderen Geschmack“. Bewertet werden die Stollen nach einer Negativbewertung. Das heißt: Es werden 100 Punkte vorgegeben und bei Qualitätsmängeln entsprechend Punkte abgezogen. In den Kreis Pinneberg kommt Isensee aber immer gern. „Die Qualität der Stollen war hier in den letzten Jahren immer sehr gut“, sagt er.
Der Stollen
Vor ihm liegt nun ein Stück Mohnstollen. Vorsichtig schneidet er eine Scheibe ab, riecht daran. „Der riecht schon richtig nach Mohn.“ Anschließend beißt er ein kleines Stück ab, überlegt einige Sekunden und blickt dabei an den umstehenden Leuten vorbei. Nach kurzem Zögern dann das Urteil: „Die Krume ist schön klitschig. Das ist sehr gut.“ Ist sie zu trocken, zieht Isensee Punkte ab. Der Mohnstollen aber besteht die Prüfung mit der vollen Punktzahl. Die Ergebnisse trägt der Tester in ein Computerprogramm ein, in dem die häufigsten Mängel wie eine zu trockene Krume oder zu viel oder zu wenig Füllung gespeichert sind. So müsse er diese nicht ständig neu eintippen. Für die Bäckereien, die ihre Stollen zur freiwilligen Qualitätsprüfung eingereicht haben, ist das Ganze vor allem eine Möglichkeit, eventuelle Fehler bei der Zubereitung oder Rezeptur zu beheben. „Wichtig ist, dass wir Bäcker anschließend aus der Kritik lernen“, sagt Jörn Dwenger.
Während Stollen für Stollen durch die Qualitätskontrolle von Isensee wandert, verkaufen vor der Buchhandlung Schüler der Berufsschule Elmshorn die Stollen, die die Kontrolle bereits hinter sich haben. Der Andrang vor dem Verkaufsstand ist hier deutlich größer als drinnen bei der Qualitätskontrolle, trotzdem bleiben immer wieder Menschen stehen und beobachten den Stollen-Tester bei seiner Arbeit. Zwischen zwei Stollen neutralisiert Isensee seine Geschmacksnerven mit lauwarmem schwarzem Tee. Etwa anderthalb Liter wird er nach der Kontrolle davon getrunken haben.
Selbst backen
Der nächste Stollen ist ein Mandelstollen. Wieder geht Isensee nach demselben Muster vor. Aufschneiden, betrachten, riechen, schmecken. Diesmal allerdings sei die Krume etwas zu trocken. Das sei bei Mandelstollen nicht ungewöhnlich, da Mandeln dem Teig viel Feuchtigkeit entzögen. Trotzdem wird das mit Punktabzug geahndet. Ein weiterer Fehler, den er häufig herausschmeckt, ist die Überdosierung von Gewürzen. „Mit Gewürzen sollte man äußerst sparsam umgehen. Eigentlich sind in den meisten Fällen gar keine nötig“, sagt Isensee. Die Bäcker aus dem Kreis haben alles richtig gemacht. Die Ergebnisse sind wieder überdurchschnittlich. Alle Stollen haben mit „gut“ oder „sehr gut“ bestanden.
Michael Isensee greift noch einmal ein Stück Stollen aus dem Regal. Mit einem Lächeln blickt er die umstehenden Menschen an. „Wissen Sie, was das hier für ein Stollen ist?“ Niemand weiß die Antwort. „Das ist ein Flüsterstollen“, sagt Isensee und fängt selbst an zu flüstern: „Weil die Rosinen so nah beieinander liegen, dass sie sich nur zuflüstern müssen.“ Und das sei für einen „klassischen“ Christstollen eine hervorragende Eigenschaft.