Wedel/Schenefeld. Udo Hackradt aus Wedel macht als einer der Ersten im Kreis Pinneberg bei Modell gegen Lebensmittelverschwendung mit.
Seit einigen Tagen hat er sein iPhone immer dabei, selbst wenn er nur kurz zwischen Backstube hinten im Haus und Ladengeschäft vorn hin und her geht. Denn Udo Hackradt ist neugierig, wie das neue Pferd so läuft, auf das er seit Kurzem setzt. „Hier“, sagt er, „und zeigt aufs Handydisplay, „gerade ist ein Paket verkauft worden.“ Ein Paket – das ist im Falle des Konditormeisters aus Wedel eine Wundertüte voller Backwaren, die der Kunde am Abend abholen kann. Ware, die der 54-Jährige an diesem Tag wahrscheinlich sonst nicht mehr hätte verkaufen können.
Hackradt macht mit bei Too Good To Go, einem neuartigen, übers Smartphone App-gesteuerten System, mit dem des Abends die ansonsten wohl nicht mehr verkäuflichen Lebensmittel an den Verbraucher gebracht werden sollen. Lebensmittel, die anderenfalls im Mülleimer gelandet wären. Und da setzt das Konzept an, dessen Name aus dem Englischen kommt und frei übersetzt so viel heißt wie: „Zu gut, um wegzugehen.“ Damit ist der 54-Jährige, der vor 23 Jahren eine 1896 gegründete Bäckerei und Konditorei an der Pinneberger Straße übernommen hat und auch noch eine Filiale in der Moorweg-Siedlung führt, ein echter Pionier im Kreis Pinneberg.
„Ein gastronomischer Betrieb kann seine wertvollen Lebensmittel verkaufen, anstatt sie entsorgen zu müssen. Damit kann er sowohl seinen Umsatz steigern als auch neue Kunden gewinnen und sich gleichzeitig nachhaltig und sozial engagieren“, sagt Too-Good-To-Go-Sprecherin Teresa Sophia Rath. Sie beschreibt die zwischengeschaltete Firma als „öko-soziales Start-up“. Das Ziel sei, Lebensmittelverschwendung „nachhaltig zu reduzieren“. Der Kaufpreis betrage mindestens die Hälfte des Originalpreises und maximal 3,90 Euro. Rath: „So können die Kunden ein tolles Essen für durchschnittlich drei Euro genießen und lernen neue Restaurants und Geschäfte in ihrer Stadt kennen.“
Nach nur zwei Tagen kam der erste Reste-Käufer
Der Wedeler Udo Hackradt orientiert sich an diesen Vorgaben. „50 Prozent Rabatt müssen schon sein“, meint er. Er bietet seine Wundertüten für
2,90 Euro an. Und der traditionelle Handwerker, der eine App ausprobiert, hat jetzt schon festgestellt: Es funktioniert. „Nach zwei Tagen war der erste Kunde da“, sagt er. Seitdem gibt er täglich zwei bis drei Portionen Reste ab. Den eigentlichen Verkaufsvorgang wickelt Too Good To Go ab, registrierte Teilnehmer rechnen auch gleich über das System ab. Sie sehen, was wo in ihrer Nachbarschaft angeboten wird, drücken gegebenenfalls auf „kaufen“ – und müssen die erworbenen Lebensmittel nur noch abholen. Der Händler – in diesem Fall Udo Hackradt – bekommt einen Hinweis auf sein Handy, die gekaufte Ware verschwindet aus der Liste mit den Angeboten. Für diesen Service nimmt Too Good To Go Provision. Udo Hackradt stört das nicht. „Wenn ich nichts verkaufe, habe ich auch keine Kosten.“
Auch das Nandoo im Stadtzentrum Schenefeld macht inzwischen mit. „Wir machen so Werbung für uns, außerdem geht nicht mehr so viel in den Müll“, sagt der Chef des indischen Schnellrestaurants, Massod Jami. Fünf bis sechs Portionen pro Woche setzt er zurzeit über das Portal ab, für 3,30 Euro gibt es meist Curry mit Reis und Lamm- oder Hähnchenfleisch.
Die Tafeln
Tatsächlich ist die Gastronomie mit ihren fertig zubereiteten Lebensmitteln die optimale Zielgruppe für Too Good To Go. Konditormeister Udo Hackradt vergisst darüber aber sein Engagement für die Wedeler Tafel nicht. „Von dort kommt unverändert dienstags und donnerstags jemand zu mir und holt Ware ab“, sagt er. Welche Auswirkungen die neue Schnäppchen-App auf die Tafeln hat, lässt sich in der Region noch nicht absehen – zu gering ist bis jetzt die Zahl der Teilnehmer.
Bundesweit hat Too Good To Go etwa 800 Partner, rund 200 allein in Hamburg, die nach Angaben der Firma in einem Jahres etwa 10.000 Mahlzeiten verkauft haben. Das ist schon wahrnehmbar, auch für die Tafel Deutschland, den Dachverband aller 931 Tafeln. Zumindest ist der Name Too Good To Go dort bekannt. Jochen Brühl, Vorsitzender: „Wir freuen uns, wenn sich weitere Initiativen dafür einsetzen, die Lebensmittelverschwendung zu reduzieren.“ Gleichwohl sehe der Verband, dass der Ansatz von Too Good To Go ein ganz anderer sei als der der Tafeln: „Weil wir die gesammelten Lebensmittel kostenlos beziehungsweise für einen symbolischen Preis abgeben, und zwar an Bedürftige.“