Wedel. Als er 1957 seine ersten Volkshochschule-Kurse gab, galt er als Exot. Heute gehört Hans-Georg Schoen zu den Ältesten seiner Zunft.

„Hallo, ich bin Hans-Georg“, begrüßt der 88-Jährige seinen Gast. Er ist ein drahtiger, langer Mann, trägt Badelatschen, weißes T-Shirt, weiße Hose. Mit seinem wachen Blick und der ruhigen, aber klaren Stimme wirkt er tiefenentspannt. An der Wand seines Hauses hängen Mandalas, im Garten steht eine Buddha-Statue. Er deutet auf ein buntes, selbst gemaltes Aquarell im Wohnzimmer, das einen Platz am Ufer eines Flusses, umgeben von Palmen und einem Mammutbaum, zeigt. „Dort habe ich vor 65 Jahren mit Yoga angefangen.“

Es war in den 50er-Jahren im kolumbianischen Urwald. Bald darauf wurde Hans-Georg Schoen einer der Yoga-Pioniere in Deutschland. Inzwischen ist er einer der ältesten Lehrer der indischen Philosophie im Hamburger Umland, gibt seit 60 Jahren Yoga-Kurse an der Volkshochschule Wedel. Schoen ist topfit, nur auf den Kopfstand verzichtet er seit einiger Zeit.

1929 bei Stettin geboren, wurde Schoen mit seiner Familie nach dem Zweiten Weltkrieg vertrieben und gelangte nach Niedersachsen, wo er Englisch, Spanisch und Sport auf Lehramt studierte. Kurz nach seinem Abschluss bekam er eine Stelle als Hauslehrer bei einer deutschen Familie in Kolumbien angeboten.

4500 Yoga-Lehrer

Yoga ist eine mehr als 2000 Jahre alte indische philosophische Lehre, die eine Reihe geistiger und körperlicher Übungen umfasst.

Seine Wurzeln liegen im Hinduismus und in Teilen des Buddhismus’.

Im Laufe der Jahrhunderte bildeten sich zahlreiche unterschiedliche Praktiken heraus.

Die erste Schule in Deutschland entstand 1939 in Berlin, populär wurde Yoga aber erst im Zuge der Hippie-Bewegung in den 60er-Jahren.

Der Berufsverband der Yogalehrenden in Deutschland (BDY), hat heute rund 4500 Mitglieder.

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Noch auf dem Schiff gen Südamerika traf er eine Frau, die ihm von ihren regelmäßigen Yoga-Praktiken erzählte. Schoen ließ sich einige Übungen erklären und merkte bald: „Das ist genau das, was ich brauche.“ Nach Krieg und Flucht habe er einfach nur zur Ruhe kommen wollen. „Kino und Ausgehen interessierten mich nicht.“

Fünf Jahre lang lebte er in Kolumbien in einem abgelegenen Dorf mitten im Urwald. Jeden Morgen um 6 Uhr ging er zu dem Platz am Fluss und begann mit fünf Minuten Kopfstand seine Yoga-Übungen. Er besorgte sich Bücher, brachte sich neue Figuren bei und lernte nach und nach auch die geistige Seite seine neuen Hobbys kennen.

Als er nach Deutschland zurückkehrte, stand für den damals 28-Jährigen fest, dass er die fernöstliche Praktik auch in seiner Heimat bekannt machen wollte. Voller Begeisterung trat er an die Volkshochschule in Wedel heran – seine Mutter lebte inzwischen in der Stadt. Von Yoga-Kursen wollte man dort allerdings zunächst nichts wissen. „Niemand kannte Yoga, es galt als Sekte.“ Doch Schoen blieb hartnäckig – und durfte schließlich unterrichten.

„Heute wissen viele nicht, was Yoga ist“

Zu seinem ersten Kursus lud der Leichtathlet einige seiner Freunde aus dem Sportverein ein. Nach einiger Zeit sprach sich das neue Angebot herum, und einige Teilnehmer reisten sogar aus Niedersachsen an. Seither lehrt er ununterbrochen die geistigen und körperlichen Übungen. In den 70er-Jahren gründete er eine der ersten Yoga-Schule in Hamburg, an der Volkshochschule der Hansestadt blieb Yoga laut Schoen bis Mitte der 80er-Jahre verboten.

Vom gegenwärtigen Hype um die indische Lehre hält der Altmeister nicht viel: „Heute machen Hinz und Kunz Yoga, haben aber gar keine Ahnung, was das überhaupt ist.“ Yoga sei kein Sport und auch keine Technik zum Abnehmen. „Yoga ist eine Lebensphilosophie.“ Schoen ist wichtig, dass die Teilnehmer seiner Kurse das verstehen. Bevor es mit den eigentlichen Übungen losgeht, setzt er sich mit ihnen zusammen und erklärt die Techniken. Statt auf komplizierte Verrenkungen setzt er auf einfache Übungen. „Das beginnt beim bloßen Ein- und Ausatmen. Wenn man das ganz bewusst macht, kann das total entspannend sein.“

Die meisten Menschen würden heute viel zu wenig für ihre Bewegung tun – eine Tatsache, die den 88-Jährigen immer wieder schockiert: „Als ich neulich einen Kursus im Altenheim gab, konnten viele nicht mal eine Faust machen“, erzählt er entsetzt. „Dabei war ich der Älteste im Raum.“

Nachdem er nach vielen Jahren als Lehrer an der Ernst-Barlach-Schule 1992 in Pension gegangen war, hatte er mit Herzproblemen und Prostatakrebs zu kämpfen. „Kopfstände und 100-Meter-Sprints sind seitdem tabu“, sagt er. Beim Yoga setzt Schoen, der mittlerweile in Tornesch wohnt, seither verstärkt auf Atem-Übungen und eine Mischung mit Qigong.

Seit einiger Zeit arbeitet er an seiner Autobiografie „Ein Leben mit Yoga“. Kann er sich ein Leben ohne überhaupt vorstellen? Schoen verzieht keine Miene, atmet einmal tief ein und aus, antwortet er mit ruhiger Stimme: „Eines weiß ich sicher, dass ich nicht mit Yoga aufhöre, so lange ich noch kann.“